Königin von Frankreich – Königin von England

Ralph V. Turner begibt sich auf die Suche nach einem wahrheitsgetreuen Bild Eleonores von Aquitanien

Von Yvonne LutherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvonne Luther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eleonore von Aquitanien (1124-1204) gilt nicht zu Unrecht als die berühmteste Königin des Mittelalters. Ihr Leben lieferte nicht nur den Stoff für zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Arbeiten, sondern diente vielfach auch als Grundlage fiktionaler Verarbeitungen in Literatur und Film. Ralph V. Turner will sich mit den stark gegensätzlichen Deutungen Eleonores auseinandersetzen und sie von den wechselnden Wahrnehmungsschablonen der Jahrhunderte befreien. Obwohl er nicht umhin kann, den sich um Eleonore rankenden Legenden Raum zu geben, so setzt er doch in erster Linie auf eine quellenbasierte Diskussion, die von der Königin in Auftrag gegebene und signierte Dokumente und zahlreiche weitere Quellen heranzieht. Die Darstellung ist sehr breit angelegt, wobei das politische Handeln der Protagonistin – welches jedoch untrennbar mit dem Privaten verknüpft ist – weitgehend im Vordergrund steht.

Turner gliedert seine Biografie Eleonores nach Lebensabschnitten (was eine schnelle Orientierung ermöglicht), diese werden erneut untergliedert nach wichtigen Veränderungen, Einschnitten und ähnlichem. Neben dem Fokus auf Eleonore und den Ereignissen ihres Lebens werden vielfach zusätzliche Informationen zu zeittypischen Gepflogenheiten, Entwicklungen (zum Beispiel Aufkommen der Primogenitur) und Weiterem gegeben. Auch die weitläufigen aristokratischen Verwandtschaftsverhältnisse und die politische Bedeutung dieser Beziehungen, insbesondere die damit verbundene Heiratspolitik, werden beleuchtet. Teilweise wirken die Darstellungen der Schicksale von ‚Nebenfiguren‘ jedoch als ungünstige dramaturgische Vorgriffe und verstellen den Blick auf Eleonores Leben als roten Faden des Buches. Das letzte Kapitel widmet sich ausführlicher der Legendenbildung und diskutiert die Vorstellungen von Eleonore als Ehebrecherin sowie Mörderin, jedoch auch den Mythos der Troubadour-Königin.

Die Darstellung der Kindheit Eleonores nimmt auch ihren berühmten Großvater Wilhelm IX., den Troubadour-Herzog, und ihren Vater Wilhelm X. in den Blick. Turner geht davon aus, dass der Einfluss Wilhelms IX., eines für seine antiklerikale, äußerst weltliche Orientierung bekannten Herrschers, am Hof von Poitiers in Eleonores Kindheit und Jugend noch deutlich spürbar war. Berichte und Gerüchte über sein Leben sollten später auch auf Eleonores eigenen Ruf einwirken, wurde doch ihre Herkunft oft als Grund für ihr Verhalten und Handeln – jedoch auch für ihr Interesse an der Dichtkunst – gesehen. Eleonores Großvater ist vor allem durch seine volkssprachlichen (Liebes-)Dichtungen bekannt, er gilt als der erste Troubadour.

Sowohl in ihrer ersten Ehe mit dem französischen König Ludwig VII. als auch in ihrer zweiten mit Heinrich Plantagenet war Eleonore als Königin zunächst eine wichtige Ratgeberin ihres jeweiligen Gatten. In beiden Ehen jedoch schwand ihr direkter politischer Einfluss im Laufe der Zeit: Ludwig, der sich nach einer Herrschaftskrise 1144 wieder seiner starken Frömmigkeit besann, machte den Abt Suger zu seinem wichtigsten Vertrauten. An Heinrichs Seite trat ebenfalls ein starker Kirchenmann: Kanzler und Erzbischof Thomas Becket. Während des zweiten Kreuzzuges kam es Turner zufolge zum irreparablen Bruch in Eleonores erster Ehe, zudem nahm ihr Ruf einen nie wiedergutzumachenden Schaden. Der Autor geht davon aus, dass der hier erstmals von Eleonore geäußerte Wunsch nach Annullierung ihrer Ehe mit Ludwig, ihre Auflehnung gegen die von ihr erwartete Unterordnung ihrem Mann gegenüber, bald zum Verdacht des vollzogenen Ehebruchs mit ihrem Onkel (und später weiteren Männern) mutierte. Nach einer vorübergehenden Versöhnung wurde im März 1152 die Ehe durch ein Konzil aus kirchlichen Würdenträgern und Aristokraten wegen zu enger Blutsverwandtschaft für ungültig erklärt. Auch Ludwig muss dieser Schritt unumgänglich erschienen sein, hatte Eleonore ihm doch keinen Sohn geschenkt.

