Die Legende vom larmoyanten Trinker

„Gelyncht“ ist der zweite Band von Tony Blacks Trilogie

Von Peter MünderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Münder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt diesen ominösen Psycho- und Konzentrations-Test, bei dem der Proband vor der Durchführung gewarnt wird: „Bloß nicht an den blauen Elefanten denken!“ Natürlich grübelt der Kandidat dann während des Tests die meiste Zeit darüber nach, was es mit dem blauen Rüsseltier auf sich hat und fällt dann durch.

Ähnlich ergeht es wohl den meisten Lesern der in Edinburgh spielenden Tony Black-Krimis: Man will ja nicht immer an Ian Rankin und seinen schwer gebeutelten John Rebus denken oder an das düstere Panorama einer Stadt im Niedergang – und dann stößt Tony Black selbst den Leser mit seinem verquasten Stil, seinem larmoyanten Underdog-Hartsäufer Gus Dury und den schottischen Untergangsvisonen, die so desolat anmuten wie ein im Kongo gedrehter „Apocalypse Now“-Remake-Streifen, immer wieder auf diesen Vergleich.

Black will offenbar beweisen, dass er den Rebus-Schöpfer Rankin auf allen Spielfeldern übertrumpfen kann: Noch düsterer, trostloser, versoffener, aggressiver und korrupter muss es bei Black zugehen. Das versteht er offenbar unter „Noir“. Tony Black, 40, ist übrigens in Australien geboren, wuchs in Schottland und Irland auf und lebt jetzt in Edinburgh.

Gus Dury war früher mal Journalist, jetzt ist er mit der Whisky-Flasche verheiratet und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Dazu gehört das Observieren von Typen, die nachts im Wald Dachse aufstöbern und sie brutal misshandeln. So trifft er zufällig auf eine Bande Jugendlicher, die einen Hund quälen. Beim Showdown entdeckt er eine aufgeschlitzte Leiche, doch als er die Ordnungshüter darüber informiert, will man ihm den Mord an dem Organisator von Kampfhund-Veranstaltungen anhängen, bei denen mit Wetten viel Kohle gemacht wird.

Der Oberbulle Johnston hat es auf Dury abgesehen: Er läßt ihn beschatten, findet immer neue Vorwände, um ihn einzulochen – und er hat sogar eine Affäre mit der Ex-Frau von Dury angefangen. Für Gus Dury wird das Leben also zum ewigen Jammertal: Die Ex will den Bullen heiraten, man will Dury als Mörder hinter Gitter bringen, außerdem ist seine Mutter völlig vereinsamt, in Edinburgh brennen die Müllhalden, die Jugend neigt zu rambomäßigen Exzessen und der misshandelte Hund, den er gerettet hat, sieht ihn immer mit so großen Hundeaugen an. Für Gus Dury ein schöner Grund, noch tiefer in alle Flaschen mit Hochprozentigem zu schauen. Er fühlt sich nämlich auch so paralysiert wie Franz Kafkas in einen Käfer verwandelter Gregor Samsa – was soll man da machen? Hoch die Tassen und weg auf Ex!

Es ist ja nicht alles völlig abwegig, was Black aus mehreren Handlungssträngen zum Plot entwickelt: Korrupte Bullen, die mitverdienen wollen bei Kampfhund-Veranstaltungen, wird es sicher geben, auch Misshandlungen bei Verhören. Aber Black überdreht sein Rad meistens, er schreibt nicht mit letzter Tinte, sondern mit heißlaufendem Turbolader. Penetrant wird es außerdem, wenn er sich auf populäre Popsongs und Musikgruppen bezieht und bekannte Textfragmente zitiert: Eine Ersatz-Stimmung, die Black offenbar nicht selbst evozieren kann, soll uns dann aus dritter Hand ein spezielles Feeling vermitteln. Und warum muss Übersetzer Jürgen Bürger jedes „fucking“ mit „verschissen“ verhunzen? Das geht doch auch subtiler und differenzierter?

Sorry, aber Tony Blacks moralisierendes, larmoyantes Gegreine in Kombination mit ambitioniertem, bei Charles Bukowski oder Jim Thompson entliehenem Hartsäufer-Lamento ist einfach schwer zu ertragen. Vor allem, wenn Gus Dury dies als seine Ersatzreligion verkaufen will. Zitat: „Alkis kommen einfach nicht mit sich selbst zurecht. Zum einen verabscheuen sie sich selbst. Tage auf dem Trockenen ziehen sich schier endlos dahin. Als wäre man mit einem Fremden eingesperrt. Einem Fremden, den man hasst. Man trinkt, und der Fremde verschwindet, lässt einen in Frieden. Mehr als das, man findet einen anderen Zustand. Einen Ort, an dem man nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht schreien muss, als befände man sich im Fegefeuer und würde permanent vom Teufel gepiesackt. Rousseau sagte…“

Aber lassen wir Rousseau lieber aus dem Spiel, der kann diese Kalenderweisheiten auch nicht mit mehr Substanz anreichern.

Titelbild

Tony Black: Gelyncht. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012.
380 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055605

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