Wie man in Europa flucht. Über Hans-Martin Gaugers Band „Das Feuchte und das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache.“

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans-Martin Gauger ist ein Professor der Romanistik, der in seiner unterhaltsamen und durch viele Quellenbelege aus den europäischen Sprachen gestützten Abhandlung den Gebrauch des Fluchens als innerseelisches Entlastungsventil untersucht hat. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass die deutsche Sprache sich insofern von anderen, mehr auf das Religiöse und Sexuelle fixierten europäischen Sprachen unterscheidet, als sie im Gegensatz zu diesen ausschließlich das Reinlichkeitstabu verletzt.

Obwohl Gauger es strikt unterlässt, als Begründung hierfür Sigmund Freuds Thesen im Sinne der Vulgärpsychologie heranzuziehen, möchte man doch mit Hans-Dieter Gelfert (Typisch Englisch. Wie die Briten wurden, was sie sind, München 1998) feststellen, dass die Tabuverletzung in diesem Bereich auf einen pedantischen und ordnungsliebenden Menschen, gehorsam und autoritätsfixiert, hinweist. Genau diese Eigenschaften werden den Deutschen als Klischee von ihren Nachbarländern seit alters her nachgesagt. Vorausgesetzt, dass Ordnung und Reinlichkeit ein Gemeinwesen stärken, so wird man diese Eigenschaften bevorzugt bei Gesellschaften finden, die sich wie die Deutschen durch ihre offenen Grenzen seit alters her gegen Andere behaupten müssen. Setzt man diesen Gedanken fort, so gelangt man zu dem Schluss, dass die geografische Lage Deutschlands in der Mitte Europas, umgeben von mehreren Nachbarländern, zur Herausbildung dieses Sonderwegs im Fluchen geführt hat.

Stefanie Leibetseder

Titelbild

Hans-Martin Gauger: Das Feuchte und das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
283 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783406629891

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