Detektivroman und esoterische Wahlverwandtschaft

Über Fernando Pessoas Geschichte vom „Höllenschlund“

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fernando Pessoa (1888-1935), der zu Lebzeiten fast unbeachtet war, zählt heute zu den bedeutendsten Dichtern Europas des zwanzigsten Jahrhunderts. Er gilt als der Begründer der modernen portugiesischen Literatur. Der größte Teil seines Werkes, das über 27.000 Manuskripte umfasst, bewahrte er sorgfältig in einer Truhe auf, und blieb so unveröffentlicht. Erst viele Jahre nach seinem Tod wurden seine Gedichte und Prosatexte herausgebracht.

Im deutschsprachigen Raum macht sich seit Jahren vor allem der S. Fischer Verlag um die Herausgabe der Werke von Fernando Pessoa verdient. Nun ist mit „Boca do Inferno“ ein bemerkenswerter, ja merkwürdiger Text aus dem vielschichtigen Nachlass erschienen. Das vorliegende Buch beinhaltet dabei zwei Teile. Der erste Teil versucht anhand eines Briefwechsels nachzuvollziehen, wie es im September 1930 zu einem merkwürdigen Treffen zwischen Fernando Pessoa und Aleister Crowley kam.

In Lissabon traf Pessoa auf den englischen Okkultisten, Magier, Visionär und Dichter Crowley, der für sein kapriziöses Leben berüchtigt war. Nach einer warmherzigen Freundschaft verschwandt Crowley plötzlich unter rätselhaften Umständen und hielt sich vermutlich in „Boca do Inferno“ (deutsch Höllenschlund) an der Atlantikküste auf. Für das geheimnisvolle Verschwinden interessiert sich nicht nur die portugiesische Polizei, sondern auch die internationale Presse.

Da Pessoa die einzige Person war, zu der Crowley in Portugal Kontakt hatte, wird der sonst sehr zurückgezogen lebende Dichter in einen turbulenten Strudel gezogen, vor allem als ein Privatdetektiv, dem Verschwinden Crowleys auf die Spur zu kommen versucht. Seine bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen machen den zweiten Teil des Buches aus. Nach über achtzig Jahren wurde nun versucht, diese Dokumente weitestgehend vollständig, in einer chronologischen Abfolge und mit einer relativ guten Lesbarkeit zu veröffentlichen.

Steffen Dix, dem Kenner, Übersetzer und Pessoa-Forscher, ist es dabei gelungen, die beiden unterschiedlichen Texte zusammenzuführen und die Geschichte so spannend wie ein Kriminalfall zu erzählen. Dazu hat er umfangreiche Recherche unternommen und zahlreiche bisher nicht veröffentlichte Zeugnisse und Briefe in die knapp 400 Seiten mit eingebaut.

Obwohl Dix am Ende den Höllenschlund-Fall auch nicht vollständig klären kann: war es nun Mord, Selbstmord oder eine der Possen Crowleys? – so gibt er doch einen Einblick in die Wahlverwandtschaft der beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten und in Pessoas esoterische Gedankenwelt.

Titelbild

Fernando Pessoa: Boca do Inferno. Aleister Crowleys Verschwinden in Portugal.
Herausgegeben von Steffen Dix.
Übersetzt aus dem Englischen und Portugiesischen von Steffen Dix.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012.
390 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783100608291

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