Die Durchlässigkeit des „Feuilletonstrichs“

Norbert Bachleitners Überblicksdarstellung des europäischen Feuilletonromans

Von Maite Katharina KallweitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maite Katharina Kallweit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der „Feuilletonstrich“ einer Zeitung, der zwischen Nachrichtenteil und Roman gezogen wird, visualisiert eine tatsächlich durchlässige Grenze, wie Norbert Bachleitner in seiner Untersuchung des zwischen den 1840er-Jahren und 1918 erscheinenden europäischen Feuilletonromans zeigt. Nach einer kurzen allgemeinen Einführung skizziert Bachleitner die Presselandschaft in Frankreich und im deutschsprachigen Raum sowie, ergänzend kurz gefasst, in England, Italien, Spanien und Russland. Die betrachteten Zeiträume sind den jeweiligen politischen Phasen entsprechend abgesteckt, nach denen sich die Möglichkeiten der Zeitungsproduktion wesentlich bestimmen. Exemplarische Romananalysen geben einen Einblick in die verschachtelten Handlungskonstruktionen der umfangreichen Texte und vermitteln ansatzweise ein stilistisches Verfahren der Leserbindung.

Die Publikationsform des Feuilletonromans erweist sich als vielschichtiges Geflecht wechselseitiger Einflussnahme, in dem der Roman als „fiktive Nachricht“ ebenso wie als Fiktion des Faktischen und selbst die Nachrichtenmeldung als Teil des Fiktiven zu bezeichnen wäre. Bachleitner leistet eine übersichtliche Darstellung des oftmals in zahlreichen Fortsetzungen erscheinenden Romans, der sich insbesondere durch eine starke Determinierung des Produktionsprozesses auszeichnet. Die jeweilige Pressepolitik und die Funktion der Unterhaltungsprosa als absatzfördernde Maßnahme der Kundenbindung lenkt vielfach den Verfasser. Nicht zufällig ist ein Spannungshöhepunkt der Romanhandlung pünktlich zum Zeitpunkt der Abonnementverlängerung erreicht, der Schluss fällt mit dem Quartalsende zusammen, Handlungsstränge werden Leserkommentaren und Absatzzahlen entsprechend gekappt, Nachrichten werbewirksam je nach verhandelten Romanthemen platziert. Diese strategische Literaturproduktion ebenso wie die für den Leser undurchsichtige Überschneidung von Fakten und Fiktionen vermitteln etwa die von Bachleitner angeführten Briefzitate.

Die mit dem periodischen Erscheinen in der Zeitung verbundenen Merkmale könnten als Besonderheit des Feuilletonromans gegenüber der thematischen Aufnahme zeitgenössischer gesellschaftlicher Probleme noch stärker gemacht werden. So resümiert Bachleitner die Analyse von Texten des deutschsprachigen Raumes von den 1870er-Jahren bis 1918 als Versuch, auf die sozialen Fragen des 19. Jahrhunderts zu antworten, wobei sich die Romane an dem Zielpublikum der Zeitung orientierten. Interessant wäre eine detailliertere Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern sich diese Orientierung am verhältnismäßig klar definierten Zeitungsleser von der generellen Orientierung „politischer“ Literatur an einer bestimmten sozialen Zielgruppe unterscheidet. Gleichwohl stellt Bachleitners Untersuchung klar, dass die Entwicklung des Feuilletonromans selbstverständlich nicht von der Geschichte des Romans zu trennen ist, zumal fast alle Texte vor oder nach dem Abdruck in der Zeitung auch in Buchform erscheinen. Hier wäre wiederum eine vergleichende Analyse aufschlussreich, die Unterscheidungsmerkmale nach der Publikationsreihenfolge herausarbeitet. Bachleitner geht davon aus, dass die Veröffentlichung in Zeitungen das Entstehen einer sozial engagierten Prosa stark gefördert hat. Auch in ihrem Einfluss auf den Roman im 19. und 20. Jahrhundert wünscht man sich die spezifischen Korrespondenzen von Zeitungsmeldung und Unterhaltung der „Fiktiven Nachrichten“ genauer erläutert.

Die intendierte Methode, über die Feuilletonromane einen Zugang zu Autoren, Lesern sowie den zeitgenössischen Distributions- und Rezeptionswegen von Literatur zu finden, wäre zu forcieren und konsequenter zu verfolgen. Mit einer intensiveren Konzentration, etwa auf die Entwicklung des Feuilletonromans in seinen Differenzen und Parallelen zu den eingleisigen Erscheinungsformen der Gattung als Buch, würden die interessanten Details der untersuchten Entstehungsbedingungen für den Leser der Studie aufschlussreicher. Der Anspruch einer europäischen Betrachtung der Anfänge des Feuilletonromans zwingt naturgemäß zur summarischen Überblicksdarstellung, was vermeidbare Hinweise auf die Begrenztheit des mit der Studie zu füllenden Raumes verdeutlichen. Die Darstellung gelingt übersichtlich, doch ließe sich beispielsweise mit einer stärkeren Gewichtung einzelner Romane die spannende Vernetzung von (Zeitungs-)Lesererwartungen und politischer Restriktion, Handlungsführung, Spannungsaufbau, Stil und parteipolitischer Vereinnahmung beziehungsweise Absetzbarkeit des Presseprodukts sowie die Oszillation zwischen Fiktivem und Faktischem präziser entflechten.

Titelbild

Norbert Bachleitner: Fiktive Nachrichten. Die Anfänge des europäischen Feuilletonromans.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012.
134 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783826048784

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