Texte für unsere Zeit

Joseph Roths Stadtfeuilletons „Trübsal einer Straßenbahn“ in einer gelungenen Sammlung

Von Clemens GötzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Götze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewiss, Joseph Roth war ein Weltenbummler, ein wahrer Europäer, zuhause in den Metropolen Europas. Einige der Stationen seines bewegten Lebens lassen sich an diesen jüngst neu herausgegebenen Stadtfeuilletons nachvollziehen, ja mehr noch, sie sind in ihrer Atmosphäre und Plastizität geradezu heutig. Umso erstaunlicher gewahrt man die Jahresdaten der jeweiligen Entstehung der kurzen Prosastücke. Wer nun aber vermutet, in diesem handlichen Band den Ton von Roths „Radetzkymarsch“ vorzufinden, der irrt, sind doch Roths Texte Momentaufnahmen von Situationen, Beschreibungen der modernen, turbulenten Großstadt. Wien, Prag, Berlin, Paris, dies waren Roths Stationen, und auch wenn die hier versammelten Texte sich vorwiegend mit Wien und Berlin auseinandersetzen, meint man, sie alle wiederzuerkennen. Die Feuilletons pulsierender Orte in der Stadt zeigen im Kleinen den Kosmos des Lebens, an ihnen scheint nichts historisch oder gar verklärt.

Nicht selten schimmert durch Roths Beschreibungen der Hauch Melancholie durch, den man aus seinem Romanwerk kennt. Dennoch werden die Texte vielfach von einer Stimmung getragen, die sich aus den leisen Tönen des Anfangs in ironische Brechungen und satirische Beobachtungen wandeln, wie etwa die „Wiener Hoffnungslichter“ belegen. Komödiantisch wie kritisch ist beispielsweise der Text „Wenn Berlin Wolkenkratzer bekäme“, in dem das Problem der Wohnungsnot vor dem Hintergrund der Ausdrucksform unseres Jahrhunderts, wie Roth die Wolkenkratzer parodistisch bezeichnet, ad absurdum geführt wird. Man schmunzelt, lächelt, seufzt, wird nachdenklich. Der Facettenreichtum der Texte zeichnet den Band neben der sprachlichen Virtuosität seines Autors besonders aus.

Joseph Roth bestätigt mit dieser Textsammlung seinen Anspruch, das Gesicht der Zeit zu zeichnen. Allerdings, und das ist das Spannende an diesem Buch, lassen sich die Texte oftmals ebenso auf die heutige Zeit beziehen, solange sie freilich nicht auf tagespolitische Ereignisse anspielen. Die Liebe zur Großstadt verleitet Roth aber keineswegs dazu, unkritisch zu sein, wenn er etwa schreibt: „Berlin ist groß und grau und grausam, der Irrsinn sprießt aus dem Asphalt, er lauert in den Winkeln, er wartet auf dich hinter der, hinter jener Ecke.“

Diagnosen solcherart sind zwar nicht eben die beste Werbung für eine Stadt (obschon ja gerade Berlin diesem Image noch heute problemlos gerecht zu werden vermag), doch sie kennzeichnen nicht nur die Ambivalenz ihrer Bewohner damals wie heute, sondern zudem das unstete und ruhelose Leben des Autors, dessen Suche nach der einen Heimat stets ein bedeutendes Thema gewesen ist.

In der Titelgebenden Glosse „Trübsal einer Straßenbahn im Ruhrgebiet“ kulminiert Roths Betrachtung seines Jetzt in der Feststellung: „Wir sind am Ziel. Es sieht aus wie der Anfang. Es ist, als gäbe es keine räumlichen Ziele hier: nur zeitliche, wie den sicheren, unausbleiblichen, endgültigen Tod des letzten Stückchens Erde.“ Nachdenklich hinterlässt Roth an vielen Stellen seine Leser, und die besondere Art der Verdichtung dieser Texte indiziert Wehmut und Hoffnung gleichermaßen, denn in den intensiven, aber niemals selbst- oder gar detailverliebten Besichtigungen der städtischen (Um-)Welt gelingt Roth die Zeichnung der Zeit, die in ihrer Darstellung adäquat rezipiert werden kann; gleichsam eine Lektüre für den Fahrgast öffentlicher Verkehrsmittel. Dies sei jedoch keinesfalls als negatives Qualitätsurteil verstanden, denn auch wenn die Feuilletons kurz und prägnant sind, erweisen sie sich – wie stets bei Roth – als äußert intensive Prosakunst, die dann doch wiederum zwischen zwei oder drei Stationen nicht zu bewältigen ist. Und doch: die Existenz des Lebens konstituiert sich erst in ihrer eigenen Beobachtung. Der handliche Band eignet sich für Kenner des Roth’schen Werkes ebenso wie für Liebhaber von Kurzprosa respektive Stadtbeschreibungen.

Das von der Berliner Literaturwissenschaftlerin Wiebke Porombka verfasste Nachwort informiert gut lesbar und zugleich detailliert über Roths Schreibposition und die biografischen Hintergründe. Es formiert die Sichtweise des Autors, den Blick auf das Kleine zu richten, der so das Große erschließe, und stellt damit nicht zuletzt den Versuch dar, die Feuilletons in das Gesamtwerk Roths einzubetten. Porombka ist mit der Herausgabe dieses Bandes – noch dazu in einem österreichischen Verlag – die Renaissance eines Kulturgutes gelungen, das uns in der schnelllebigen Zeit urbaner Verstrickungen einen Moment innehalten lässt und damit eine ideale Lektüre für lange Winterabende darstellt. Ein Band voller Poesie und trefflichen Beobachtungen eines großen Weltbürgers, der so tragisch endete, und dessen Schicksal wie sein noch heute äußerst lesenswertes und aktuelles Werk uns immer wieder zu berühren imstande ist. Vielleicht ist dieses Buch auch eine kleine Huldigung an den Verfasser der Feuilletons. Spät nämlich, wenn auch nicht zu spät, hat die Stadt Wien nach dem berühmten Autor Joseph Roth eine Gasse benannt. Eine schöne Geste für einen Mann, der wohl nirgends richtig heimisch, aber vielerorts zuhause war.

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Joseph Roth: Trübsal einer Straßenbahn. Stadtfeuilletons.
Herausgegeben von Wiebke Porombka.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2012.
267 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270035

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