Rache

Mike Nicol schreibt über die Anstrengungen einer Zivilgesellschaft, die eine gewalttätige Vergangenheit hat – „Killer Country“ lebt davon

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das kriminale Südafrika als Zivilgesellschaft zu beschreiben, wäre ein wenig verfehlt. Dabei ist genau das das Thema der Krimis, die sich intensiv mit dieser Gesellschaft beschäftigen und dabei – mindestens gespiegelt – die Entwicklung des zivilen Lebens diskutieren. Dass diese Diskussion als Verkehrung des realen Lebens erscheint, liegt in der Natur eines solchen Spiegels. So rückt denn in der fokussierten Betrachtung des Krimis die Gewalt in den Vordergrund, die beliebig und ubiquitär ist.

Alle verwenden sie, die alten Kämpfer ganz besonders gern, denn sie sind es, die diese Gesellschaft (woher auch immer sie stammen) in den Zustand versetzt haben, in dem sie sich jetzt befindet. In der neuen Situation kombinieren sie ihre alten Kompetenzen mit neuen Anforderungen. Kein Kampf gegen die Apartheid und einen gewalttätigen Herrschaftsapparat, hier geht es um das jeweilige eigene Fortkommen, für das man gegebenenfalls auf andere angewiesen ist. Um dann am Ende für sich das meiste herauszuholen.

Aus dem Freiheitskampf direkt in die gnadenlosen Auseinandersetzungen einer kapitalistischen Welt, der vielleicht Herkommen und Hautfarbe egal ist, aber nicht, ob jemand Geld hat oder nicht oder ob man mit ihm Geld machen kann oder nicht: Das mag man als Niedergang begreifen oder als Verlust, aber keine Gesellschaft ist eine per se gerechte, sie muss es lernen und ihre Mitglieder müssen lernen, dass es einfacher, effektiver und lohnender ist, wenn man sich an die – wenn auch schwammigen – Regeln hält (Ladendiebstahl lohnt sich nicht).

Das ist ein langer Weg, auf dem jeder Beteiligte eigentlich nur Fehler machen kann. Gute gibt es in dieser Welt nicht, und Gerechtigkeit ist ein Gut, das nur schwer zu erwerben ist. Gerade diese Unklarheit macht viele südafrikanische Krimis so ertrag- und erfolgreich. Südafrika hat New York und Chicago und schon lange natürlich London als bevorzugtem Handlungsort abgelöst, weil hier die Gewalt plausibel ist, weil hier die Fragen der Zivilgesellschaft in der Extremsituation diskutiert werden können.

Wie kann sie in einer Gesellschaft entstehen, die nur gelernt hat zu kämpfen? Wie kann sie die Vergangenheit, die so viele Rechnungen offen gelassen hat, überwinden? Was kann sie denen bieten, die sich ihr anvertraut haben? Nur Hoffnungslosigkeit, Angst und Arbeitslosigkeit, wie es an einer Stelle in Mike Nicols „Killer Country“ heißt? Es ist eine der Schwächen der Zivilgesellschaft, dass sie so schwach zu sein scheint: Sie hat – aus der Perspektive ihrer Kritiker – keine eindeutigen Regeln und Strukturen, ihr Gewaltmonopol wird nur mit vergleichsweise freundlichen Methoden durchgesetzt, ihr Zwangsapparat wirkt schwach und ohne Durchsetzungskraft (was ein Irrtum ist).

Dagegen wirken autoritäre Systeme so stark und unerschütterlich, wenn wir denn nicht wüssten, dass sie genau das Gut verschleudern, auf das jede Gesellschaft angewiesen ist: Vertrauen. Das Vertrauen, das dazu führt, dass Leute mit der Gewissheit das Haus verlassen, dass sie es abends wieder – wahrscheinlich – betreten werden, das Vertrauen, das unterstellt, dass der Gegenüber im Grundsatz genauso friedlich und wohlgesonnen ist wie man selbst. Das hat nichts mit Naivität zu tun, sondern damit, dass eine Gesellschaft, die auf Vertrauen aufbaut, enorm leistungsfähig und belastbar ist – und sich auf mittlere Frist lohnt.

Und Vertrauen aufzubauen ist die wohl schwierigste Aufgabe in einem politischen System, das sich zu einem offenen wandeln soll und zu einem kooperativen. Immerhin funktioniert auch in diesem Krimisüdafrika einiges, was ohne Vertrauen nicht funktionieren dürfte: Es gibt Cafes und Restaurants, Straßen werden gebaut und die Stromversorgung funktioniert. Nur an den Punkten, an denen die Akteure handeln, die der Krimi in den Fokus nimmt, beginnt diese basale Struktur zu bröckeln.

Mace Bishop und Pylon Buso sind zwei alte Anti-Apartheidkämpfer, sie haben gefoltert und gemordet und waren Waffenhändler der üblen Sorte. Jetzt, im zivilen Südafrika, führen sie ein Unternehmen, das sich auf den Schutz von Personen spezialisiert hat, die sich bedroht fühlen. Nichts, was sie wirklich fordert, aber doch immer etwas, was Geld bringt. Beide haben mittlerweile Familie, beide wollen ins friedliche Leben, und beide werden immer wieder (wir kennen sie bereits aus dem 2011 in Deutschland erschienenen Krimi „Pay Back“, siehe literaturkritik.de) davon abgehalten, sie haben Geld auf den Caymans, an das sie nicht rankommen, die Steuer ist da humorlos. Und sie haben eine alte Feindin, Sheemina February, ebenfalls eine alte Kämpferin, die von den eigenen Leuten (Mace Bishop) gefoltert wurde, weil man nicht an ihre Loyalität glaubte.

February ist es auch, die im Hintergrund die Fäden bei einer abenteuerliche Abfolge von Ereignissen zieht, bei denen es eigentlich um eins geht: Sie will sich an Mace dafür rächen, dass er sie verstümmelt hat. Alles andere spielt in diesem Krimi eigentlich überhaupt keine Rolle – nicht dass Mace merken würde, was hier vorgeht, den Wissensvorsprung haben die Leser des Romans. Aber wir können sicher sein, dass es irgendwann, spätestens in zwei Romanen zum finalen Showdown zwischen Mace und Sheemena kommen wird. Ob er so aussehen wird, wie sie ihn sich vorstellt, darf dahingestellt bleiben.

Titelbild

Mike Nicol: Killer country. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Mechthild Barth.
Goldmann Verlag, München 2012.
508 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783442753819

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