Turner führt deutlich vor Augen, wie wichtig eine Wiederheirat für Eleonore war, denn als Erbin von Aquitanien war sie eine begehrte Heiratskandidatin, die beträchtliche Gebiete in die Ehe einbringen würde. Bereits am 18. Mai 1152 heiratete sie ihren Wunschkandidaten, den acht Jahre jüngeren Heinrich Plantagenet, Herzog der Normandie und Graf von Anjou. Für beide schien diese Beziehung äußerst erfolgversprechend zu sein: 15 Monate nach der Hochzeit kam der erste Sohn zur Welt und Ende 1154 reiste das Paar nach England, um dort den Thron zu besteigen. Turner weist die Einschätzung zurück, dass Eleonores Position als Regentin des von England oft abwesenden Heinrich II. weitgehend formeller Natur und damit von wenig Einfluss gewesen sei. Er sieht in den Quellen, in erster Linie Verfügungen (writs), die wichtigsten Belege für die Einschätzung ihrer Machtposition und erkennt darin denselben gebieterischen Ton wie in Dokumenten früherer anglo-normannischer Könige. Dies verwundert letztendlich nicht, denn hier handelt es sich um weitgehend kategorisch formulierte Briefe, die wohl wenig Gestaltungsspielraum boten. Nach Heinrichs Rückkehr in sein Königreich 1163 wurde Eleonores Position als Regentin deutlich schwächer, so finden sich zum Beispiel keine Hinweise mehr auf Zahlungsverfügungen der Königin. Dass Heinrich sie 1168 zur Regentin des Poitou machte, kam ihren Bedürfnissen nach eigener Machtausübung vermutlich sogar entgegen – zudem hatte sie ihre Aufgabe, für den Fortbestand der königlichen Linie zu sorgen, mit acht Kindern erfüllt.

Die Jahre, die Eleonore am Hof von Poitiers verbrachte, lieferten wohl den Ausgangspunkt für das Bild der ‚Königin der Troubadoure‘, die Dichter und Minnesänger an ihrem Hof förderte. Turner bietet einen informativen Exkurs zum Thema ‚höfische Liebe‘, der die auch hier besonders zu beachtende Trennung von Dichtung und Realität betont. Ins Reich der Legende verweist er die ‚Liebeshöfe‘, die Eleonore mit einem Kreis junger Frauen angeblich abhielt, um ‚Urteile‘ zu umstrittenen Fragen der Liebe zu fällen. Die Quelle, das Buch „Über die Liebe“ von Andreas Kapellan, wird heute nicht mehr als authentisch akzeptiert, es gibt daher keine Belege für die Existenz der Liebeshöfe. Gleiches gilt für die mutmaßliche Anwesenheit sowie Förderung zahlreicher prominenter Dichter an Eleonores Hof, unter anderem Chrétien de Troyes. Turner weist zwar darauf hin, dass die bei Chrétien anzutreffenden Leitmotive einen Bezug zu Eleonore erkennen lassen, macht aber ebenfalls deutlich, dass mit Blick auf die Quellen Eleonores Rolle als Mäzenin im Vergleich zu der einiger ihrer Zeitgenossinnen oft überschätzt wird.

