Über Avantgarde, Konservatismus und Faschismus

Wieder ein Blick auf Arthur Moeller van den Bruck

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arthur Moeller van den Bruck gilt unbestritten als eine der zentralen Figuren des völkischen Nationalismus und – gleichsam als deren „ungekrönter König“ (Henning Ottmann) – der sogenannten Konservativen Revolution in den Jahren der Weimarer Republik. Für die Nationalsozialisten wurde er zum Referenzpunkt und Konfliktherd, wie auch für die extreme Rechte der Bundesrepublik. Der Hamburger Historiker Volker Weiß, dessen im Jahr 2009 von der Universität Hamburg angenommene Dissertation nun im Druck vorliegt, weist dabei selbst zu Beginn seiner Arbeit auf den bemerkenswerten Umstand einer jüngeren Konjunktur wissenschaftlicher Arbeiten zu Moeller van den Bruck hin. Konnte noch vor wenigen Jahren, namentlich in der zuletzt aktualisierten Auflage von Armin Mohlers „Die Konservative Revolution in Deutschland“ (2005), auf das Fehlen einer aktuellen Monografie zu Moeller van den Bruck hingewiesen werden, liegen inzwischen gleich mehrere Bücher vor, die sich diesem Autor widmen.

Neben der hier zu besprechenden, in gleicher Weise umfangreichen wie mit beeindruckender Quellenkenntnis aufwartenden Studie von Volker Weiß, ist dabei insbesondere das Buch von André Schlüter, Moeller van den Bruck, Köln 2010 zu nennen, welches sich im Gegensatz zu Weiß jedoch stärker „Leben und Werk“ (so auch der Untertitel) Moellers widmet. Darüber hinaus findet Moeller van den Bruck auch im politisch-aktualisierenden Zusammenhang der sogenannten Neuen Rechten verstärkte Aufmerksamkeit, beispielsweise in Gestalt des von Sebastian Maaß besorgten Bandes „Kämpfer um ein drittes Reich. Arthur Moeller van den Bruck und sein Kreis“, Wuppertal 2010.

Nicht zuletzt deshalb ist es zu bedauern, dass Volker Weiß in seiner vornehmlich am ideenhistorischen Kontext des Konservatismus und an der Rezeption Moellers interessierten Studie auf dessen Rezeption in der Zeit nach 1945 nur sehr knapp und in einem resümierenden Abschnitt eingeht. Dieses Detail zeigt freilich auch, dass es der Forschung über Moeller van den Bruck auch in Zukunft nicht an Material mangeln wird.

Der 1876 in Solingen geborene Arthur Moeller machte sich bereits im Kaiserreich einen Namen als Publizist und Kulturtheoretiker. Hervorzuheben ist hier insbesondere die ab 1906 im Piper Verlag unternommene, von Moeller zunächst gemeinsam mit Dmitri Mereschkowski sowie mit der Übersetzerin Elisabeth Kaerrick verantwortete, erste umfassende deutschsprachige Dostojewski-Ausgabe. Dabei vermag es nicht überraschen, wenn Weiß sich dem bereits von Christoph Garstka vorgebrachten Befund anschließt, dass Moellers zu den Bänden der Dostojewski-Ausgabe verfasste Vorworte und Kommentare „mehr über ihren Verfasser als über die Werke des Schriftsteller“ Dostojewski aussagen.

Weiß’ voluminöser Studie geht es allerdings ohnehin weniger um Moellers Werk als solches, als vielmehr um eine Einbettung Moellers in den Zusammenhang eines weiter reichenden historischen Wandlungsprozesses des deutschen Konservatismus. Bereits in den Jahren vor dem Krieg reflektiert Moeller einerseits die sich wandelnden historischen Umstände, in denen sich der Konservatismus zu bewegen hat, während er andererseits auf eine „revolutionäre Beschleunigung“ des deutschen Konservatismus hinwirkt.

Moeller erscheint insofern als paradigmatischer Vertreter einer entschiedenen Modernisierung eines Konservatismus, der im Zuge sozialer Modernisierungsprozesse und politischer Veränderungen spätestens am Ende des Ersten Weltkriegs seiner traditionellen Orientierungspunkte verlustig gegangen ist. Die von Moeller maßgeblich repräsentierte, sich in der Republik selbst als „jungkonservativ“ bezeichnende Strömung hatte mit dem agrarischen, preußisch-protestantischen-monarchistischen und der Moderne grundsätzlich reserviert bis ablehnend gegenüberstehenden Konservatismus des 19. Jahrhunderts kaum mehr etwas gemein. An die Stelle von Monarchie und Adel tritt ein grundsätzlich antidemokratischer Elitismus, an die Stelle Preußens und des Protestantismus ein vehementer deutsch-völkischer Nationalismus.

Letzterer trägt allerdings bei Moeller – im Kontext einer quasi-metaphysischen Völkerlehre – nicht unmittelbar imperiale Züge, sondern sucht vielmehr in scharfer Abgrenzung vom liberal-dekadenten Westen eine Orientierung hin nach Osten, insbesondere nach Russland (auch nach der Oktoberrevolution) und zu anderen vermeintlich „jungen“ Völkern. Diese Orientierung hin nach Osten bildet einen der originellsten Beiträge Moellers zur Ideengeschichte der deutschen Rechten, nicht zuletzt später auch einen zentralen Abgrenzungspunkt der Nationalsozialisten.

Dieses Interesse an einer engeren deutsch-russischen Bindung entwickelt Moeller über die Dostojewski-Ausgabe hinaus noch vor Ende des Krieges, es bleibt ihm jedoch auch nach der Oktoberrevolution und findet seinen eindrücklichen Niederschlag in Moellers Buch „Das Recht der jungen Völker“ (1919). Im selben Jahr wird Moeller zu einem der Mitbegründer des Berliner Juni-Klubs in der Berliner Motzstraße, der zu einem Mittelpunkt des antirepublikanischen Kampfes und des antiwestlichen Ressentiments in den Weimarer Jahren werden sollte – mit Moeller als Führungsfigur. Zwar verliert sich nach Moellers frühem Tod im Jahr 1925 dessen unmittelbare politische Wirkung im deutschen Konservatismus, nicht zuletzt in Verbindung mit Konflikten seiner Anhänger um sein geistiges Erbe. Gleichwohl bleiben Moellers Ideen als zentraler geistiger Bezugspunkt bis in die Zeit des Nationalsozialismus lebendig. Und das nicht allein durch sein Hauptwerk „Das dritte Reich“ (1923), in welchem er entscheidend dazu beiträgt, dieses Motiv aus seinem christlichen Kontext zu lösen und zu einem Symbol einer Verbindung von Nationalismus und Sozialismus zu machen – wenn sich auch zeigen lässt, dass Hitler das Symbol des „Dritten Reichs“ nicht aus Moellers Schrift übernahm.

Was das Verhältnis zwischen Moeller und dem Nationalsozialismus anbelangt, so nimmt Weiß in seinem Buch auf Grundlage bislang unbekannter Akten eine Neubewertung vor, die insbesondere Argumente, wonach Moeller seitens der Nationalsozialisten überwiegend abgelehnt worden wäre, in Zweifel zieht. Weiß widmet sich diesem Thema in zwei umfangreichen Kapiteln. Durch seinen Tod im Jahr 1925 wurde für Moeller selbst eine eindeutige Stellungnahme zum Nationalsozialismus nicht notwendig, obschon er Hitler durch einen Auftritt im Juni-Club sowie durch die auch von dort verfolgten Ereignisse um den Putschversuch Hitlers im November 1923 in München kannte. In diesem Zusammenhang macht Weiß die sehr abweichenden und mit den jeweiligen Zeitumständen schwankenden Berichte über eine Bewertung Hitlers durch Moeller deutlich, die jedenfalls eine klare Positionsnahme Moeller zum Nationalsozialismus nicht ausmachen lassen, wobei eine spätere Ablehnung des fehlgeschlagenen Münchner Putschversuchs nicht zuletzt Sorge um die eigene Sache verraten.

