Bunte Truppe im Kloster

Gert Althoff und Christel Meier-Staubach schreiben über „Ironie im Mittelalter. Hermeneutik-Dichtung-Politik“

Von Albrecht ClassenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Classen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oftmals geht man von der Annahme aus, dass das Mittelalter eine sehr ernste, religiös bestimmte Welt gewesen sein muss, in der es wenig zum Lachen gab. Ironie, Witz, Satire und Parodie gehören aber zu grundmenschlichen Ausdrucksformen, und so auch im Mittelalter. Die gemeinsam verfasste Untersuchung von Gerd Althoff und Christel Meier belegt allerdings in sehr interessanter Weise, dass der Humor im Mittelalter zentral war. Ebenso wie man jüngst hinsichtlich des Lachens in der Vormoderne eine beträchtliche Korrektur hat vornehmen müssen (siehe etwa „Laughter in the Middle Ages and Early Modern Times“, A. Classen, 2010), obliegt es uns nun, auch die Ironie als eine rhetorische Strategie anzuerkennen, die weit verbreitet war und gerne eingesetzt wurde. Der grundsätzliche Irrtum besteht wohl darin, dass man gemeinhin nur die ernsten Gespräche unter Mönchen vor Augen hat, wenn man an jene Epoche denkt, so als ob diese sehr spezielle Situation repräsentativen Charakter für die ganze Gesellschaft gehabt hätte. Gehört es nicht zur menschlichen Anthropologie, dass jedes Individuum je nach Bedingungen unterschiedliche Töne anschlägt, diverse Redemanöver verfolgt und verbal diskriminierend auf den Gesprächspartner reagiert?

Ob man im Mittelalter auch theoretisch auf die Ironie eingegangen sein mag, ließ sich bisher nicht ohne weiteres feststellen, aber bei genauerem Hinsehen entdeckt man in vielen Schriften, die die Rhetorik betreffen, eine Reihe von einschlägigen Bemerkungen. Althoff und Meier verweisen unter anderem auf Beda Venerabilis (in der Bibliografie leider vergessen), Isidor von Sevilla, Gervasius von Melkley (fehlt ebenfalls), Boncompagno da Signa und Thomas von Aquin – bestätigen also, dass das Thema Ironie durchaus als bedeutsam angesehen wurde. Gleichermaßen finden sich in den verschiedensten Kommentaren und Glossaren des hohen und späten Mittelalters explizite Hinweise auf die Ironie, so bei Wilhelm von Conches oder Rupert von Deutz. Dazu kommen die Urteile des Hugo von St. Victor oder Johannes Scottus Eriugena, und sogar in der biblischen Exegese bei Herrad von Hohenburg wird man leicht fündig. Es stellt sich sowieso die Frage, wieso man das Mittelalter als ironiefeindlich hinstellen sollte, denn in sehr vielen Gesprächssituationen ganz gleich in welcher Zeit ergibt sich die Gelegenheit, ironisch auf den anderen einzugehen oder sich ironisch vor rhetorischen Angriffen zu schützen. Wer sich ironisch auszudrücken versteht, verfügt über ein tiefes Menschenverständnis.

Diese Beobachtung kommt in den folgenden Kapiteln sehr deutlich zum Ausdruck. Sie stützen sich auf historiografische Beispiele, also politische, diplomatische oder kirchliche Auseinandersetzungen. Auch wenn wir stets damit zu rechnen haben, dass die einzelnen Autoren im Nachhinein die Redesituationen veränderten, lässt es sich trotzdem nicht mehr von der Hand weisen, dass gerade in der öffentlichen Arena Ironie ein sehr beliebtes Argumentationsinstrument gewesen zu sein scheint. Die Möglichkeiten der ironischen Anzüglichkeiten waren vielfältig, sei es, dass ein Herrscher ironisch auf Gesandte einging, seine Gegner demütigte, auf Provokationen reagierte, seine Souveränität bewies, spöttisch Gleichrangige behandelte, oder dass sich ein Untergeordneter ironisch gegen den Höherrangigen behauptete oder in einer Gefahrensituation seinen Kopf aus der Schlinge zog. Im Besonderen zeigt sich dies in den Schriften Liutprands von Cremona und bei Lampert von Hersfeld, zudem kann man bei der Durchsicht von vielen Chroniken eine Menge anderer Beispiele für Ironie entdecken. In einem gesonderten Kapitel kommt auch die Gattung der politischen Briefe zur Geltung, wo ebenso häufig ironische Stellen zu finden sind.

