Die „Banalität des Bösen“

Margarethe von Trottas Film über Hannah Arendt

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Margarethe von Trotta hat ihrer filmbiografischen Galerie von ‚starken Frauen‘, nach Gudrun Ensslin, Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen, ein weiteres Porträt hinzugefügt, das der vor den Nazis 1941 nach New York geflohenen  und ebendort 1975 verstorbenen deutsch-jüdischen Philosophin Hannah Arendt.

Unter dem verkürzten Titel „Hannah Arendt“ – auf den Zusatz des Originaltitels „Ihr Denken veränderte die Welt“ wurde in der deutschen Präsentation eher verzichtet (er hätte auch zu sehr an den in der DDR gängigen, auf Lenin gemünzten Spruch „Er rührte an den Schlaf der Welt“ erinnert) – erlebte der Film im Beisein der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin und dreier ihrer Ministerinnen am 8. Januar in Essen seine deutsche Erstaufführung und gelangte ab dem übernächsten Tag in die deutschen Kinos. Kaum ein deutsches Feuilleton lässt sich finden, das dem Werk nicht seine Aufmerksamkeit und Reverenz erwiesen hätte – und beides, soviel vorweg, dürfte sich mindestens ebenso doppelter politischer Korrektheit, feministisch wie historisch grundierter, wie seinem filmkünstlerischen Rang verdanken.

Dessen ungeachtet, Beachtung und Respekt verdient der Film seines klugen Drehbuchs wegen, für das Pamela Katz und die Regisseurin Margarethe von Trotta gemeinsam zeichnen; es erweist sich als dem anspruchsvollen ‚Gegenstand‘ im großen ganzen gewachsen, will sagen, es hält sich an das, was man von ihr selbst und von anderen über Hannah Arendt weiß. Die Autorinnen konzentrieren die Aufmerksamkeit auf eine kurze Zeitspanne im Leben ihrer Heldin, auf die Jahre 1960 bis 1964, als Adolf Eichmanns Entführung aus Argentinien nach Israel und der nachfolgende Prozess in Jerusalem Arendts Räsonnieren, Schreiben und dessen Folgen beherrschten.

In Gestalt des Jerusalemer Bezirksgerichts saß der Staat Israel über den Mann zu Gericht, der in den Jahren 1941 bis 1944 die Deportation europäischer Juden aus dem damaligen deutschen Machtbereich in die östlichen Todeslager organisiert hatte. In der Figur des Adolf Eichmann bündelt sich für Arendt ihre persönliche Geschichte als Verfolgte, Zeitzeugin und nachträgliche Deuterin des Holocaust. Einerseits, den Angeklagten in Jerusalem vor Augen, sieht sie sich in ihrem Verständnis der Schoa als „Verwaltungsmassenmord“ bestätigt. Andererseits gerät sie wiederum wie schon in den vierziger Jahren mit dem Zionismus aneinander. Hatte sie ihm damals, in seiner Fixierung auf die Staatswerdung Israels, Desinteresse am laufenden Mordgeschehen in Europa vorgeworfen, so stört sie sich nun an der staatstragenden Absicht, in der er respektive Israel den Prozess inszeniere und damit gegen Rechtsprinzipien verstoße, denn der gedanken- und seelenlose Bürokrat des historisch beispiellosen Massenmordes gehöre vor ein internationales Gericht.

Für den hochangesehenen, stilistisch und intellektuell ambitionierten „New Yorker“ legt Arendt das Fazit ihrer Prozessbeobachtung 1963 in einer Artikelserie nieder. Es erscheint gleich darauf unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil“ als Buch (deutsch 1964: “Adolf Eichmann. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“) und erregt einen Sturm der Entrüstung, begleitet von Anfeindungen aller Art gegen sie als Person, vor allem in Amerika und Israel (wo das Buch erst 2002 erscheinen wird).

Der Film gibt Arendts Position und die nachfolgenden Auseinandersetzungen, im Freundeskreis wie in der Öffentlichkeit, in dramatischen, nicht selten das Theatralische streifenden Streitszenen ausführlich wieder. Gleichzeitig nutzt er diese weidlich, die Charakterfestigkeit und Wahrheitsliebe seiner Heldin zu demonstrieren.

Als dramatischer für den Zuschauer indes bleiben die gezeigten Gerichtsszenen im Gedächtnis. Hier wechselt der Film vom Genre der von Schauspielern dargestellten Filmbiografie unvermittelt in das des Doku-Dramas: Adolf Eichmann wird nicht gespielt, sondern erscheint ‚im Original‘ mittels Archivaufnahmen aus dem Jerusalemer Gerichtssaal. Die Autorinnen wussten, was sie taten, wie von Trottas Aussage in einem Interview bestätigt: „Um Hannah Arendts Analyse Eichmanns nachvollziehen zu können, muss man den echten Menschen sehen.“ Etwas Überzeugenderes zum Beleg der These von der „Banalität des Bösen“ hätte ihnen nicht einfallen können als der Mann selbst, grimassierend, schwadronierend, ganz Beflissenheit. Auch so manche, vom Film zutreffend zitierte, spätere Erläuterung Arendts vermag die Überzeugungskraft des Augenscheins nicht zu übertreffen.

