Die Entzauberung eines Mythos – die Stasi

Ilko-Sascha Kowalczuk legt einen Band zur Geschichte des DDR-Geheimdienstes vor

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ilko-Sascha Kowalczuk legt eine umfassende Monografie zur Geschichte der Staatssicherheit in der DDR vor. Entstanden ist sie aufgrund von Vorarbeiten als Projektleiter in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde, aber auch als sachverständigem Mitglied der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“.

Im Vorwort heißt es: „Dieses Buch versucht, den historischen Ort der Stasi anhand von konkreten Kontexten zu bestimmen – jenseits von einer auf möglichst hohe Zahlen fixierten Tonnenideologie, pauschalen Übertreibungen und Theorien oder gar apologetischen Rechtfertigungsstrategien. Es stellt einen Versuch dar, die Geschichte des MfS [Ministerium für Staatssicherheit] im System der SED – Diktatur zu verorten, sie zu historisieren und nüchtern zu betrachten, nüchterner als es in unserer alltäglichen Medienöffentlichkeit oft geschieht.“

Ferner erzählt es in einer, verständlichen Sprache, was die Stasi wirklich tat, wie sie arbeitete, wofür sie sich interessierte. Niemand blieb verschont, niemand war sicher. Auch eigene Parteikader wie Richard Stahlmann alias Arthur Illner, der mehrfach als Vorlage für literarische Werke von Stefan Heym, Ernest Hemingway oder Peter Weiss diente, fürchtete die Stasi selbst auf dem Sterbebett noch.

Das Thema „Stasi“ wird von Mythen begleitet – in Berichten, Erzählungen und Filmen. Kaum einem anderen Geheimdienst, vielleicht mit Ausnahme der Gestapo, wurde soviel Geheimnisvolles, zu Recht oder zu Unrecht angedichtet wie dem Kontrollorgan der DDR.

Lückenlose Überwachung von Post und Telefon, ein Spitzelsystem in den Kneipen, der Verstrahlung von Oppositionellen, die gegenseitige Überwachung selbst von Ehepartnern zeichnete ein dämonisches Bild der Allgegenwart eines Überwachungsapparates in der Öffentlichkeit. Jetzt, nach über zwanzig Jahren Mauerfall, scheint dies eher noch zu- als abzunehmen.

Was beziehungsweise wer war eigentlich die Stasi? „Im Prinzip war die Stasi nicht nur der SED unterstellt – das MfS war historisch gesehen ein Teil des SED-Parteiapparates.“ Ilko-Sascha Kowalczuk weist deshalb zu Recht darauf hin, dass „die DDR nicht Stasi, sondern vollkommen zutreffend SED-Diktatur genannt“ wird. Und hier war die Stasi sicherlich die schärfste Waffe der SED-Herrschaft.

Ein wichtiger Aspekt bleibt die Unterscheidung von Geheimpolizei und Geheimdienst. Eine Geheimpolizei arbeitet gegen die eigene Gesellschaft. Sie überwacht, kontrolliert und erpresst im Interesse einer Ideologie Staatsbürger und Parteigenossen. Ein Geheimdienst hingegen ist aktiv im „Kampf“ gegen auswärtige Kräfte und Institutionen im In- und Ausland. Zur Strategie der Stasi gehörte, dass „MfS-Mitarbeiter immer nur gerade soviel Einblick in ihre Institutionen erhalten sollten, wie es für ihre Aufgaben notwendig war“. Interessant, dass dies alles oftmals nur reine „Männersache“ war. Frauen spielten – im aktiven geheimpolizeilichen Einsatz – keine oder nur eine geringe Rolle. „Natürlich gab es Frauen: als hauptamtliche Mitarbeiterinnen, als inoffizielle Mitarbeiterinnen, als Ehefrauen, Mütter, Töchter, als Bespitzelte, Verfolgte, Inhaftierte und Hingerichtete.“

Ohne die erhalten gebliebenen Stasi-Unterlagen wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Umso dringlicher erscheint es deshalb, dass auch zukünftige Historikergenerationen weiterhin diese Dokumente – auch für kulturpolitische Forschungen – nutzen. Eine Durchsicht der Akten muss weder abschreckend noch gar langweilig sein. Ganz im Gegenteil: Geschichte ist niemals langweilig, dies belegt das vorliegende Werk gekonnt mit einem ausführlichen und lobenswerten Personenregister. Es ist ein wichtiges Handbuch zum Verständnis der SED-Diktatur geworden.

Titelbild

Ilko-Sascha Kowalczuk: Die Stasi. Überwachung und Repression in der DDR.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
424 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783406638381

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