Ausführlich widmet der Autor sich einem großen Wendepunkt in Eleonores Leben: ihrem Entschluss, die Revolte ihrer Söhne gegen ihren Vater Heinrich II. zu unterstützen und sich aktiv daran zu beteiligen. Als zentralen Beweggrund innerhalb eines Komplexes von Ursachen des Aufstandes sieht Turner vor allem die Frustration Heinrichs des Jüngeren, der, obwohl bereits gekrönt, kaum mit Territorien und Machtbefugnissen ausgestattet war. In den Bereich des Spekulativen verweist er dagegen die Annahme, Eleonore sei hauptsächlich aufgrund der außerehelichen Affären ihres Mannes aufgebracht gewesen. Trotz massiver Bedrohung erwies sich Heinrich I. als der überragende Feldherr, der die Aufstände niederschlug. Im Gegensatz zu ihren Söhnen und anderen am Aufstand Beteiligten wurde Eleonore besonders hart bestraft: Sie blieb bis zu Heinrichs II. Tod 1189 in Gefangenschaft.

Dieser 15-jährigen Phase der erzwungenen politischen Passivität folgte nach der Freilassung eine Zeit großer Aktivität – als Witwe kam Eleonore endlich dazu, reale politische Macht auszuüben. Mit größtem Einsatz unterstützte sie ihre beiden noch lebenden Söhne Richard und Johann darin, ihr Erbe und ihre Besitzungen zu sichern. Nach Richards Rückkehr vom Kreuzzug und seiner anschließenden Gefangenschaft folgte ein erster Rückzug Eleonores ins Kloster Fontevraud, das sie zur Hauptresidenz für den Rest ihrer Tage wählte. Eine weitere tätige Phase, die schon aufgrund des hohen Alters der Königinmutter beeindruckt, folgte Richards Tod, wie sich anhand von Eleonores Reisen durch ihr Herzogtum und insbesondere anhand der großen Zahl amtlicher Dokumente aus dieser Zeit belegen lässt. Nachdem Johann den Thron bestiegen hatte und sie ihn zudem als rechtmäßigen Erben ihres Herzogtums eingesetzt hatte, zog Eleonore sich erneut zurück. Johann jedoch, der allgemein als politisch wenig geschickt galt, entglitt die Kontrolle über sein Reich zusehends. Zum Zeitpunkt von Eleonores Tod im Jahr 1204 war wohl bereits absehbar, dass er den Kampf um die Bewahrung des Plantagenet-Reichs verlieren würde.

Turner stützt sich in seiner Biografie Eleonores von Aquitanien grundsätzlich auf Primär- und Sekundärquellen (die in den Anmerkungen zitiert werden) und erläutert seine Schlussfolgerungen nachvollziehbar und überzeugend. Vorteilhaft ist ebenso die Erläuterung und Einschätzung von Bedeutung und Wert der historischen Quellen, die das Verständnis der beschriebenen Zusammenhänge fördert. Die Lebensbeschreibung Eleonores ist zugleich eine weitreichende Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Frankreich und England im 12. Jahrhundert. Dennoch wären zum Beispiel bei der Beschreibung von Verwandtschaftsverhältnissen oder Lebensläufen von Personen im Leben der Königin etwas sparsamere Angaben ausreichend gewesen. Gleiches gilt für die allgemeinen Informationen zu zeittypischen Gewohnheiten, wie zum Beispiel dem Umherziehen der Herrscher von Besitzung zu Besitzung, der frühzeitigen Unterbringung der Aristokratenkinder in anderen Haushalten und ähnliches. Leider entsteht durch die angebotene Informationsfülle – wohl aufgrund des Wunsches nach wissenschaftlicher Genauigkeit und Ausführlichkeit – gelegentlich ein Eindruck von mangelnder Übersicht des Autors und einem zu starken Gewicht auf Nebensächlichkeiten.

Insgesamt ist Turner trotz eines sehr breit angelegten und mit Zusatzinformationen angereicherten Gegenstandes, der alle Facetten in Eleonores Leben sowie zahlreiche widersprüchliche Meinungen zu ihrer Person erfassen soll, eine durchaus stringente und gut lesbare Darstellung gelungen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein praktisches Personenregister runden das Buch ab; nützliche Ergänzungen sind außerdem eine übersichtliche Ereignischronik, Karten der behandelten Herrschaftsgebiete sowie Stammtafeln der wichtigsten Familien.

Titelbild

Ralph V. Turner: Eleonore von Aquitanien. Königin des Mittelalters.
Übersetzt aus dem Englischen von Karl Heinz Siber.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
496 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783406631993

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch