Zwischen Himmel und Hölle

Sara Grans „beste Detektivin der Welt“ löst ihren zweiten Fall und kommt sich dabei beinahe selbst abhanden

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem mit dem „Deutschen Krimi Preis / International 2013“ ausgezeichneten Roman „Die Stadt der Toten“ von Sara Gran (Jahrgang 1971) lässt ihr Verlag nun auf dem Fuße das zweite Abenteuer Claire DeWitts, der „besten Detektivin der Welt“, folgen. Schauplatz ist diesmal San Francisco, wo Grans Heldin nach dem Abschied von New Orleans weiterhin ihren detektivischen Passionen nachgeht. An Aufträgen, die an sie herangetragen werden, mangelt es auch in Kalifornien nicht. Da die Ermordung des Musikers Paul Casablancas sie als Ex-Geliebte und langjährige Freundin des Mannes aber persönlich trifft, widmet sie sich dem „Fall des Kali Yuga“ mit besonderer Intensität.

Wer „Die Stadt der Toten“ gelesen hat, kennt bereits das Arsenal an Hilfsmitteln, welches Claire DeWitt zur Verfügung steht, wenn sie sich auf die Spuren eines Verbrechens begibt. Auf die I-Ging-Münzen, die ihr im Fall des während der Katrina-Katastrophe 2005 verschwundenen Bezirksanwalts Vic Willing gute Dienste geleistet haben, verzichtet sie diesmal allerdings ganz. Nicht lassen kann die erklärte „Silettianerin“ DeWitt allerdings von „Détection“, dem magischen Detektivhandbuch des Jaques Silette, dessen Lektüre sie ihre Berufung verdankt. Und natürlich führen sie auch wieder durch regelmäßigen Drogenkonsum befeuerte Träume auf Wege, die den Normalos unter Amerikas Privatschnüfflern nicht zugänglich sind.

Einst, während ihrer gemeinamen Kindheit und Jugend in Brooklyn, waren es drei Freundinnen – Claire, Kelly und Tracy –, die die geheimnisvolle Welt von „Détection“ und ihre Begeisterung für die „Cynthia Silverton Mystery Digests“ auf die Idee brachte, ihr Leben der Aufklärung von verbrechen zu widmen. Einer der ersten Fälle der 15-jährigen Teenager – der „Fall vom Ende der Welt“ – konfrontierte sie mit dem Verschwinden einer um drei Jahre älteren Freundin von Tracy. Indem der Roman diese alte New Yorker Geschichte parallel zu den Ermittlungen Claires im Mordfall Paul Casablancas erzählt, spannt Sara Gran einen geschickten Bogen von der Ostküste der USA bis an das Ufer des Pazifik und fängt die Welt zwischen Brooklyn und San Francisco als eine der sich in Auflösung befindlichen Zivilisation ein.

Mit ihrem Faible für östliche Denk- und Lebensweisen bringt Claire DeWitt die in ihrem Umfeld allgegenwärtige Gewalt, das Vorherrschen von Lüge und Betrug in den Beziehungen zwischen den Menschen in Verbindung mit dem Glauben an die vier Zeitalter in der hinduistischen Kosmologie. Das „Zeitalter des Kali“, „Kaliyuga“, ist dabei das vierte und letzte. In ihm triumphieren Verfall und Verderben, Krieg und Leid. Gier, Hass und das Gefühl der Sinnlosigkeit herrschen und machen es jedem Menschen schwer, sich dem allgemeinen Niedergang zu entziehen und einen Weg zu finden, der letzten Endes zu seiner persönlichen „Wahrheit“ führt.

Was die Suche der jungen Detektivinnen nach Tracys Freundin Chloe mit den auf der Gegenwartsebene stattfindenden Ermittlungen Claire DeWitts im „Fall des Kali Yuga“ verbindet, ist auch das Gefühl des eigenen Versagens gegenüber einem anderen Menschen. „Das reicht. Ich halte den Blödsinn nicht mehr aus“, waren einst die letzten Sätze Chloes vor ihrem Verschwinden gewesen. Dass Claire sie nicht als den Hilferuf einer Person zu deuten wusste, die an ihrer Zeit zu zerbrechen drohte, geht ihr bis in die Gegenwart nach und motiviert sie nicht zuletzt dazu, in einem Fall, von dem sie erneut persönlich betroffen ist, nicht nachzugeben, bis die Lösung sich offenbart.

Sara Gran und ihre beiden Bücher um die Detektivin Claire DeWitt stellen Ausnahmeerscheinungen auf dem Markt der Spannungsliteratur dar. Mitunter erinnern sie – weit mehr als an andere amerikanische Autoren – an Thomas Pynchon und dessen Heldin Oedipa Maas aus seinem zweiten und bis dato kürzesten Roman „Die Versteigerung von No. 49“ („The Crying of Lot 49“, 1966). Hier wie da nicht nur die Suche nach einem beziehungsweise etwas Verschollenem, sondern auch der große Anspruch, hinter einer allegorischen Handlung, versetzt mit vielen fantastisch schillernden Details, ein allgemeines gesellschaftliches Klima spürbar zu machen. Mit ihren Romanen stößt Sara Gran deshalb keineswegs an jene ominöse Grenze, wo Thriller aufhören, Thriller zu sein, sondern die 42-jährige Autorin eröffnet mit ihnen ästhetisch neue Wege für ein traditionell innovationsarmes Genre.

Titelbild

Sara Gran: Das Ende der Welt. EiClaire DeWitt ermittelt.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Eva Bonné.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2013.
468 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783426226377

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