Der Boom der ‚global studies‘

Sebastian Conrad legt eine ansprechende Einführung in die „Globalgeschichte“ vor

Von Eleonore AsmuthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eleonore Asmuth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unzweifelhaft hat die moderne Globalgeschichte zurzeit Konjunktur. Das beweist nicht nur die fortschreitende Institutionalisierung dieses geschichtswissenschaftlichen Fachgebiets in der universitären Landschaft, sondern insbesondere auch das hohe Maß an wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit diesem Thema befassen. Jüngst hat in diesem Zusammenhang Sebastian Conrad, der neben Jürgen Osterhammel wohl bedeutendste deutsche Globalhistoriker, ein Einführungswerk zur Globalgeschichte veröffentlicht. Es versucht sowohl Traditionslinien einzelner globalgeschichtlicher Ansätze aufzuzeigen als auch insgesamt eine Ordnung in das begriffliche und methodische Chaos zu bringen, das rund um die global studies herrscht. Weil dieses „Feld ausgesprochen heterogen und asymmetrisch ist“, scheint dieses Unterfangen ebenso ambitioniert wie absolut notwendig.

Der Versuch, einen Leitfaden für den Umgang mit Globalgeschichte zu schreiben, ist dem an der Freien Universität Berlin lehrenden Professor für Neuere Geschichte gelungen, und so bietet sich sein knapp 300 Seiten starkes Buch außerordentlich gut als Einführung an. Dabei richtet es sich sowohl an Laien als auch an Studierende, die sich für eine globalgeschichtliche Herangehensweise interessieren. Besonders lobenswert ist hierbei die ausgewogene Balance zwischen einer theoriegeleiteten Zugangsweise an die verschiedenen Ansätze der Globalgeschichte und den ergänzenden praxisorientierten Kapiteln, die den Blick für einzelne Studien und Themenbereiche der Globalgeschichte weiten.

In den einleitenden Kapiteln gibt Conrad zunächst einen Überblick über Traditionslinien und Entwicklungen, auf die die heutigen globalgeschichtlichen Ansätze aufbauen. Was der Autor dabei immer wieder betont, ist die Erkenntnis, „dass das gegenwärtige Interesse an grenz- und kulturüberschreitenden Zusammenhängen kein Novum darstellt, weder in Europa noch in vielen anderen Regionen“. Auf diesem Verständnishorizont aufbauend, entwirft Conrad ein Panorama globalgeschichtlicher Ansätze, die sich seit den 1990er-Jahren formiert haben und diskutiert daran anschließend Kritikpunkte und Grenzen globalgeschichtlicher Forschungen.

Auf Basis dieser Darstellung der gegenwärtigen globalgeschichtlichen Ansätze, die „kaum auf einen Nenner gebracht werden“ können, und ihrer Schwierigkeiten innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Forschung, belichtet Conrad einzelne Aspekte intensiver. So stellt der Autor zunächst vier aktuelle Diskussionszusammenhänge vor, innerhalb derer eine globalgeschichtliche Herangehensweise gefragt ist. Es geht dabei um die Weltsystemtheorie, um die postcolonial studies, um die Netzwerkanalyse und um das Konzept der multiple modernities. Im Anschluss daran thematisiert der Historiker wiederum vier größere globalgeschichtliche Probleme und Grundsatzfragen und widmet sich dabei dem Eurozentrismus, dem Problem der Periodisierung, der Frage nach einem ‚europäischen Sonderweg‘ und der Theorie der early modernities.

Im Anschluss daran wird Conrad in seinen Ausführungen – und das ist die große Stärke seines Buches – beispielhafter und somit praxisnaher. Es werden zunächst sechs Forschungsfelder aufgezeigt, die praktisch mit globalgeschichtlichen Ansätzen arbeiten und aus denen bereits interessante Studien hervorgegangen sind. Betrachtet werden: globale Waren, die Geschichte der Ozeane, der Bereich der Migration, die Geschichte der Imperien, die Kategorie der Nation, die Umweltgeschichte und zuletzt die Geschichte des Rassismus. In diesem Kapitel glänzt Conrad nicht nur mit einem breiten Fachwissen auf ganz unterschiedlichen Gebieten, sondern überzeugt auch durch die anschauliche Darstellung seiner gewählten Beispiele.

In seinem letzten Kapitel, „Globalgeschichte in Aktion“, stellt er dann abschließend zehn Bücher vor, die er als weiterführende Lektüre empfiehlt und die den Leser anregen soll, sich intensiver mit globalgeschichtlichen Zugängen zu geschichtswissenschaftlichen Themenbereichen zu beschäftigen. Hierbei benennt Conrad knapp die wichtigsten Thesen des jeweiligen Autos, platziert sie innerhalb des Forschungsfeldes und skizziert Vorteile und Chancen, die sich aus dem jeweiligen Ansatz ergeben können.

Durch die Ausgewogenheit zwischen theoretischem Überbau und beispielhafter Untermauerung anhand der Darstellung praxisnaher Themenfelder und Studien entwirft Conrad ein authentisches Bild der aktuellen Situation der Globalgeschichte. Die ‚großen‘ Thesen, die der Autor dabei stets wiederholt, erscheinen nach Lektüre des Buchs besonders einleuchtend. „Da Globalgeschichte“, so Conrad, „nicht ein natürlich gegebener Gegenstand ist, sondern eine Perspektive darstellt, ist es umso wichtiger, zu reflektieren, von wo aus sie betrachtet wird“. Der Historiker spricht der Globalgeschichte dabei zum einen ein ihr innewohnendes natürliches Bedürfnis zur Erklärung von Sachverhalten ab und betont in einem zweiten Schritt die Standortgebundenheit eines jeden globalgeschichtlichen Ansatzes. In diesem Sinne ist Conrad kein Verfechter einer totalen Globalgeschichte, sondern betont ihre Vorteile im Hinblick auf eine gewinnbringende Perspektive zur Untersuchung geschichtswissenschaftlicher Probleme.

Obgleich sich Conrads Einführung zur Globalgeschichte dennoch gut lesen lässt, was insbesondere mit der an Beispielen reichen Darstellung des Autors zusammenhängt, lassen sich kleinere Schwächen in der Konzeption nicht von der Hand weisen. Häufig werden grundlegende Argumentationsstränge in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederholt aufgegriffen und erst zu einem späteren Zeitpunkt vollends erklärt – so entstehen nicht selten störende Redundanzen.

Insgesamt ist Sebastian Conrads „Globalgeschichte“ dennoch empfehlenswert für all diejenigen, die sich für gegenwärtige globalgeschichtliche Ansätze interessieren, aber darüber hinaus auch für alle, die für einen neuen Blickwinkel auf dieses geschichtswissenschaftliche Feld aufgeschlossen sind. Denn eines beweist Conrad mit seiner Einführung ohne Zweifel, nämlich, „dass Globalgeschichte nicht mit Makrogeschichte gleichzusetzen ist, als Geschichte der Totalität der Welt“, sondern weitaus mehr und anderes enthalten kann.

Titelbild

Sebastian Conrad: Globalgeschichte. Eine Einführung.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
300 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783406645372

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