Friedhelm Rathjens „Poets, Books & Rock’n’Roll“ – Literatur und Rockmusik: ein Alphabet querbeet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die gesamte Weltliteratur lässt sich in zwei Kategorien einteilen: Texte, in denen Rockmusik vorkommt, und Texte, in denen sie nicht vorkommt. Diese Einteilung ist aber nicht ganz so profund, wie es zunächst scheinen mag, insbesondere das Nichtvorkommen der Rockmusik hat oft überaus banale Gründe, und seien es nur solche der literaturgeschichtlichen Entwicklung – in vor 1960 entstandenen Texte kann schlicht gar keine Rockmusik vorkommen. Sinnreicher ist eine zweite Unterscheidung, anzuwenden lediglich auf die zweite der beiden bereits benannten Kategorien: Texte, in denen Rockmusik ohne konkrete Namen vorkommt („auf der Bühne lärmte eine laute Beat-Combo“ und dergleichen), sind klar zu trennen von Texten, in denen Namen und Daten fallen. Wer sich angewöhnt, bei der Lektüre von Literatur auf das Vorkommen von Rock- und verwandter Musik zu achten, wird bald ein gutes Gespür dafür entwickeln, in welchen Texten konkrete Namen zu erwarten sind und in welchen nicht. Mit Alter oder Generationszugehörigkeit des Autors hat diese Unterscheidung nur sehr wenig zu tun, sie ist existentiellerer Natur.

Es drängt sich auf, analog zur genannten literarischen Unterscheidung auch Rockmusiktexte danach zu unterscheiden, ob sie Verweise und Anspielungen auf literarische Texte und ihre Autoren enthalten oder nicht; der nähere Blick ergibt allerdings ein vollkommen diffuses Bild, es spricht überhaupt nichts dafür, solche literarischen Bezüge in der Rockmusik als Qualitätskriterium zu nehmen. Nicht einmal so naheliegende Vermutungen wie die, dass Literarisches besonders gern von ambitionierten Textern und Vertretern der Singer-Songwriter-Fraktion aufgegriffen würde, lassen sich bestätigen; vielmehr können literarische Bezugnahmen praktisch überall lauern, sind aber nirgendwo wirklich erwartbar.

So sieht jedenfalls das Ergebnis langjähriger Sammelarbeit in den genannten Feldern aus, deren Ergebnisse in diesem Buch vorgelegt werden. Der enzyklopädisch angelegte Band geht der Verzahnung zwischen Musik und Literatur über das letzte halbe Jahrhundert hinweg nach. Gesichtet und bewertet werden beispielhafte oder besonders markante literarische Bezugnahmen auf Rock- und Popmusik und rockmusikalische Bezugnahmen auf die Literatur. Dem Blick aufs Detail anhand aufschlussreicher Beispielfälle wird dabei Vorrang eingeräumt vor der generalisierenden Proklamation übergreifender Entwicklungslinien, die die Leserschaft mit Hilfe der durchgängigen Querverweise hoffentlich selbst ermitteln kann. Relativ leicht aufzuspüren sind popmusikalische Einflüsse in Literatur, die sich offen (und teilweise sogar programmatisch) als Popliteratur zu erkennen gibt; reizvoller allerdings sind Funde in Bereichen, in denen man sie nicht sofort vermuten würde, etwa bei Autoren älterer Generationen und in Texten aus Zeiten, als die Vertreter der Hochkultur noch mehrheitlich die Nase rümpften über alles, was mit Pop zu tun hatte. Andersherum sind popmusikalische Bezugnahmen auf Literatur desto bemerkenswerter, je früher sie erfolgen, weswegen die musikalische Hauptaufmerksamkeit dieses Buches den klassischen Jahrzehnten der Rockmusik gilt, also den 1960er- und 1970er-Jahren.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Poets, Books & Rock'n'Roll. Literatur und Rockmusik: Ein Alphabet querbeet.
Edition ReJOYCE, Südwesthörn 2013.
168 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783000408793

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