Nichts als Leid

Rainer Juriatti beklagt in seinem Roman all die „Lachdiebe“ dort draußen

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wir könnten tot sein, bevor wir gestorben sind“, zitiert Rainer Juriatti sinngemäß den Regisseur und Schriftsteller Franz Xaver Kroetz und gibt damit dem namenlosen Hauptdarsteller seines neuen Buches „Lachdiebe“ die Richtung vor. Dessen Leben bricht langsam aber sicher auseinander, bis ihm schließlich das Weiter-Leben als die größtmögliche Strafe erscheint, mit der er sich belegen kann.

Juriattis Anti-Held mag zwar beruflich Erfolg haben, er mag ein geachteter und vielgelobter Bildredakteur sein, scheitert jedoch grandios in seinem Privatleben: Nach einer belanglosen Banalität verlässt ihn seine Frau, auch seine Kinder lösen sich emotional von ihm – was ihm noch bleibt, ist nur der Plüschhund Gerold, ein Geschenk seiner jüngsten Tochter. Wo die neue Berufsperspektive in der weit entfernten Stadt Graz gerade recht zu kommen scheint, um ein wenig Abstand zu gewinnen, bedeutet die Luftveränderung letztlich vielmehr die absolute Einsamkeit. Kurzum: Der Österreicher Juriatti lässt seinen Helden auf gut 150 Seiten langsam vor sich hinvegetieren und viele kleine Tode in seiner „Haltung der Erschöpfung“ sterben.

Dabei hat sich Juriatti entschieden, das Innenleben seines kreatürlichen Darstellers auch durch stilistische Mittel abzubilden: So entwirft er mit jeweils nur wenigen Zeilen kurze Szenen des Niedergangs. Seine Sprache entspricht mit ihrer Kargheit und unprätentiösen Schlichtheit dem gewählten Thema, strengt bisweilen jedoch durch ihre Artifizialität an. Auch der stakkatoartige Stil erschöpft sich recht bald: was anfangs noch das Gefühl der Beklemmung zu transportieren wusste, wird bald eintönig und redundant. Ähnliche Szenen werden in nahezu identische Worte verpackt – was wohl die Eintönigkeit und stete Wiederkehr in der gescheiterten Existenz zeigen soll, führt bei dem Leser bald zu einem Gefühl der Ermüdung. Die Muster aus Trunkenheit, oberflächlichen Affären und einer Mischung aus Trauer und Gleichgültigkeit zugleich kehren wieder und wieder. „So floh die Zeit.“

Das liegt nicht zuletzt auch am eigenen Anspruch des Buches: Juriatti holt zur Generalkritik an all den „Lachdieben“ aus und nimmt die ganze Palette menschlicher Verfehlungen unter die Lupe: „Der Mensch war ein Sportschuh der besonderen Marke, ein T-Shirt aus einem angesagten Label, auch eine Kaffeemaschine, die ganz mit der Zeit ging, der Mensch war eine Glasscherbe der Tiroler Firma, die effektvoll auf iPhones platziert werden musste, um endgültig zum angesagten Menschen zu werden. Der Mensch war Stoff, Leder, Elektronik, Glas und Glamour.“

Besonderen Wert bei seiner Anklage gegen das moderne Leben legt er jedoch auf das soziale Netzwerk Facebook und fragt, wer dort eigentlich mit wem kommuniziert? Was wir noch persönliches von uns hinterlassen? Wer seine tausend Freunde beisammen hat, kann schließlich „jeden Menschen, den er nicht persönlich“ kennt, entfernen, um sich dann doch zu gruseln und schnell zu stoppen, wenn die „Freundesleiste die Zahl 99 erreicht“. Letztlich fragt Juriatti auch, ob nicht all die scheinbar tiefsinnigen Sentenzen in den sozialen Netzwerken vielmehr ein spezieller Ausdruck von Konformität, Inszenierung und Selbstbetrug sind: „Warum nur machten die Menschen alles publik, um gleichzeitig mehr Intimität zu fordern?“ So lässt er seinen Ich-Erzähler nicht nur dem Alkoholismus und diversen flüchtigen Frauenbekanntschaften verfallen, sondern auch junge Mädchen über „Facebook“ anflirten, ohne jedoch in all den virtuell-geschönten Bekanntschaften realen Trost zu finden. So wird das Flüchtige „das Bestimmende der Wahrnehmung“. Statt dabei jedoch geschickt zu persiflieren, stellt Juriatti lediglich fest, reiht letztlich nur eine Verfehlung der abgelebten Welt an die nächste. So wird sein Buch eben doch keine Generalabrechnung, sondern nur eine kraftlose Bestandsaufnahme.

„Lachdiebe“ wird somit zu einer ungenutzten Chance: Die solide Grundidee gepaart mit dem durchaus stimmigen Stil krankt an der Themen-Überfrachtung und der teilweise artifiziellen Sprache. Letztlich fehlt Juriatti einfach der Biss, die moderne Lebenswelt wirklich zu zersetzen. Einfach zu selten ist die Anklage Juriattis so stimmig wie in diesem Fall: „Wer heute in Tschernobyl lebt, konnte lächelnd verstrahlte Karotten am Straßenrand kaufen. Gemüsesuizid.“ Zu selten gelingt einfach die innere Poesie – das können auch die zahlreichen Literaturanleihen und -zitate an und von Voltaire, Wilhelm Raabe, Peter Handke und viele andere nicht retten. Und so ist letztlich leider auch das Buch tot, ehe es wirklich ein Ende gefunden hat.

Titelbild

Rainer Juriatti: Lachdiebe. Roman.
Limbus Verlag, Innsbruck 2012.
168 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783902534606

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