Zu dieser Ausgabe

Vor 200 Jahren, am 20. Januar 1813, starb Christoph Martin Wieland in Weimar. Arno Schmidts Funk-Essay „Wieland oder die Prosaformen“ erinnerte 1956 an den seinerzeit beinahe vergessenen Aufklärer und literarischen Innovator des 18. Jahrhunderts. Der dozierende Sprecher des dialogischen Essays äußert über den am 5. September 1733 in einem schwäbischen Pfarrhaus geborenen Dichter, Shakespeare-Übersetzer, Herausgeber, Literaturkritiker und Autor vertrackter Romane: Gegen „Mitte=Ende Zwanzig, nach ausgiebigem Studium von Swift, Voltaire, Lukian, beginnt ihm das Christentum blasser und verdächtiger zu werden: er findet das dem Manne angemessenere Element der Aufklärung – ,La Lumière’ wie ich lieber zu sagen pflege – oder, mit Wieland selbst zu reden: ,Nur, wer das Licht nicht scheut, / der ist mit mir verbrüdert.‘ Er war an einen Kreuzweg der Geister gelangt…..“. Die strikte „Ablehnung, bestenfalls euhemeristische Begutachtung, jeglichen Unendlichkeitsfimmels“ sei einer der wichtigsten Aspekte von Wielands Prosa, unterstreicht der Bewunderer.

Wie kaum jemand sonst rühmte Schmidt sein Vorbild Wieland aber nicht nur als Religionskritiker, sondern auch als überaus modernen, ja geradezu visionären Autor seiner Epoche, „durch dessen Schreibtisch wir Schriftsteller unsern ersten Meridian ziehen müssten“. Wie so oft in seinen Radiobeiträgen über ‚vergessene Kollegen‘ hebt Schmidt besonders ein Hauptwerk Wielands hervor, über das Sie in unserer vorliegenden Ausgabe noch mehr erfahren können: „Nach ein paar kurzen, unbedeutenden Handübungen gelingt ihm im höchsten Alter das unnachahmliche Großmosaik des ,Aristipp’: von mehreren Schauplätzen her empfängt der Leser jeden Brief selbst; in immer erneuter Gegenwart; aus Kyrene und Athen spricht es zu ihm; schönste, kunstvoll sich entwickelnde Menschlichkeiten sind ins bedeutend Historische und Kulturgeschichtliche gewoben; organisch selbst die, nur dem Unkundigen langweiligen, in Wahrheit unschätzbaren Erörterungen über Anabasis und Politeia: der ,Aristipp’ ist, wie der einzige ,historische’, so auch der einzige ,Briefroman’, den wir Deutschen besitzen, und mit Ehren vorzeigen können.“

In der Februar-Ausgabe versammelt „literaturkritik.de“ anlässlich des 200. Todestages von Wieland eine Reihe von Beiträgen ausgesprochener Kenner seines Werks. Sie handeln vom Leben des Autors, von seinem Schaffen, der zum Teil prekären Geschichte seiner Rezeption und seinem Einfluss auf berühmte Nachfolger des 19. und 20. Jahrhunderts.

Darüber hinaus ist an dieser Stelle eine Neuigkeit anzuzeigen: In dieser Ausgabe stellt sich unser Autor Dieter Lamping erstmals mit seiner „Lyrik-Kolumne“ vor. Neben den „Laut & Luise“-Glossen von Luise F. Pusch und den – bis Ende des Jahres vorerst ausgesetzten – „Abstimmungen mit der Welt“ von Dirk Kaesler, die unsere Zeitschrift bereits seit geraumer Zeit bereichern, werden Lampings Beiträge als regelmäßige Glosse fortan monatlich bei „literaturkritik.de“ erscheinen. Die Redaktion freut sich über die Kooperation mit der Komparatistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die in den kommenden Monaten weiter ausgebaut wird: Dazu demnächst mehr!

Herzliche Grüße
Ihr
Jan Süselbeck