Szenen aus der Geschlechterkampfzone

Anlässlich des 50. Todestages seines Autors erscheint Franz Jungs „Trottelbuch“ in einer neuen Ausgabe

Von Christiane BarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiane Barz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Sie fuhr ihm an die Gurgel und streichelte dann sein erschrecktes Gesicht“, „sie wusste mit seiner Liebe nichts anzufangen und wollte sie nicht, nur Hass und Vernichtung“. Paare werden von unmotivierten Affekten überfallen, die so jäh verschwinden, wie sie aufgetaucht sind, gewalttätige Exzesse wechseln übergangslos mit völliger Gleichgültigkeit – von diesem Zuschnitt sind die Beziehungen der titelgebenden „Trottel“ in Franz Jungs Novellensammlung, mit der er 1912 sein literarisches Debüt gab. Im selben Jahr, in dem Gerhart Hauptmann den Literaturnobelpreis erhält, erscheinen außerdem Waldemar Bonsels „Biene Maja“, Thomas Manns „Tod in Venedig“ und Kurt Tucholskys „Rheinsberg“, allesamt kanonträchtige Publikationen, neben denen Jungs Gesamtwerk nach wie vor vergleichsweise randständig ist.

Franz Jung, 1888 in Oberschlesien geboren, führte eine Dreifachexistenz als Wirtschaftsjournalist, Literat und politischer Agitator, die fünf Gefängnis- und einen Irrenhausaufenthalt, sowie Flucht und Exil einschloss. Mit dem „Trottelbuch“ umreißt er die Weltsicht und Poetik seines frühen Expressionismus. Der Band umfasst vier Erzählungen, die das Lebensgefühl der Moderne als Kollaps aller Orientierungen, Bindungen und sinnstiftenden Zusammenhänge abbilden und dies in einer Sprache, die sich jeglicher Vermittlung von Kontinuität verweigert. Was die Texte untereinander verbindet, ist das Motiv der Geschlechterkollision, einer heillosen Verstrickung von Mann und Frau, die sich zwischen buchstäblich würgendem Bindungsverlangen und eruptiven Befreiungsversuchen bewegt. Lokalisiert sind diese Episoden in einem Milieu, das man heute prekär nennen würde, unter Halbweltgestalten, Säufern, Varietékünstlern und ramponierten Bohèmiens.

Die zentrale und umfangreichste Erzählung „Die Erlebnisse der Emma Schnalke“ beleuchtet schlaglichtartig den Taumel einer haltlosen Frau durch ihr Leben, der als eine Kette katastrophischer Beziehungskämpfe inszeniert wird. Früh mit der Bohème liebäugelnd, zieht die Titelfigur Emma als Tänzerin durch die Welt, die Männer wechseln, aber die Mischung aus Ekel, Hass und Sehnsucht bleibt dieselbe. Die Darstellung hat dabei nichts Episches, es gibt keine kohärente Handlung. Statt dessen werden affektgeladene Fragmente aneinandergereiht, chaotische Kollisionen, die die Bindungskraft der Sprache außer Kraft setzen. Die Episoden variieren ein immergleiches Muster von Anziehungs- und Abstoßungskonvulsionen: „Sie warf ihm Worte hin, schneidend, brutal, voll Abgründe. Um ihn zu sich zu reizen. Mit der Hoffnung, die Liebe durchbrechen zu lassen. Da ballten sich die Fäuste. Er schlug sie ins Gesicht, dass sie auf die Diele aufplumpste. Mit Füßen trat er sie. ‚So!‘ – – er wischte sich den Schaum vom Mund, ‚so …hier hast du…‘“. Es folgt: „ ‚Hab mich doch lieb…‘ So ketteten sie sich immer fester.“

