Man sieht sich auf Facebook

Christiane Geldmacher hat einen wunderbaren Kriminalroman über die sozialen Medien geschrieben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle sind bei Facebook, alle sind befreundet, und man begleitet sich durchs ganze Leben. Und zwar ganz wörtlich – als Harrys Freund Nicky stirbt, steht da: „Nicky just checked-in @cemetery Nordfriedhof, Lane 71, Grave 43“. Und dann folgt ein Smiley.

Nur ist das zum Glück nicht wahr. Harry, genervt von seinem Dauergast, hat nur einmal ausprobiert, „wie es sich anfühlt, wenn man jemanden totschreibt, bevor man ihn umbringt, weil er einem die ganze Wohnung auf den Kopf stellt. Er schaut gerade Fußball. Dauernd trötet er mit seiner Vuvuzela zum Balkon raus. Dieser Mann ist ein solches Kind…. Er hat für das Länderspiel gegen Holland Deutschlandchips und Deutschlandbier gekauft.“

Oder hat er das doch ein bisschen ernst gemeint? Denn leider hat Harry auch einiges andere ausprobiert. Denn Harry ist dumm. Er ist sogar mehr als dumm, er ist ein richtiger Trottel. Denn er macht das nicht heimlich oder erzählt es seinem Freund, sondern er macht das auf Facebook. Und Facebook vergisst nichts. Und so können dann also alle lesen, was Harry nacheinander ausprobiert hat: „Harry ist in einer Beziehung. Harry ist nicht in einer Beziehung. Harry ist auf der Suche nach einer Beziehung. Harry ist Single.“ Und ist ganz verzweifelt: „Wie kriegt man das wieder weg? Ich wäre ‚interessiert an Männern oder Frauen‘ steht auch da. Ja, schreibt doch gleich Kinder hin!“

Ben ist Harrys größtes Problem. Probleme hat Harry genug, unter anderem, dass er nicht mehr mit Miriam zusammen ist. Sie war und ist seine große Liebe, hat sich sogar um seinen Vater gekümmert, als der langsam demenzkrank wurde, hat ihn mit Harrys Mutter zusammen bis zu seinem Tod gepflegt. Aber dann hat sie sich von Harry getrennt, denn der ist damals einfach abgehauen, ist durch Europa gefahren, hat sich nicht gemeldet. Dass ein Aufruf in den Zeitungen war, dass sie ihn verzweifelt gesucht hat, hat er nicht gemerkt. Und dass sie sich deswegen von ihm getrennt hat, versteht er nicht. Und dass sie jetzt einen neuen Freund hat, Ben, das kann er schon gleich gar nicht akzeptieren. Also meldet er sich auf Facebook an, schließlich hat sie, damit er sie nicht mehr per Mail belästigt, geschrieben: „Man sieht sich auf Facebook“. Und da sieht er dann, „was sie den ganzen Tag treibt. Daran hat Madame nicht gedacht. Ich bin jetzt dichter an ihr dran als jemals zuvor.

Einen witzigen und dabei eigentlich erschütternden (Kriminal-)Roman hat Christiane Geldmacher geschrieben, den ersten richtigen Facebook-Roman. In Form von kurzen Tagebuchnotizen, Facebookeinträgen und E-Mails von ihm (manchmal mit Antworten) erzählt sie von diesem Dreivierteljahr im Leben von Harry Weingarten, vom 10. Dezember bis zum 22. September – mit einem Epilog einen Monat später. In dieser Zeit meldet sich Harry bei Facebook an, versucht sich Miriam wieder aufzudrängen, überwacht sie, drängelt sich in ihr Leben, geht in die Kneipen, wo sie gerade mit Ben ist. Ein Stalker, wie er im (Face-)Buch steht.

Leider gelingt ihm das nicht. Warum sollte es auch? Miriam liebt Ben. Das einzige, was ihm gelingt, ist, dass Ben mit zwei Freunden in seine Wohnung kommt und ihn zusammenschlagen lässt. Da macht Harry das einzig Logische: Er bringt Ben um. Aber auch da erweist er sich als Trottel: Er vergisst zum Beispiel die Überwachungskameras.

Leider sind die Polizisten nicht fähig, ihm die Tat nachzuweisen. Sie wissen zwar genau, dass er es ist, oder sie meinen es zumindest, sie geben ihm gegenüber mit ihrer überragenden Aufklärungsrate an, sie versuchen ihn in die Ecke zu treiben, aber sie können es nicht beweisen. Sie haben sogar ein Facebook-Konto für diesen Fall eingerichtet – ja, die Polizei ist technisch immer up to date. So spielen sie mit ihm Katz und Maus, dann fängt der eine, ältere, an, sich für Harrys Mutter zu interessieren, der andere für Taijiquan, das Harry praktiziert, bis er am Schluss mit ihm und seinem Freund Nicky sogar auf ein Wochenendseminar fährt. Und sie endlich anfangen, auch einmal in eine andere Richtung zu recherchieren, in Bens soziales Umfeld, und dort eine Menge kriminelles Potential und Gewaltbereitschaft feststellen. Man gewinnt aber den Eindruck, dass sie selber nicht so ganz genau wissen, was sie da eigentlich tun, sondern mehr hoffen, dass sich mal was ergibt – eine schöne Parodie auf die Polizei und die Polizeiarbeit. Hofft man wenigstens.

