Laientheologie in höfischen Texten

Ein polydisziplinärer Tagungsband zur literarischen Verhandlung von Sterben und Tod im Hochmittelalter

Von Florian SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Ziel dieses polydisziplinär angelegten Tagungsbandes (Bayreuth, 16.-18.10.2009) ist die Untersuchung der historisch spezifischen literarischen Verhandlung von Gott und Tod beziehungsweise von Sterben und Tod in höfischen Texten des Hochmittelalters. Der Band bietet jedoch nicht nur Interpretationen hochhöfischer Texte, sondern besonders in Beiträgen nicht-literaturwissenschaftlicher Ausrichtung werden auch Texte und Bilder der Spätantike und des Spätmittelalters gedeutet. Den meisten literaturwissenschaftlichen Aufsätzen liegt die Annahme einer ‚höfischen Laientheologie‘ zugrunde: „Höfische Texte entwerfen und diskutieren höfische Denkformen des Religiösen, sie sind Niederschlag einer höfischen Laientheologie, verstanden als Theologie von und für Laien.“ (S. 24, Hervorhebung im Original)

Der Tagungsband enthält neben der Einleitung insgesamt 17 Beiträge, die drei Themenbereichen zugeordnet sind: I. ‚Bilder und Wahrnehmungsmuster des Todes‘; II. ‚Heldentod und Inszenierung des Todes im christlich/heidnischen Kontext‘; III. ‚Denkmuster: Laien und Theologie‘. In der pointierten Einleitung wird zunächst in die dem Thema entsprechenden Fragestellungen verschiedener Disziplinen eingeführt (Geschichtswissenschaft und Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Theologie, Philosophie und Soziologie) und dann der Stand der primär literarturwissenschaftlichen Forschung anhand von neun Monografien und Sammelbänden (1974-2010) dargestellt, der die Relevanz und die Eigenheit des vorliegenden Bandes gut begründet. Daran anschließend wird ein literaturwissenschaftlicher Ansatz zur ‚Höfischen Laientheologie‘ entwickelt, und schließlich werden die einzelnen Beiträge kurz skizziert. Auf diese Weise stellt die Einleitung nicht nur den Forschungszusammenhang her und präsentiert den spezifischen Ansatz der Interpretation, sondern weist bereits auf die Pluralität der Religiosität und deren Verhandlung im Mittelalter hin, die sich aus den einzelnen Beiträgen ergeben wird.

Zum Aufbau des Tagungsbandes ist das Folgende zu bemerken: Insgesamt sind zehn literaturwissenschaftliche, jeweils zwei kunsthistorische, geschichtswissenschaftliche und religionswissenschaftliche sowie ein theologischer Beitrag zu verzeichnen. Die jeweilige Anzahl der Aufsätze aus den genannten Disziplinen dokumentiert ein primär literaturwissenschaftliches Interesse, bei dem die weiteren Disziplinen eher der (Horizont-)Erweiterung und Kontextualisierung dienen. Funktional wird das interdisziplinäre Fachgespräch in der Einleitung damit begründet, dass in Abgrenzung zu anderen Disziplinen „spezifisch literarische Denkmuster von allgemeineren Phänomenen unterschieden werden können und das Kaleidoskop des religiösen Denkens des mittelalterlichen Hofes vervollständigt werden kann“. Wünschenswert wäre eine Zuordnung der einzelnen Beiträge zu ihrer jeweiligen Disziplin gewesen, da sich – angesichts eines weiten Textbegriffs – diese aus den Titeln nicht immer unmittelbar ergibt. Auf diese Weise ließe sich der Band aus einem (fach-)spezifischen Interesses leichter handhaben. Leider weist er kein Register auf, an dem sich die Behandlung einzelner Aspekte in Beiträgen unterschiedlicher Disziplinen genauer verfolgen ließe. So stehen die Beiträge eher nebeneinander und die interdisziplinäre Syntheseleistung obliegt immer wieder dem geneigten Leser. Gestützt wird dieser Eindruck durch den Umstand, dass die einzelnen Beiträge in ihrer Pluralität an untersuchten Texten und Quellen, Problematisierungen, Herangehensweisen und Lösungsvorschlägen oftmals jeweils eigene Wege beschreiten.