Sogar im Kloster war man der Ironie keineswegs abgeneigt, denn schließlich erwies sich auch dort in der Gemeinschaft einer relativ bunt zusammengewürfelten Gruppe von Menschen das Problem des Zusammenlebens auf engem Raum als nicht gerade einfach. All die bekannten menschlichen Schwächen traten auch dort im Laufe der Zeit auf, und die Ironie war dann keineswegs eines der schlechtesten Mittel, sich kritisch mit arroganten, hochmütigen, eitlen oder aggressiven Mitmönchen auseinanderzusetzen. Die „Gesta Karoli Magni“ des St. Galler Mönches Notker (9. Jahrhundert) und die „Casus St. Galli“ von Ekkehard IV. (11. Jahrhundert) bieten hierfür reiches Belegmaterial, das treffend vor Augen führt, wie heftig manchmal Konflikte ausgetragen wurden. Ein satirisches Gedicht des Bischofs Adalberos von Laon bestätigt diesen Eindruck zusätzlich.

Zum Abschluss kommen literarische lateinische Quellen zu Wort, so der „Occultus Erfordensis“ von Nicolaus von Bibra (13. Jahrhundert), „De statu Curie Romane“ von Heinrich von Würzburg (13. Jahrhundert), Nivards von Gent „Ysengrimus“ (12. Jahrhundert), Nigellus’ von Canterbury „Speculum stultorum“ (ca. 1179/1180), dazu kleinere Stellen in Gedichten und Epigraphen, und zuletzt Poggio Bracciolinis „Facetiae“ (ca. 1460), Willibald Pirckheimers Drama „Eckius dedolatus“ (1520), Erasmus’ von Rotterdam „Laus Stultitiae“) und die anonym überlieferten „Epistolae obscurorum virorum“.

Althoff und Meier haben überzeugend vor Augen geführt, dass die Ironie sehr wohl und vielfach in der lateinischen Literatur und Historiografie des Mittelalters eingesetzt wurde, was uns dazu zwingt, jene Welt insgesamt anders zu beurteilen, als die heutige öffentliche Meinung es formuliert. Allerdings bewegen sie sich, jedenfalls theoretisch gesehen, gar nicht so sehr auf Neuland, denn schon Dennis H. Green („Irony in the Middle Ages“, 1979) und Dilwyn Knox („Ironia“, 1989), auf die sich die zwei Autoren hier selbst beziehen, haben bereits umfangreich das Thema aus ihrer speziellen Sicht ausgeleuchtet (siehe auch die Beiträge zu „L’ironie au moyen âge“, herausgegeben von Armand Strubel, 2008). Aber die von ihnen vorgestellten Beispiele besitzen Schlagkraft und zeigen insbesondere auf, wie stark auch in der Politik und in der lateinischen Dichtung der ironische Tonfall Bedeutung besitzen konnte. Besonders sympathisch wirkt, wie es hier zwischen Althoff und Meier zu einer so guten Zusammenarbeit kommt. Die Kapitel II-IV und IX-X wurden von letzteren, die Kapitel V-VIII von Althoff, die Einleitung und das Resumée von beiden gemeinsam verfasst.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Gerd Althoff / Christel Meier-Staubach: Ironie im Mittelalter. Hermeneutik-Dichtung-Politik.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2011.
240 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783534216246

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