Die gegeneinander geschnittenen Gerichtsszenen sind denn auch der dramatische Höhepunkt des Films: Man sieht Arendt neben anderen Korrespondenten in einem Nebenraum des Gerichtssaals (in Farbe), sie beobachten auf einem Bildschirm (in Schwarzweiß) das Gericht und den Angeklagten in seinem Glaskasten, wir als Zuschauer sehen ihn ebenfalls, als Bild in einem Rahmen (der Bildschirm), der uns gegenwärtig hält, dass Arendt dasselbe sieht wie wir – ein paar Sequenzen lang ist der Film als Film ganz bei sich selbst. Er macht uns sinnfällig, wie und warum Arendt zu ihrer zur Formel geronnenen Einsicht kam und wie recht sie hatte, wenn sie später von der Unverhältnismäßigkeit sprach zwischen der kümmerlichen Mittelmäßigkeit des Angeklagten und der Monstrosität der ihm angelasteten Verbrechen.

Im Ganzen hält von Trottas Film diese Höhe nicht. Ohne dass Spannung aufkäme, sehen wir immer wieder Arendt mit Freunden und Gegnern debattieren. Wir sehen sie leiden, wenn sich ihr alter Freund und Mentor aus Berliner Tagen Kurt Blumenfeld unversöhnt auf dem Sterbebett von ihr abwendet, wir sehen sie an der Schreibmaschine an ihrem Opus feilen oder denkend auf ihrer Chaiselongue liegen, wie immer rauchend, oder an ihrem Schreibtisch, vor sich die Bilder von Heinrich Blücher, ihrem Ehemann, und daneben, unübersehbar, von Martin Heidegger mit seiner Baskenmütze, dem verehrten Lehrer und Geliebten aus der Studienzeit in Marburg. Warum er in Rückblenden immer mal wieder auftaucht, erschließt sich aus dem (Gedanken-)Gang der Handlung nicht, bedient aber die Klatschsucht. Soviel Spaß muss offenbar sein, um auch ein politisch-philosophisch tangierbares Publikum zu fesseln.

Barbara Sukowa hat es als Hannah Arendt schwer, gegen das Bild des Originals, das in etlichen Köpfen und Ohren noch präsent sein dürfte – Arendt sagte über sich selbst, sie sehe aus wie zwei Synagogen – , anzukommen; sie ist sichtlich befangen und es fehlt ihr so manches, was Arendt ausmachte, die Strahlkraft ihrer Intelligenz, ihre Ungeniertheit, ihre Ironie, ihr Lachen, ihr Sarkasmus und, besonders schmerzlich vermisst, ihre satte, tiefe Raucherstimme. Gleichwohl, Sukowa und die übrigen namhaften Schauspieler und Schauspielerinnen tun ihr Bestes, dem Anspruch des Sujets zu genügen.

Würde der Film gewinnen, wenn er sich argumentativ kritischer gegenüber Arendt verhielte? Vermutlich nicht, denn die meisten substanziellen Einwände gegen Arendts „Eichmann“ haben sich inzwischen verflüchtigt. Neuerdings wird zwar behauptet, Eichmann sei fanatischer Antisemit gewesen und habe dem Gericht mit seiner Selbstdarstellung als bloßer Befehlsempfänger und als „Rädchen im Getriebe“ einen Bären aufgebunden. Aber selbst wenn dem so wäre – die Beweise für seine Gesinnungstäterschaft sind ohnehin schwach –, Antisemitismus als Haltung, seinerzeit verbreitet und eine Versuchung für schlichtgestrickte subalterne Mitläuferseelen, wäre mit der von Arendt beschriebenen Persönlichkeitsstruktur des zur Empathie unfähigen „Nobody“ Eichmann nicht unvereinbar.

Auf einem anderen Blatt steht die Stilfrage, die Tonlage, in der Arendt ihren Bericht vortrug und die viele ob ihrer Kühle und Distanziertheit verstörte, ja verletzte. Wieweit hat sie sich von der Überlegenheitsattitude des „New Yorker“ animieren lassen? Sie hat sich, auch das zeigt der Film, der Zeitschrift angetragen, das entsprach ihrem geistigen Temperament. Die Frage, ob sie sich damit womöglich in eine Falle manövrierte, stellt von Trottas Film ernsthaft nicht. Einwände dieser Art legt er hauptsächlich erkennbar dummen, für Arendt nicht satisfaktionsfähigen Personen in den Mund.

Hannah Arendt
D/L/F 2012
Regie: Margarethe von Trotta
Buch: Pam Katz, Margarethe von Trotta
Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Ulricht Noethen, Julia Jentsch, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff

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