Fremdwelten daheim

Ingeborg Gleichauf erzählt in ihren Erzählungen „Homezone“ Geschichten über Heimat und Fremde

Von Eleonore AsmuthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eleonore Asmuth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bin ich zu Hause „dort, wo ich lebe“? Lebe ich dort, „wo ich zuhause bin“? Zwei von zahllosen, allseits präsenten Fragen unserer modernen und rastlosen Welt. Ihnen hat sich die Schriftstellerin Ingeborg Gleichauf gewidmet und sie zum Anlass genommen, sich in ihrer Geschichtensammlung „Homezone“ in vielen kleinen Erzählungen den Themenkreisen Heimat und Fremde, Nähe und Ferne zu widmen. Damit trifft die in Freiburg lebende Autorin ohne Zweifel den Nerv der Zeit und spricht besonders – und das vielleicht unbewusst – eine junge Generation an, die sich Schlagwörtern wie Flexibilität und Mobilität verpflichtet fühlt.

Die promovierte Geisteswissenschaftlerin Gleichauf beschreibt in ihrem Erzählband unterschiedliche Szenarien von Heimat: So kann das Zugabteil im ICE für Reisende ein zu Hause sein, die Natur wird zum Ort von heimatlichen Gefühlen und auch der so oft angefahrene Urlaubsort am Meer ist eine Form von zu Hause. Gleichfalls wird der „Freiheit des Fremdseins“ Rechnung getragen, in der man „ausgesetzt und doch so sehr daheim wie nirgendwo sonst“ sein kann. Die Autorin schlüpft in ihren Geschichten in die unterschiedlichsten Rollen. Sie beschreibt Heimat aus der Sicht einer Hausfrau, einer Mutter, schildert das Gefühl des Zuhauseseins aus dem Blickwinkel von Kindern, erzählt von einem Bestatter, dessen Lebensaufgabe es ist, dass er letzte „Heimstatt sein kann für viele“ und personalisiert gar einen Keuchhusten, der sich in der Wohnung und der Umgebung eines kleinen Mädchens heimisch niedergelassen hat.

Schnell wird klar, worauf Gleichauf abzielt: Es geht um die Ambivalenz des großen Begriffs ‚Heimat‘, der viel mehr beschreiben kann, als das, was man gemeinhin zunächst damit verbindet. Und es geht um die subjektive Tendenz dessen, was jeder individuell als zu Hause definiert und empfindet. Dies wird besonders in der Beschreibung einer Gastgeber-Gast-Beziehung deutlich. Der Leser erfährt sowohl aus der Sicht der Hausherrin als auch aus der Gast-Perspektive vom Fremdeln und dem Gefühl der Ungeborgenheit.

Hier liegt ganz klar die Stärke des Buches. Die Autorin erzählt Geschichten, in denen man sich wiederfinden kann, die einem vertraut vorkommen und leitet zu Gedanken über, die einem in Kontext von Heimat und Fremde bisher vielleicht nicht in den Sinn gekommen sind.

Neben diesen, zum Teil philosophisch anmutenden Ideen setzt sich Gleichauf aber auch mit dem Verlust von Heimat auseinander, den sie vor allem einer ‚modernen‘ Gesellschaft anlastet. So ist wohl auch das mit „Homezone“ überschriebene Kapitel, das titelgebend für das gesamte Buch ist, das am besten gelungene dieses Romans, weil es den Kern dessen, was die Autorin bewegt, am eindrücklichsten zusammenzufassen weiß. Hier beschreibt Gleichauf den Telefonvertrag „Homezone“ als typisches Charakteristikum eines generationellen Wandels, in dem aus „Heimat und Zuhause“ nun die „Homezone wird. Aus von Anfang an für immer Bleiben wird auf keinen Fall Bleiben, sondern immer wieder Weiterziehen.“ Für die Autorin ist die Existenz einer telefontariflichen „Homezone“ offensichtlichstes Symptom einer von Schnelllebigkeit und Mobilität geprägten Moderne.

Die Kritik an eben diesem Lebenswandel schwingt in fast jeder der einzelnen Geschichten mit. Bisweilen lesen sich einzelne Passagen wie eine Kritik an einer Gesellschaft, die ausschließlich auf einer technischen Vernetzung, räumlichen Entwurzelung und dem, was man gemeinhin als ‚Werteverlust‘ kennzeichnet, besteht. In diesen Abschnitten des Romans verliert Gleichauf gelegentlich den roten Faden und damit den Zugriff auf das eigentliche Thema. Redundanzen bleiben so gleichfalls nicht aus.

Insgesamt trägt „Homezone“ dazu bei, sich die eigene (Lebens-)Situation zu vergegenwärtigen: Wo fühle ich mich zu Hause? Wo fremd? Und woran liegt das? All dies sind Fragen, die sich der Leser bei der Lektüre unweigerlich stellt, ganz gleich ob er mit der Gesellschaftskritik der Autorin d’accord geht oder nicht. Die autobiografischen Nuancen, die die Geschichten durchfasern, machen zuletzt noch einmal deutlich, dass Heimat ein zutiefst subjektiv empfundenes Konstrukt ist. Diesem Umstand verleiht das Buch auf unterhaltsame Weise Rechnung.

Titelbild

Ingeborg Gleichauf: Homezone. Ausflüge in die fremde Nähe. Geschichten.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2012.
197 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-13: 9783863510398

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