Das Geheimnis der Gardisten

In Christian Schünemanns und Jelena Volics „Kornblumenblau“ wird Belgrad zum spannenden Schauplatz des Auftaktbandes einer neuen Krimiserie

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Belgrad – ein Jahrzehnt nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg. Am Jahrestag des Massakers von Srebrenica werden zwei serbische Gardisten bei ihrem Streifengang auf dem Militärgelände vonTopčider getötet. Die Militärs verschleiern die Tat als rituellen Selbstmord und verhindern weitergehende Ermittlungen. Allein die Eltern der beiden jungen Männer engagieren den Anwalt Siniša Stojković, weil sie den Auskünften der Vorgesetzten ihrer Söhne misstrauen. Mit Hilfe seiner Freundin Milena Lukin, Expertin für Internationales Strafrecht am Institut für Kriminalistik und Kriminologie, beginnt Stojković nachzuforschen. Und plötzlich ist es so, als hätte man in ein Wespennest gestochen.

Christian Schünemann (Jahrgang 1968) kennen die Leser von witzig-intelligenten Kriminalgeschichten bereits als Verfasser der Romane um den Münchner Starfrisör Tomas Prinz. Zwischen 2006 und 2011 hat der sich in bisher vier Fällen – alle im Diogenes Verlag Zürich erschienen – als Hobbydetektiv betätigt. Nun hat sich der in Berlin lebende Schünemann mit der in Belgrad Neuere deutsche Literatur und Deutsche Kulturgeschichte lehrenden Jelena Volić zusammengetan und mit „Kornblumenblau“ den ersten Krimi eines deutsch-serbischen Autorenpaares geschrieben. Weitere sollen folgen.

Kornblumenblau ist die Farbe der Uniformjacken einer serbischen Eliteeinheit – „ […] so blau […] wie die Kornblumen in den Feldern […] und so leuchtend wie der Himmel über der Donau, wenn ihn keine Wolke trübt“. Dass ihren in Bosnien geborenen und während des Balkankriegs der 1990er-Jahre mit ihnen gemeinsam von dort geflohenen Söhnen die Ehre zuteil wurde, in diesem Regiment zu dienen, machte die Eltern Jokić und Mrša einst sehr stolz. Nach dem geheimnisvollen Tod der beiden Elitesoldaten hat man den Familien dann nicht einmal mehr erlaubt, sich ordentlich und der Tradition entsprechend von ihnen zu verabschieden. In verplombten Bleisärgen mit einem winzig kleinen Sichtfenster wurden sie zur Beerdigung freigegeben. Und wie zum Hohn lautete der Kommentar der die Toten in ihrem Zuhause abliefernden Kameraden: „Eure Söhne sind freiwillig und unehrenhaft aus dem Leben geschieden.“

Dass die Eltern, indem sie nichts von dem glauben, was ihnen von offizieller Seite über den Tod ihrer beiden Söhne mitgeteilt wird, Recht haben, ist der Wissenschaftlerin und dem Anwalt schnell klar. Und nachdem ein dritter Militärangehöriger, der im Begriff war, für die hinter den Morden stehenden Kräfte zum Risiko zu werden, indem er den Kontakt zu Milena Lukin suchte, sterben musste, begreifen Stojković und Lukin auch sehr schnell, dass sie selbst sich in großer Gefahr befinden. Denn offensichtlich haben sie Kreise aufgestört, die auch Jahre nach dem Ende des Krieges noch auf die Nationalismuskarte setzen, Verbindungen zu den abgetauchten Verantwortlichen für das Massaker in Srebrenica haben und vor Morden nicht zurückschrecken, wenn sie ihre Entdeckung fürchten müssen.

„Kornblumenblau“ ist ein unspektakulärer, den Balkankonflikt und seine heutigen Folgen als Hintergrund nutzender Kriminalroman, der nicht mit einem „Ende gut, alles gut“-Schluss aufwartet, sondern der Tatsache gerecht wird, dass die Verarbeitung jener blutigen Jahre noch lange nicht gelungen ist und gerade Teile jener Kräfte, die die Hauptverantwortung für die Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien und dem Kosovo zwischen 1991 und 1999 trugen, im Untergrund immer noch aktiv sind. Christian Schünemann und Jelena Volić schicken in ihrem Buch zwei sympathische Helden in den Kampf gegen Vergessen und Verdrängen und umgeben sie mit einem guten halben Dutzend fein ausgearbeiteter Nebenfiguren. Dabei müssen die ihr Leben riskierenden Protagonisten immer wieder erkennen, dass um das friedliche Zusammenleben aller auf dem Balkan ihre Heimat besitzenden Nationen stets aufs Neue gerungen werden muss – und zwar mit antinationalistischen Argumenten und dem festen Willen, aus dem Unheil der Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und sich in Acht zu nehmen vor jeglicher Demagogie, die den aktuellen Status Quo weiterhin in Frage stellt.

Titelbild

Christian Schünemann / Jelena Volic: Kornblumenblau. Ein Fall für Milena Lukin.
Diogenes Verlag, Zürich 2013.
363 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068337

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