„Menschen…erlebt, gezeichnet, gemalt“

Eine Chemnitzer Publikation über den expressiven Realisten Conrad-Felixmüller

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Menschen…erlebt, gezeichnet, gemalt“, so nannte er sein autobiografisches Fragment, das er 1975, zwei Jahre vor seinem Tod, zu schreiben begonnen hatte. Von seinem ersten Selbstbildnis als Knabe (1909), dem „Arbeiter Schiefner“ (1921), dem „Tod des Dichters Walter Rheiner“ (1925), dem „Liebespaar von Dresden“ (1928), einer Selbstdarstellung mit seiner Gattin Londa, „Londa, vom Ai betrachtet“ (1933) bis zu den späten Porträts stand immer wieder der Mensch im Mittelpunkt seiner Arbeit, dessen Gesicht, dessen Haltung, dessen Arbeit und Leben. Der in Dresden geborene Zeichner, Maler und Grafiker Conrad Felixmüller erfasste den Menschen als Charakter wie als Typus. Zunächst war für ihn die Empfindung gegenwärtig, dann formte sich – ausgehend vom Expressionismus und Kubismus – im Vorgang des Sehens eine visionäre Wirklichkeit; er vertrat einen sozialkritisch geprägten expressiven Realismus, mal analytisch beobachtend und neusachlich, dann wieder – seit 1930 – mit einer erzählerischen, genrehaften Tendenz in beruhigter Bildsprache und atmosphärisch-impressionistischer Weichheit.

Der selbstgewählte „Tod des Dichters Walter Rheiner“, eines der bedeutendsten Bilder des Nachexpressionismus, wird vor dem Hintergrund von Inflation und Arbeitslosigkeit zu einem mitfühlend wie neusachlich detailliert beschriebenen, fast öffentlichen Ereignis. Der Dichter stürzt, die Arme wie zum Flug ausgebreitet, einen letzten Gruß winkend,  aus dem Fenster in die Tiefe der unendlich scheinenden Stadt. Das innere Erleben der nächtlichen Großstadt wird hier in der kaleidoskopartigen Brechung wechselnder Ansichten in einer Zwischenwelt von Visionen und Sichtbarem in Bildsprache geformt.

Die den Kunstsammlungen Chemnitz angeschlossene Stiftung Gunzenhauser enthält neben fast 300 Arbeiten von Otto Dix oder 75 Werken von Alexej von Jawlensky 116 Werke von Conrad Felixmüller, des „Expressionisten der zweiten Generation“, die zwischen 1915 und 1970 entstanden sind. Ergänzt durch 80 Leihgaben präsentieren die Kunstsammlungen Chemnitz nun mit mehr als 200 Werken (bis 7. April) die erste Retrospektive des Werkes von Felixmüller seit über 20 Jahren. Der die Ausstellung begleitende Katalog fasst unter den Aspekten Menschen, Familie, Orte, Zirkus, Freunde, Politik, Arbeitswelten und Tautenhain (dem Wohnort Felixmüllers von 1944 bis 1961) die gezeigten Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und druckgrafischen Arbeiten zusammen. Jutta Penndorf, Direktorin des Lindenau-Museums Altenburg, das die wohl größte Felixmüller-Sammlung besitzt, gibt ein anschauliches Porträt des Menschensuchers und -gestalters Felixmüller. Dessen Ausstellungen in Chemnitz „als Beispiel für die Wandlung seines Werks und dessen Rezeption zwischen 1919 und 1933“ widmet sich Thomas Bauer-Friedrich, Kurator des Museums Gunzenhauser. In zwei weiteren Beiträgen  geht er auf das Schaffen des Künstlers in den Jahren zwischen 1933 und 1945 und 1945 bis 1967 ein. Erstmals publiziert wird ein handschriftliches Manuskript des Künstlers und maschinenschriftliches Typoskript des Freundes Hanns-Conon von der Gabelentz aus dem Jahr 1952 über das Triptychon „Im Kohlenwerk“ (1951), das nach dem Tod des Künstlers einzeln verkauft wurde, sich heute in drei Privatsammlungen befindet und nun in der Chemnitzer Ausstellung erstmals wieder zusammenhängend gezeigt werden kann. Felixmüller bezeichnete damals sein Anliegen so: „Ohne Pathos oder ‚Atelier‘ diese Menschen inmitten ihrer interessanten, wichtigen Arbeit als Herren ihres Werkes lebenswahr darstellen“. Damit im Zusammenhang steht der Aufsatz von Katharina Heider (TU Dresden) über Felixmüller in Halle/Saale vor dem Hintergrund der Formalismus-Debatte in der DDR, während Barbara Wiegand-Stempel sich mit den Malereien des Künstlers auf den Emporen der Kirche zu Tautenhain beschäftigt. Ein Werkverzeichnis der in den Kunstsammlungen Chemnitz befindlichen Werke sowie der ausgestellten Arbeiten schließt den materialreichen Band ab. Hier fehlen allerdings die Hinweise auf die Abbildungen, so dass man beim Suchen eines Werkes erst mühselig blättern muss.