Insgesamt erweckt der Band einen bis auf wenige formale Details überzeugenden Eindruck. Nur am Rande ist darauf hinzuweisen, dass die formale Umsetzung nicht in allen Aspekten einheitlich gehandhabt wurde. So werden unter anderem mittelhochdeutsche Textpartien nicht in allen Beiträgen übersetzt; die Abbildungsnachweise stehen einmal am Ende eines Beitrages, einmal in den Fußnoten; die Versangaben stehen überwiegend unmittelbar hinter den Zitaten, aber dann vereinzelt in Fußnoten; Titel von Texten werden größtenteils kursiv wiedergegeben, stehen mitunter aber auch in einfachen Anführungszeichen; Fachzeitschriften werden in bibliografischen Angaben vereinzelt nur abgekürzt angegeben, ohne dass diese Abkürzungen in einem separaten Verzeichnis aufgeschlüsselt werden, was für eine interdisziplinäre Zielgruppe leserfreundlich wäre.

Inhaltlich ergeben die Beiträge als eine Mischung aus Überblicksdarstellungen und Fallanalysen ein vielfältiges Bild der kulturellen Verhandlung von Sterben und Tod. Die Aufsätze im ersten Themenbereich ‚Bilder und Wahrnehmungsmuster des Todes‘ beschäftigen sich vornehmlich mit genealogischen und dynastischen Aspekten der memoria Verstorbener aufgrund spezifischer Interessen unterschiedlicher Figuren, Personen und Gruppen. In einem Beitrag mit einer umfangreichen Kontextualisierung arbeitet Gerhard Wolf eine Differenzierung zwischen öffentlicher und privater memoria in der Chronik der Grafen von Zimmern heraus. Ariane Bauer (Geschichtswissenschaft) untersucht in deskriptiver Weise das Handeln von Beichtvätern, die eine Heiligsprechung ihrer verstorbenen Schützlinge unter Einflussnahme unterschiedlicher Familieninteressen zu erreichen versuchen. Ingrid Bennewitz setzt sich schlaglichtartig mit genealogischen und dynastischen Aspekten des Alterns im Höfischen Roman, im Minnesang und in moralisch-didaktischer Literatur auseinander. Norbert H. Ott (Kunstgeschichte) bietet einen Überblick über Darstellungen der Lazarus-Legende und des Weltgerichts. Susanne Knaeble widmet sich weitgehend textimmanent argumentierend der Sigune-Figur in Wolframs von Eschenbach ‚Parzival‘ und Esther Wipfler (Kunstgeschichte) in einem deskriptiven Überblick der figuralen Darstellung des Todes.

Im zweiten Themenbereich ‚Heldentod und Inszenierung des Todes im christlichen /heidnischen Kontext‘ finden sich ausschließlich literaturwissenschaftliche Beiträge. Der gesetzte Zugriff auf die Texte führt insbesondere bei Hubertus Fischer zum ‚Parzival‘ und ‚Willehalm‘ Wolframs von Eschenbach zu überzeugenden Deutungen, wobei die Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten herausgestellt wird. Claudia Lauer sieht in der literarischen Bewältigung des Todes des Titelhelden in ‚Alpharts Tod‘ eine dynamische und modifizierende Umsetzung ritualisierter Ordnungs-, Denk- und Erzählmuster. In Viola Wittmanns Beitrag zum ‚Nibelungenlied‘ wird deutlich, dass mittels des gewählten Zugriffs des Tagungsbandes Texte neu, das heißt anders gelesen werden können. Ralf Schlechtweg-Jahn behandelt das ‚Rolandslied‘, wobei er dichotomische Ordnungsentwürfe durch die Annahme der Grenze als einem dritten Raum aufbricht. Nadine Hufnagel beobachtet am ‚Helmbrecht‘ wichtige Details zur Konstruktion einer irdischen Ordnung im Rückbezug auf den ordo Gottes. Sonja Feldmann behandelt methodisch überzeugend die Begräbnisszenen von Pallas und Camilla in Heinrichs von Veldeke ‚Eneasroman‘.

