Sangspruch im Fokus

Über das von Theodor Nolte und Volker Schupp herausgegebene Buch „Mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts“

Von Claudia SchumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Schumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bändchen „Mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts“ ist 515 Seiten stark und in der „orangen Reihe“ des Reclam-Verlags erschienen. Die Besonderheit der Zusammenstellung besteht in der Anordnung der darin enthaltenen Sangsprüche. Im vorliegenden Band wurde in der ersten Ordnungsstufe nach Themen sortiert und dann möglichst chronologisch nach Autoren. Wo eine Chronologie nicht erreicht werden konnte, wurden die Autoren, deren Sangsprüche zum jeweiligen Leitthema passen, alphabetisch geordnet. Daraus resultiert ein Buch, das einer strikten Ordnung unterworfen ist, welche sich aber, ihrer vielen Ausnahmen wegen, erst mit Blick auf die Vorbemerkungen vollständig erschließt.

Neben den Sangsprüchen finden sich noch die jeweiligen Übersetzungen im Buch. Auch hier geben die Vorbemerkungen Aufschluss darüber, wie die Übersetzungen betrachtet werden sollen und auf welche Weise man mit ihnen arbeiten kann. So sind die Übersetzungen als Hilfestellung für das Textverständnis gedacht, die den Inhalt der Strophe zwar wiedergeben, aber nicht an Stelle des mittelhochdeutschen Textes stehen können. Dies ist Usus bei neuhochdeutschen Übersetzungen mittelhochdeutscher Texte, denn für die wissenschaftliche Arbeit kann eine Übersetzung in der Regel nicht eingesetzt werden. Einem Laienpublikum steht es dabei jedoch stets offen, ausschließlich die Übersetzungen zu lesen.

Ein Unterhaltungsbuch ist die „Mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts“ nicht. Ansonsten wäre der Text vermutlich sowohl in einem anderen Verlag erschienen als auch in einer anderen, weniger nüchternen Aufmachung vorgelegt worden.

Als Arbeitsbuch ist das Buch etwas ungewöhnlich aufgebaut, da man in der Fachwelt eher mit einer Sortierung nach Autoren arbeitet und für gewöhnlich zuerst nach einem Autor sucht beziehungsweise die Suche nach Autoren aus der Arbeitspraxis eher gewohnt ist, als die Suche nach Leitthemen. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass auch eine derartige Themenordnung für die wissenschaftliche Arbeit in bestimmten Zusammenhängen von Vorteil sein kann.

Da die Leitthemen im Inhaltsverzeichnis benannt sind, ist eine Suche nach diesen Themen gut durchführbar. Die Herausgeber des Bändchens räumen ein, dass eine autorbezogene Lektüre des Buches anhand des Registers ebenfalls möglich sei. Dies hält die Verfasserin jedoch für konstruiert, da sich, nach Selbsttest, eine Autorsuche mithilfe des Registers als ziemlich kompliziert herausgestellt hat.

Grundsätzlich liegt die Begründung der Ordnungsweise des Buches darin, dass die beiden Herausgeber bestrebt waren, darzustellen, welch thematische Vielfalt die mittelhochdeutschen Lyriker mit ihren Sangsprüchen bedienen konnten und sollten und wie unterschiedlich oder ähnlich bestimmte Stoffe von verschiedenen Sängern verhandelt worden sind. Das ist gelungen, doch stellt sich hier die Frage, ob dies bereits der Selbstzweck des Buches ist oder ob es sich tatsächlich um ein Arbeitsbuch handeln soll.

Da die unterschiedlichen Lieder und Strophen aus verschiedenen vorher bereits existenten Editionen und Bearbeitungen entnommen wurden, ergaben sich für die Herausgeber verschiedene Probleme. So lagen in den verschiedenen Bearbeitungen unterschiedliche Abstraktionsstufen zu den jeweiligen Originalhandschriften vor. Bei einigen Editionen waren alle Sonderzeichen aufgelöst, bei anderen nicht. Die Herausgeber sahen sich also, nach Textabgleich mit der jeweiligen Handschrift, an vielen Stellen veranlasst, die Texte selbst neu zu bearbeiten, um in den Abstraktionsniveaus möglichst konsistent zu bleiben.

Neben den Übersetzungen, welche sich jeweils auf der gegenüberliegenden Seite neben den mittelhochdeutschen Texten befinden, gibt es noch einen Kommentarteil im hinteren Abschnitt des Buches. Die hier befindlichen Kommentare sind sehr verkürzt. Jedoch spiegeln sie weitestgehend die gängige Lehrmeinung wieder und dienen damit als fundierte Arbeitsgrundlage, von der aus eine Vertiefung des eigenen Wissens in die jeweils angestrebte Richtung starten kann.

Das Literaturverzeichnis beziehungsweise die Literaturhinweise sind mit 12 Seiten an einigen Stellen exemplarisch, dafür aber gut, um einen Überblick zu bekommen.

Das obligatorische Handschriftenregister findet sich am Ende des Buches genauso wie ein Nachwort, in welchem Themen wie die Entstehungsgeschichte des Begriffs Sangspruch, seine Themenvielfalt und seine Überlieferung erläutert werden. Mithilfe dieser Informationen kann auch ein unkundiger Leser verstehen, aus welchem zeitgeschichtlichen Kontext heraus diese Art der Lyrik entstanden ist und was den Sangspruch ausmacht.

Insgesamt ist die „Mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts“ eine gelungene Darstellung des mittelhochdeutschen Sangspruchs und seiner Ausprägungen. Wenn man das Bändchen als Arbeitsbuch verwenden möchte, sollte man jedoch vorher um den ungewöhnlichen Aufbau wissen.

Titelbild

Theodor Nolte / Volker Schupp (Hg.): Mittelhochdeutsche Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts. Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch.
Reclam Verlag, Ditzingen 2011.
515 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-13: 9783150187333

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