Keiner kann bleiben

Über Johanna Adorjáns Roman „Meine 500 besten Freunde“

Von Heike HaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Hauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dies ist die dritte Buchveröffentlichung der Journalistin Johanna Adorján, die seit 2001 für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt. Von der 1971 in Stockholm geborenen und in München aufgewachsenen Autorin, die heute in Berlin lebt, liegt bereits das 2004 im Alexander Verlag veröffentlichte Theaterstück „Die Lebenden und die Toten“ und der Roman „Eine exklusive Liebe“, auch bei Luchterhand, vor.

Der 2009 zum Bestseller avancierte Roman „Eine exklusive Liebe“ erzählt die Geschichte Adorjáns Großeltern, ungarischer Juden, die sich 1991 gemeinsam das Leben nahmen. Sie hatten den Holocaust überlebt, mussten als Kommunisten 1956 aus Ungarn fliehen und haben sich in Dänemark ein neues Leben aufgebaut. Die Autorin beschreibt die außergewöhnliche Beziehung und rekonstruiert den Tag der Tat.

In „Meine 500 besten Freunde“ erzählt Adorján in dreizehn Stories von Freundschaften, Karrieren, Affären und Illusionen. Die Schauplätze und Figuren entstammen dem in Berlin angesiedelten Kulturleben, der mit Münchner Society-Schick versehen ist. Die Titelreferenz an Facebook-Freundschaften, die zum Teil nur auf einem äußerlich geschaffenen Wunschbild beruhen, sagt es schon. Mit feiner Ironie wird entlarvt, was nur selbstbezogener, eitler Sonnenschein ist, fernab von echten Beziehungen und aufrichtiger Anerkennung, beruflich wie privat.

Da gibt es das Treffen der Freundinnen im Borchardts, das von einem unentschlüsselbaren Unterton begleitet wird, weil die eine ein Verhältnis mit dem Mann der anderen hat, die Betrogene das jetzt aber weiß. Der Journalist Theodor erwartet vergeblich die Auszeichnung mit der „Edelfeder“, ist dann aber doch zu sehr mit der Garderobe seiner Konkurrenten beschäftigt, um wirklich enttäuscht zu sein. Auch die Beziehung zu seiner Frau genügt ihm nur vom Anschein her. Die Zeitungspraktikantin Angie hat viel zu große Brüste, die ihr aber beim Aufstieg nichts nützen, obwohl sie kein Risiko scheut. Ein Schauspieler hat Probleme mit seinem Drogenkonsum, kann aber darüber auch gegenüber seiner Therapeutin nicht sprechen. Eine Schauspielerin fühlt sich von einer Klatschreporterin verfolgt und wäre doch gerne berühmter. Ein junger Filmregisseur will sich durch das Engagement eines gealterten Schauspielstars adeln, der ihn dann auf ganz andere Art beeindruckt.

All diese Menschen versuchen meist mit Freundlichkeit eine Lüge zu kaschieren oder zumindest die Wahrheit zu verschleiern. Gemeinsam ist ihnen die Blendung der Oberfläche, die durch Reibung transparent gemacht, den Blick auf die darunterliegenden Schichten freigibt. Die Schokoladenseite des Lebens wird einmal umgedreht und gewendet, Erwartungen werden enttäuscht, Rechnungen gehen nicht auf, eine Illusion bleibt einfach so in der Luft hängen ohne weitere Aufstiegschancen, aber auch ohne Absturz. Ein Preis will gewonnen, ein Arbeitsplatz ergattert, ein Star vereinnahmt werden. Aber vielleicht sind die Erwartungen auch nur orientiert an Eitelkeit und Egoismus, sodass ein Scheitern zwar nicht ganz schmerzfrei ist, aber doch außerhalb des Notfallrahmens liegt.

Amüsant und kurzweilig lesen sich die Geschichten mit bitterem Beigeschmack, der weder die Yogalehrerin Ayumji verschont, die – völlig genervt von ihren Schülern – nur noch Schimpfworte im Kopf hat und von der freundlichen Resonanzwelle aus der Kurve getragen wird, noch den Lektor Johann, der sich von seinem Autor Viktor mit einem edlen Füller korrumpieren lässt. Die Story „Der Otter“ bringt es auf den Punkt: Auf einer Vernissage, auf der es vor allem um Sehen und Gesehenwerden geht, schockiert Gregor seine Frau Leyla durch seine Gedächtnisstörung, erkennt weder Schwiegervater noch Exfreundin. Blackout. Na und?

Titelbild

Johanna Adorján: Meine 500 besten Freunde. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2013.
256 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873541

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