Am Anfang des dritten Themenbereiches ‚Denkmuster: Laien und Theologie‘ steht ein Beitrag, in dem Matthias Johannes Bauer den Herrschertod als konstituierendes narratives Element der ‚Prosakaiserchronik‘ herausarbeitet und zum Teil handschriftliches Material neu erschließt. In einem Überblicksartikel stellt Ulrich Berner (Religionswissenschaft) Denktraditionen und kultische Vorstellungen aus der Spätantike und den Einfluss von Denkmustern in der Antike und im frühen Christentum auf mittelalterliche Auslegungen der Osterfest-Liturgie und der Ausgestaltung der Osterfeiern im Mittelalter dar. Besonders hervorzuheben ist auch der Beitrag von Wolfgang Schoberth (Religionswissenschaft). Er konstatiert zunächst die große Diskrepanz zwischen Darstellungen von und dem fehlenden Interesse des Alten und Neuen Testament an Tod und Jenseits im Vergleich zum Mittelalter und arbeitet anschließend Transformationsvorgänge heraus: Im Mittelalter wird primär nicht mehr der Gegensatz von Gotteswirklichkeit und den diesseitigen Mächten als heilig bezeichnet, sondern konkrete Dinge, Orte und Menschen werden als heilig gedacht. In einem Beitrag zu Mären arbeitet Silvan Wagner als grundsätzliche Struktur heraus, dass das hochhöfische kurze Erzählen einen fiktionalen Raum für eine laientheologische Reflexion konstituiert, in dem Sterben und Tod positiv gedeutet werden. Der Band schließt mit einem interessanten Beitrag von Joachim Kügler (Theologie) zu Denkmustern und Männlichkeitskonzepten des frühen Christentums in den Briefen Paulus’, der jedoch keinen direkten Mittelalterbezug aufweist.

Die Konzeption und die Beiträge erwecken den folgenden Gesamteindruck des Tagungsbandes: Er bietet detaillierte Beobachtungen und weitgehend überzeugende Deutungen. Auch dokumentiert er – vom allem in den nicht-literaturwissenschaftlichen Beiträgen – die Pluralität der Religiosität im Mittelalter. Bedauerlich ist, dass der philosophische und soziologische Beitrag nicht aufgenommen werden konnten, die das Gesamtbild noch weiter abgerundet hätten. Immer wieder bieten die Beiträgen Impulse zum Weiterdenken. Nicht in jeder Hinsicht überzeugt dagegen die Reihenfolge der einzelnen Beiträge. Möglich wäre eine chronologische Reihung in Bezug auf die untersuchten Primärtexte beziehungsweise Quellen gewesen, die das Feld vor den im Zentrum stehenden hochhöfischen Texten klärt und dann mit Wandlungsprozessen im Spätmittelalter abschließt. Auffällig ist, dass bei denjenigen, die nicht zum erweiterten Kreis der Tagungsorganisatoren gehören, der spezifische Zugriff weit weniger stark ausgeprägt ist. Der Zugriff über die Annahme einer höfischen Laientheologie ermöglicht zwar neue Fragen und Antworten in der Behandlung auch vieltraktierter Texte. Er unterliegt aber dem methodischen Problem, dass zum einen Jenseitsvorstellungen in diesen Texten weitgehend keine Rolle spielen, das heißt weder dargestellt sind noch thematisiert werden, und dass es zum anderen das Anliegen der hier untersuchten Texte in der Regel gerade nicht ist, (laien-)theologische Texte zu sein. Vielmehr sind die entsprechenden Denk- und Wahrnehmungsmuster vornehmlich implizit und wirken sich nur in einzelnen Fällen prägend auf das Erzählverfahren aus. So überzeugt das Herausarbeiten laientheologischer Muster häufig, nicht in allen Fällen ist ein Mehrgewinn über diesen Zugriff einer „religiöse[n] Grammatik“ in den höfischen Texten für ein Verständnis des Erzählens im Mittelalter aber weitreichend. Der Tagungsband dokumentiert, wie wichtig das interdisziplinäre Fachgespräch gerade für die Kontextualisierung zu beobachtender literarischer Phänomene ist.

Titelbild

Susanne Knaeble / Silvan Wagner / Viola Wittmann (Hg.): Gott und Tod. Tod und Sterben in der höfischen Kultur des Mittelalters.
LIT Verlag, Berlin 2011.
346 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783643108685

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