All das erfährt der Leser aus Harrys Perspektive. Geldmacher entlarvt ihn und seine Dummheit von der ersten Seite an und unsere gleich mit, denn er macht alles, was wir auch machen: Er stellt doofe Einträge bei Facebook ein; er klaut anderen ihre Blogeinträge, um etwas mehr „content“ zu haben; er träumt und schaut im Internet nach, was die Träume bedeuten; er beleidigt bei Facebook Leute, die ihm helfen könnten; er hockt so lange vor der Kiste, bis sein Chef ihn rauswirft; er schreibt Mails und verwechselt die Anschriften, sodass sein Freund Nicky lesen kann: „Wussten Sie, dass er das Abitur auch nach dem zweiten Anlauf nicht geschafft hat? :-) Muss ich mehr sagen?“ – der Brief sollte eigentlich an einen der Polizisten gehen. Außerdem reagiert er aktionistisch, panisch: zerstört seinen Computer und wirft ihn dann weg, weil er seine Spuren verwischen will, was ihn gleich ganz besonders verdächtig macht, kauft sich einen neuen gleich um die Ecke und merkt, dass er es damit noch schlimmer gemacht hat, geht noch mal auf alle Seiten, auf denen er früher schon war und merkt dann, dass auch das nichts hilft, weil alles im Netz aufgezeichnet wird…

Was den Roman aus der Masse der ernsttriefenden, problemwälzenden, erklärenden (und damit oft langweiligen) Krimis heraushebt, ist vor allem das Tempo, in dem Geldmacher erzählt und eben nicht erklärt, die gnadenlose Ironie, mit der sie ihren Protagonisten überzieht, die Situationskomik, die durch so manche abstruse Handlung durchscheint, und der oft trockene Wortwitz: Einmal schreibt er der Polizei auf Facebook „Na, viel zu tun?“, und sie antworten mit einer Verdächtigenbeschreibung, die genau auf ihn zutrifft: „Hab mein Foto erst mal von Facebook runtergenommen.“ Oder, wenn er bis zum Schluss meint, dass er das alles doch für Miriam tut, und dass er das Beste sei, was ihr passieren konnte: „In Bezug auf sie bin ich hingebungsvoll und mitfühlend. Dank ihr bin ich mit mir selber in Kontakt. Nichts ist anstrengend, nichts nervt.“ Und: „Wenigstens kann mir keiner Egoismus vorwerfen. Ich beschäftige mich in Gedanken mit nichts anderem als Miriam. Ihr gilt mein ganzes Streben. Tagein, tagaus stelle ich mir vor, wie ich es ihr schön mache. Ausflüge, Reisen, ein Haus in Italien … ich würde ihr alles zu Füßen legen.“ Oder als er merkt, dass er den Fehler begangen hat, seinen neuen Rechner gleich um die Ecke zu kaufen, und dann stöhnt: „Nie mehr bringe ich jemanden um! Nie!“ Andererseits weiß er, welches Opfer er selbst bringt, alles für Miriam, und in einem alles überragenden logischen Sprung schreibt: „Sie würde es kaum noch mal erleben, dass jemand aus Liebe zu ihr ihren Freund umbringt.“ Das ist einfach nur noch göttlich.

Die Probleme, die Geldmacher in ihrem Roman ausbreitet, die Verlagerung des Lebens in die sozialen Medien, die komplette und freiwillige Selbstauslieferung der Intimität und der Persönlichkeitsrechte, der Zwang zur möglichst positiven Selbstdarstellung, der Verlust an Menschlichkeit, das alles kommt so leichtfüßig daher und gleichzeitig so ernst, dass man nur einen Vergleich ziehen kann (wenn man das will): „Love@Miriam“ ist, bis in die Nebenfiguren hinein, eine äußerst gelungene Mischung aus Patricia Highsmith und Wolf Haas. Hier werden die Abgründe der menschlichen Psyche ausgelotet bis zum Schluss (einen Mord aus „Liebe“ begehen), hier wird ein Täter zum Helden, hier werden neue Kommunikationsformen zum Stilmittel erhoben (inklusive Smileys und „Like“-Daumen). Zudem ist der Roman ein schönes Spiel mit dem Leser, der schon auf den ersten Seiten merkt, wie verstrickt Harry in sich ist. Wie er einmal nach einem Verhör berichtet: „Ich sei labil, manipulierbar, sprunghaft, habe eine niedrige Frustrationstoleranz, eine Affektstörung und sei in Bezug auf Miriam psychotisch. Die spinnen wohl.“

Titelbild

Christiane Geldmacher: Love @ Miriam. Roman.
Bookspot Verlag, München 2012.
220 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783937357713

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