Der Sündenfall des Intellektuellen

Lothar Pikuliks Buch über „Thomas Mann und der Faschismus“

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Nationalsozialismus hätte seine Massenwirkung nicht erzielt, so Thomas Mann, wenn ihm nicht ein „Sukkurs“ aus „geistigen Quellen“ gekommen wäre. Zwischen dem „Faschismus“ und deutscher Mentalität und Geschichte sah Thomas Mann denn auch eine besondere Affinität. Der Auseinandersetzung Thomas Manns mit dem Faschismus im Allgemeinen und dem Nationalsozialismus im Besonderen ist der Germanist Lothar Pikulik in „Thomas Mann und der Faschismus. Wahrnehmung – Erkenntnisinteresse – Widerstand“ nachgegangen.

Anders als spätere Historiker sah Mann den Nationalsozialismus nicht hauptsächlich unter dem Aspekt des Antisemitismus. Und dies, obwohl er mit Katia Pringsheim, einer Frau aus einer jüdischen Familie, verheiratet war. Der Lübecker Patriziersohn sah den Faschismus aus der Sicht der deutschen, bürgerlichen Bildungselite. Und so war Mann vor allem auf eine Frage gerichtet: Warum war es gerade der deutsche Geist, der dem Ungeist verfiel?

Mann versuchte, den Nationalsozialismus aus der deutschen Geschichte herzuleiten. Er sprach dabei sogar von einer „Urverwandtschaft des deutschen Charakters mit dem Nationalsozialismus“. Friedrich Nietzsche aber betrachtete er nicht als einen Vordenker der faschistischen Ideologie: „Unterderhand bin ich geneigt, hier Ursache und Wirkung umzukehren und nicht zu glauben, daß Nietzsche den Faschismus gemacht hat, sondern der Faschismus ihn“.

Thomas Mann sah die Verleugnung des „Geistes“ zugunsten des Lebens, wie sie auch im Faschismus erschien, als Sündenfall des Intellektuellen. Allerdings war die Spannung zwischen Geist und Leben auch ein Leitmotiv durch sein eigenes Werk. „So wenig der Faschismus ein einheitliches und geschlossenes System war“, schreibt Pikulik, „so wenig konnte seine Deutung durch Thomas Mann einheitlich und geschlossen sein“. Es ist denn auch, um mit Thomas Mann selber zu sprechen, „ein waghalsiges Unternehmen“, über Mann und den Faschismus zu schreiben. Um so preisenswerter ist es, dass Pikulik sich nicht vorschnell festlegt und Manns Deutung des Faschismus meist ausgewogen darstellt. Seine kompakte und detailreiche Studie macht darüber hinaus deutlich, wie rasch sich Thomas Manns Wahrnehmung änderte. 1930 bezeichnet Mann „de(n) sogenannte(n) National-Sozialismus“ als „Koloß auf tönernen Füßen“, und hofft „auf den gesunden Sinn des deutschen Volkes“. 1933 notiert er aber im Tagebuch: „Nichts ist da, was an die Stelle des Gegenwärtigen treten könnte, und eine staatliche und gesellschaftliche Umgestaltung wie diese in all ihrer Wildheit, Unrechtlichkeit, Bösartigkeit, Krankhaftigkeit ist nicht wieder rückgängig zu machen“.

Wie Thomas Mann in seiner Rede „Deutschland und die Deutschen“ (1945), konzentriert Pikulik sich auf die „deutsche Innerlichkeit“ und „deutsche Romantik“. Der Faschismus als Rausch, als Droge, hätte vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn Thomas Mann spricht in seiner Rede auch vom Dämonischen, vom „Skurril-Spukhaften“, vom Sankt Veitstanz; Motive, die in dem Roman „Doktor Faustus“ (1947) wiederkehren. Undeutlich bleibt, was Pikulik unter Manns „Hamlet-Natur“ versteht: Ist es sein Zögern Anfang der dreißiger Jahre, sich offen gegen den Nationalsozialismus auszusprechen? Ist es sein Zaudern, die peinliche Frage zu beantworten, was vom „Faschismus“ in ihm selbst vorhanden war? Dass Pikulik Nietzsche als „präfaschistisch“ bezeichnet, hätte eine bessere Argumentation verdient. Auch, weil Thomas Mann in „Deutschland und die Deutschen“ von Nietzsches Psychologie und Begrifflichkeit ausgeht, wenn er sich in die deutsche Seelenlage vertieft.

Trotz dieser kleinen Einwände ist Pikulik eine lesenswerte und gut fundierte Studie zu Mann und dem Faschismus geglückt. Eine Studie, die auch den Blick schärft für das, was Thomas Mann in sich selber fand: die Neigung zu einer protestantischen Innerlichkeit, die sich als unpolitisch versteht und in der Musik ihre Erfüllung findet; ein Individualismus, der sich gegen die Ideale der Französischen Revolution richtet, und eine Sympathie mit dem „Dunkel-Abgründigen“.

Titelbild

Lothar Pikulik: Thomas Mann und der Faschismus. Wahrnehmung - Erkenntnisinteresse - Widerstand.
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2013.
208 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783487148595

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