Der einsame „Ichling“ als Prototyp

Empfehlenswerter Ratgeber für Eltern und eine psychologisch fundierte Analyse der heutigen Kinder- und Jugendgeneration des Kinderpsychologen Stephan Valentin

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Begriff „Ichlinge“ wird bereits im Wörterbuch der Gebrüder Grimm mit einem Zitat von Jean Paul folgendermaßen definiert: „Ichling, Egoist: allerdings geniest der Ichling den größten Grad häuslichen Glücks, nämlich sein eigenes“. Der Kinderpsychologe Dr. Stephan Valentin analysiert in seinem aktuellen Buch die heutige Kinder- und Jugendgeneration und bekräftigt die fatale Gefahr, dass der Nachwuchs zunehmend zu solchen „Ichlingen“ wird. Bar jeglicher Teamfähigkeit, überfordert durch den ständigen Leistungsdruck von Eltern, Schule und Gesellschaft fehlen der jungen Generation die Fähigkeit, sich in eine Gruppe gut und erfolgreich zu integrieren, sozial aktiv mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten und Empathie und Mitgefühl mit anderen Menschen zu empfinden.

Doch wer ist schuld an der Misere der heranwachsenden Generation? Sind es die überehrgeizigen, förderungsbesessenen Eltern, die am eigenen Nachwuchs mögliche Entbehrungen der eigenen Kindheit wettzumachen versuchen? Ist es ein gnadenlos leistungsorientiertes Schulsystem, das dem einzelnen Individuum wenig Zeit für die Entwicklung wichtiger sozialer Kompetenzen bietet und den einzelnen Schüler durch den massiven Einsatz von Noten und Bewertungen geradezu in die Rolle des egoistischen und strebsamen Einzelgängers drängt? Oder ist es die zeitaktuelle Gesellschaft an sich, in der bekanntlich nur die Stärksten überleben, in der Mitgefühl, soziales und uneigennütziges Engagement als purer Luxus negativ bewertet werden und in der allein die monatliche Lohnauszahlung darüber entscheidet, wer in den Augen der Mehrheit „erfolgreich“ im Leben ist?

Laut Valentin sind alle oben genannten Faktoren ausschlaggebend wie sehr und ob ein Kind soziale Kompetenzen entwickelt und nicht den einsamen Weg des egoistischen Ichlings geht. Computer und Fernsehen und die neuen Medien generell werden vom Autor zwar nicht prinzipiell abgelehnt und en gros verteufelt, Valentin empfiehlt allerdings, diese gezielt, zeitlich limitiert und bewusst in positivem Sinne einzusetzen. Quasi als Bereicherung neben dem Spielen mit Gleichaltrigen, aber nie als Ersatz desselben. Valentins Buch liest sich flüssig, ist einfach und ohne allzu umfangreiches Fachvokabular abgefasst. Es ist ein empfehlenswerter Ratgeber für Eltern, die sich nicht nur um den Notenspiegel des Nachwuchses Sorgen machen, sondern auch das Sozialverhalten und die sozialen Kompetenzen ihrer Sprösslinge fördern wollen.

Titelbild

Stephan Valentin: Ichlinge. Warum unsere Kinder keine Teamplayer sind.
Goldmann Verlag, München 2012.
335 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783442172900

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