Ob Moeller selbst ein Anhänger des Nationalsozialismus hätte werden können, muss Spekulation bleiben. Mit der Massenorientierung der Nationalsozialisten und dem persönlichen Führungsanspruch Hitlers bestanden zweifellos programmatische Dissenspunkte, die allerdings viele von Moellers früheren Weggefährten aus dem konservativen Umfeld schließlich nicht von der Fehleinschätzung abhielten, man könne sich der Nazis zu eigenen Zwecken bedienen. Im Übrigen muss man die Rezeption Moellers in den Jahren nach 1933 als überwiegend positiv einschätzen, wie Weiß entschieden feststellt. In diesem Zusammenhang weist er etwa auf die Anstrengungen der Witwe Moellers und des Schriftstellers Hans Schwarz zur Einrichtung eines bis 1939 in Berlin bestehenden Moeller-van-den-Bruck-Archivs hin.

Auch zeigt Weiß, dass von einer generellen oder auch nur überwiegenden Ablehnung Moellers durch die Nationalsozialisten keine Rede sein kann. Vielmehr lassen sich Auseinandersetzungen innerhalb der Nationalsozialisten über Moeller, wie Weiß überzeugend argumentiert, in erster Linie als Kämpfe um die Deutungsmacht über Moellers Erbe bzw. die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus selbst verstehen. Angriffe, die etwa das SS-Blatt „Das Schwarze Korps“ vermeintlich gegen Moeller führte, erweisen sich so bei genauerer Lektüre mehr als Angriffe gegen verbliebene Konservative, denen eine falsche Vereinnahmung Moellers vorgehalten wurde. Dabei sind Differenzen etwa betreffend Moellers Rassentheorien oder seiner Ost-Orientierung natürlich auch den Nationalsozialisten nicht unbemerkt geblieben. Dennoch ließ sich Moeller in ein weiteres Feld von Vorläufern der nationalsozialistischen Bewegung eingemeinden. Es besteht insofern auch kein Grund, obschon sich neben den Nazis auch einige seiner Gegner – etwa im Umfeld des 20. Juli 1944 – auf Moeller beriefen, diesen gar zu einem geistigen Vorläufer des Widerstands zu stilisieren.

Unabhängig von dieser Frage des Verhältnisses der Nationalsozialisten zu Moeller van den Bruck sieht Volker Weiß diesen jedoch als paradigmatischen Vertreter eines erneuerten, modernen Konservatismus. Der wilhelminischen Ära entstammend und aus seinen Anfängen als Bohèmien, Kulturkritiker und Kulturtheoretiker heraus ging es Moeller in seinen Schriften stets um die Frage einer Verbindung von Ästhetik und Politik. Durch seinen Kunstgeschmack, seine Architekturtheorie, seine Technikbegeisterung, die ihn namentlich in eine selbst empfundene Nähe zu den italienischen Futuristen brachte, musste Moeller zunächst wie ein exzentrischer Geist unter den Konservativen seiner Epoche erscheinen, ehe mit der Weimarer Republik die Frage einer Modernisierung des Konservatismus andere Bedeutung gewann.

Moellers Antwort darauf war der Versuch, eine „alternative Moderne von rechts“ – jenseits von Liberalismus und Demokratie – zu konzipieren, die in dieser Hinsicht eine gewisse geistige Verwandtschaft zu den mit dem Faschismus sympathisierenden Futuristen oder mit Autoren wie Julius Evola, Ezra Pound oder Gottfried Benn aufweist. Durch seinen frühen Tod blieb es Moeller erspart, seine politischen und ästhetischen Vorstellungen einer „anderen“ Moderne mit der der Nationalsozialisten auseinanderzusetzen. Nicht nur im Hinblick auf die problematische Geschichte des Verhältnisses der konservativen Rechten zum Nationalsozialismus – mit Carl Schmitt und Edgar Julius Jung lassen sich zwei frühere Weggefährten Moellers aus dem Umfeld des Juni-Clubs benennen, die nach 1933 sozusagen entgegen gesetzte Schicksale nahmen –, sondern gerade auch im Hinblick auf die Geschichte einer aus heutiger Sicht eher ungewohnten, politisch rechts stehenden ästhetischen Avantgarde, lohnt sich ein neuer Blick auf Moeller van den Bruck. Volker Weiß’ Studie gebührt das Verdienst, beide Perspektiven ineinander überführt zu haben.

Titelbild

Volker Weiß: Moderne Antimoderne. Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Konservatismus.
Schöningh Verlag, Paderborn 2012.
550 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783506771469

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