In diesen verdichteten und zum Teil überaus brutalen Szenen agieren die Figuren nicht als handelnde Subjekte, sondern sind ihrer Umgebung und ihren willkürlichen inneren Impulsen ausgeliefert. Dabei steht die Frau in punkto Grausamkeit und körperlicher Gewalt dem Mann in nichts nach. Es gibt keine feste Rollenzuschreibung als Täter oder Opfer. Eine Entwicklung der Figuren, im Sinne von psychologischer oder narrativer Kohärenz, findet nicht statt. Die Ausbrüche sind keine Befreiungsschläge, sondern Affirmationen einer existentiellen Verlorenheit, in der Innen- und Außenwelt gleichermaßen chaotisch geworden sind. Jungs Expressionismus kennt in diesen Texten keinen Gegenentwurf zum erlebten Chaos der Gegenwart, keine Utopie, deren Vorschein die moderne Existenz im Sinne einer Dialektik von Zerfall, Überwindung und Neuorientierung des Lebens ordnen könnte. Im Gegenteil: Die Geschlechterbeziehungen negieren das utopische Potential der Liebe und zeigen ein Subjekt ohne Fluchtpunkt, das seine Gegenwart als rein zentrifugal erlebt.

Neben allerlei Beziehungsgezänk, Prügeleien und Versöhnungen der erwähnten Art in den Texten „Trottel“ und „Der Weg über den Berg“ enthält der Band als letztes die historisierende Erzählung „Der tolle Nikolaus“. Selbiger Nikolaus ist ein Herzog, der sich Ende des 15. Jahrhunderts gegen „Pfaffen“ und Obrigkeit stellt und zum Missfallen seiner Frau am liebsten mit seinen Bauern säuft. Er findet ein unrühmliches Ende, indem er erst gefangengenommen und schließlich von einem Fleischergesellen geköpft wird. Doch auch diese grobianistisch-abbreviaturhaft erzählte soziale Parteinahme inszeniert Jung als Geschlechterkampf zwischen Nikolaus und seiner Frau. Der imaginierte Showdown im Kerker zwischen den beiden speist sich aus Hass, Qual und gegenseitiger Zerfleischung: „Ich mußte dich so quälen, so lieb hatte ich dich.“ Auch in dieser Erzählung ist die existentielle Verlorenheit des transzendental und sozial obdachlosen modernen Menschen unaufhebbar. Die Erfahrung von Angst, Isolation und Ohnmacht treibt die Geschlechter aufeinander zu, doch Liebe als kompensatorischer Bewältigungsversuch mündet unausweichlich in Gewaltexzesse und gegenseitige Zerstörung. In den Anderen verbissen bleibt die Bindungslosigkeit bestehen.

Wie Jungs Figuren dem sprunghaften Geschehen ausgeliefert sind, muss sich auch der Leser im Text zurechtfinden, ohne dass eine perspektivierende Erzählerinstanz narrative Kontinuität herstellt. In stakkatoartig hingefetzten Satzbrocken werden unmotivierte Orts- und Personalwechsel und abrupte Stimmungsumschwünge von typisierten Figuren ohne Tiefenschärfe abgebildet. Der Text lebt von dem, was er außer Kraft setzt. Und das ist nicht weniger als Logik und Kausalität auf allen Ebenen des Erzählten und des Erzählens. Bedingt wird diese für den deutschen Expressionismus charakteristische Inkohärenz durch eine Subjektkonzeption, die dezidiert a-psychologisch ist. Die wild agierenden Subjekte sind letztlich substanzlos, sie produzieren leere Exaltationen. Wie Franz Jungs Männer und Frauen ihrer diskontinuierlichen, chaotischen Innenwelt ausgesetzt sind und ihre Affektüberschüsse weder begreifen noch beherrschen können, so steht der Leser vor einer zertrümmerten Erzähllogik, in der er sich ohne kausale oder psychologische Plausibilität behelfen muss. Im Ganzen ist das kein reines Lektürevergnügen, zumal Jungs grelle Expressivität in ihrer bewussten Unmotiviertheit schnell einförmig wirkt und die narrative Komplexität von Zeitgenossen wie Georg Heym, Gottfried Benn oder Carl Einstein vermissen lässt.

Titelbild

Franz Jung: Das Trottelbuch.
Edition Nautilus, Hamburg 2013.
96 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783894017736

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