Anfänglich vom „Brücke“-Expressionismus beeinflusst, hatte sich der Künstler in der Aufbruchsstimmung nach dem Ersten Weltkrieg einem emphatisch sich bekennenden Kommunismus zugewandt. 1920 nutzte er den ihm verliehenen Sächsischen Staatspreis nicht für einen Rom-Aufenthalt, sondern erschloss sich im Ruhrgebiet neue Bildthemen aus der Industrie- und Zechenwelt. Seine typologischen Arbeiterbildnisse haben ihre Wirkung auf den um 1920 noch mit dem Dadaismus experimentierenden Otto Dix nicht verfehlt. Bei Felixmüller erscheint die Vereinzelung der menschlichen Gestalt zwischen den für sich existierenden Dingen – die Häuser, die Brücke, die Gas – und Fördertürme – als Ausdruck der Fremdheit. Die Proletarier mit ihren holzschnittartig kantigen, durchfurchten Gesichtern (so „Arbeiter Schiefner“) sind von Dingen umgeben, zu denen sie keine aktive Beziehung haben, gegen die sie als einzelne auch nicht ankommen können. „Im Frühlingswind“ (1920) kämpft sich ein Proletarier-Liebespaar – eng aneinandergepresst – verzweifelt durch die stürmische Nacht. Die Personen und der sie umgebende Lebensraum verdichten sich zu einer sinngebenden Vorstellungseinheit.

Aus Felixmüllers Selbstporträts und den Porträts seiner Künstlerfreunde spricht ein stoizistisches Pathos, getragen von expressiv-kubistischen Elementen. Eine Porträtzeichnung des Verlegers Felix Stiemer (1916) diente ihm als Vorlage für eine Lithografie aus dem gleichen Jahr und verwendete er 1918 für ein Gemälde, in dem sich der „Synthetische Kubismus, das ist die Absolute Gestalt!“, wie ihn Felixmüller in seinem „Postulat“ feiert, am klarsten manifestiert. Kampfentschlossene Wut reflektiert das Gesicht seines malenden Freundes Otto Dix. Sich selbst gibt er als finsteren, unverbindlichen Intellektuellen. Der „Dadasoph“ Raoul Hausmann mit aufgerissenem Monokel-Auge erscheint wie ein agitatorischer Hypnotiseur. Der stilistischen Erprobung der Übersteigerung und Verzerrung in den Arbeiter- und Künstler-Bildnissen stehen dann die Schilderungen seines Familienlebens gegenüber, mit denen er ab 1918 „die Kunst der Liebe, der menschlichen Beziehung“ verwirklichen wollte. Er hat gegen Ende der 1920er-Jahre auch Mitglieder der gehobenen Gesellschaft – die mondäne Schauspielerin, die extravagante Dame, die exotische Schönheit – porträtiert.

Nach der expressionistisch-kubistischen Phase war Felixmüller Realist und Pleinairist geworden. Die Landschaft, die Jahreszeiten gewannen an Bedeutung, die Farben leuchten zunächst in Orange, Gelb, Grün und Violett. Er setzte dann in den späten 1920er-Jahren nicht mehr Komplementärfarben nebeneinander, sondern Ton an Ton, baute die Malerei in Valeurs auf. Er selbst hat dieses Verhältnis als „Abgeklärtheit“ bezeichnet, die ihn für die sichtbaren Daseinseindrücke empfänglich machen sollte. Die Verve früherer Jahre ist zurückgenommen, eine Harmoniesehnsucht scheint ihn zu umgeben, und doch ist die Kraft spürbar geblieben.

In vielen Selbstbildnissen hat Felixmüller Rechenschaft abgelegt über seinen Werdegang und jeweiligen Standort – es sind grüblerische Selbstanalysen (so das „Selbstbildnis mit Sportmütze“, 1920), sie spiegeln Glück und Leid, Zerrissenheit und Angst, Zuversicht und Resignation, Selbstbehauptungswillen wider. Er hat sich an der Staffelei dargestellt, zusammen mit seiner Frau Londa, sie oder seine Söhne Luca und Titus malend. Er hat seine Staffelei ebenso im sächsischen Braunkohlenrevier aufgeschlagen wie auf der einstigen Carola-Brücke, die Dresdner Altstadtsilhouette vor Augen. Gegen Ende seines Wirkens an der Universität in Halle hat er sich in einem Gruppenbild als lebenserfahrener Lehrer der Jugend dargestellt („Selbstbildnis mit den Studenten in Halle“, 1960).

Die persönliche Diffamierung und die Liquidierung seiner Werke in der NS-Zeit haben Felixmüller schwer getroffen. Für ihn blieb 1934 nur die „Flucht“ in die Anonymität Berlins, die Angst vor Durchsuchungen und öffentlichen Kontrollen ließen ihn große Teile seines Werkes vernichten, bisweilen übermalen. 1938 verbrannte er ein Hauptwerk der Frühzeit, „Der Redner Otto Rühle“ von 1920. Nach 1945 hat er es wiederholt, um es dem Vergessen zu entreißen. In Berlin ausgebombt, war er 1944 in das Dorf Tautenhain unweit von Leipzig übergesiedelt, für dessen Kirche er 1951/52  Emporengemälde – von ihm als sein „Glaubensbekenntnis“ bezeichnet – schuf.  Was Felixmüller zeichnete, malte, radierte, lithografierte und in Holz schnitt, erweist sich hier als der zentrale Teil seines Lebensschaffens.

Titelbild

Conrad Felixmüller: Conrad Felixmüller. Zwischen Kunst und Politik.
Herausgegeben von Ingrid Mössinger und Thomas Bauer-Friedrich.
Wienand Verlag, Köln 2012.
269 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783868321401

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