Der deutsche Arzt José

Lucía Puenzo wagt sich in ihrem Roman „Wakolda“ an Josef Mengeles Zeit in Argentinien heran

Von Stefanie RoennekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Roenneke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Josef Mengele wurde nie gefasst. Ein Umstand, der immer noch zu ungläubigem Staunen führen kann, aus Unwissenheit oder aufgrund dieser empörenden Tatsache. Denn jener Lagerarzt von Auschwitz, der wie viele andere Namen ein Synonym für den nationalsozialistischen Wahn und Terror war, ist 1979 ertrunken. Bis zu seinem Tod lebte er unter anderem in Argentinien, Paraguay und Brasilien. Ein Umstand, der zu vielen Mythen und Spekulationen führte. Denn wie konnte der Nazi-Arzt so lange unbehelligt leben und wie hat er sein Leben geführt? Die argentinische Schriftstellerin Lucía Puenzo wirft mit ihrem dritten Roman „Wakolda“ einen Blick auf Josef Mengele und das Argentinien der 1960er-Jahre.

Josef Mengele ist José, der bei der Flucht aus Buenos Aires auf eine Familie trifft, und mit ihnen den Weg nach Bariloche antritt. Er ist von seinen Reisebegleitern angewidert und zugleich fasziniert. Insbesondere die kleinwüchsige Lilith samt ihrer Puppe und die mit Zwillingen schwangere Mutter haben es ihm angetan, so dass er sich schließlich in der Pension der Familie in Bariloche einquartiert. Dort gibt sich José nicht nur der Erinnerung an Liliths Puppe hin. Eine wahnwitzige Begeisterung, die darin gipfelt, dass er eine eigene Puppenfabrik eröffnet, um idealtypische Arier-Puppen herzustellen, die weniger zur Dekoration, sondern viel mehr als eine Markierung dienen sollen. Er nutzt die Naivität und Sehnsucht der Familie nach körperlicher Gesundheit aus, und führt seine Experimente mit der zwölfjährigen Lilith und den neugeborenen Zwillingen weiter, unterstützt durch ansässige Nationalsozialisten.

Die Zusammentreffen zwischen der Familie und José lässt ein unheimliches Gefüge entstehen, das in der Wirkung dann am Stärksten ist, wenn José und Lilith alleine sind, wenn ein unschuldiges Kind mit dem Grauen interagiert, wenn Wissen auf Unwissenheit trifft und der Leser mit dem allwissenden Erzähler die Szenearie distanziert überblickt.

Puenzo schafft aus den Fakten und Mythen um Josef Mengele einen bestürzenden, faszinierenden Roman. Auch weil sie dem Leser die Befriedigung nach historischer Gerechtigkeit nicht gönnt. Das Grauen findet einen Weg.

Titelbild

Lucia Puenzo: Wakolda. Roman.
Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Rike Bolte.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012.
198 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132468

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