Contra für Altmaier und Rösler

Claudia Kemfert zeigt sich in ihrer Streitschrift „Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole“ von der jüngsten Strompreisdebatte genervt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Claudia Kemfert ist ein Name in der Öko-Energie-Branche: Intelligent, erfolgreich, eloquent, jung, auch noch weiblich, natürlich attraktiv (was meist wie auch hier blond, langhaarig, Businessaufmachung bedeutet) – und in einer guten Position. All das macht sie zu einer Vorzeigefrau im Geschäft der Erneuerbaren Energien. Dass sie auch noch lesbar schreibt, gibt ihren Publikationen im breiteren Publikum eine große Resonanz.

Dabei haftet ihr kein alternativer Stallgeruch an. Dazu ist Kemfert viel zu sehr Mitglied des akademischen und politischen Establishments, was ihr niemand verwehren kann. Professorin, Ressortleiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Beraterin des EU-Präsidenten – eine Frau zwischen Wissenschaft und Politik, dabei auch noch eher der Konservativen als der Linken zuzuordnen. Immerhin gehörte sie dem Schattenkabinett Norbert Röttgens für die Landtagswahl in NRW an, die für die CDU allerdings verloren ging.

Dennoch: Etwas Besseres hätte den Erneuerbaren Energien nicht passieren können. Vorbei die Zeiten des zotteligen Baldur Springmann – die CDU-Politiker Herbert Gruhl und Klaus Töpfer haben eine berufene und erfolgreiche Nachfolgerin gefunden.

Klaus Töpfer, dem man unter anderem das Dosenpfand verdankt (und eben nicht Trittin, der setzte nur ein Gesetz Töpfers um) gehört denn auch zu den Mentoren der in Berlin lehrenden Wirtschaftswissenschaftlerin, wie auch dieser kleinen Kampfschrift anzumerken ist, in der er als bevorzugter Gesprächspartner Kemferts auftaucht. Doch selbst das ist eine kluge Wahl: Nicht die grünen Vorreiter der Ökoenergien, sondern der konservative und international erfahrene Töpfer, dem man vieles nachsagen kann, nur nicht Borniertheit. Er steht für eine pragmatische und zugleich utopische Energie – die notwendig ist, das große Projekt Energiewende voranzutreiben. Kemfert weiß sich also in guter Gesellschaft und Tradition, wenn sie auf Töpfer verweist und dabei weit über das hinausgeht, was Töpfer erreicht hat.

Das ist viel wert in einer Debatte, die in den letzten Monaten wieder einmal in die Öffentlichkeit schwappte. Der Anlass dieses Mal: Der starke Anstieg der EEG-Umlage auf über 5 Euro-Cent, mit der die Differenz zwischen dem Strompreis an der Börse (also dem Verkaufspreis) und der Einspeisevergütung für Ökostrom (also dem Einkaufspreis) auf den Strompreis umgeschlagen wird.

Das wirkt sich naheliegenderweise auf die Energiekosten jedes Haushalts und jedes Unternehmens aus – soweit sie eben die EEG-Umlage zahlen müssen und nicht davon befreit sind. Und gerade darin liegt das Problem: Die schwarz-gelbe Koalition hat nämlich die Ausnahmeregelungen stark ausgeweitet und damit die Kosten für die Allgemeinheit der Stromkunden erhöht, die brav ihre knapp 4.000 kWh pro Jahr verbrauchen.

Das weiß der Bundesumweltminister, das weiß der Bundeswirtschaftsminister und das weiß Frau Kemfert – wie alle, die die Zeitung oder ein anderes Informationsmedium nutzen. Die Debatte, die Rösler und Altmaier an prominenter Stelle anzettelten, drehte sich aber um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Leistungsfähigkeit der Ärmsten der Republik. Beide litten unter den hohen Stromkosten, und das sei nicht hinnehmbar.

Beide Politiker plädierten also für eine schnelle Änderung des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG), Rösler wollte gern das bekannt erfolglose Quotenmodell, und Altmaier sprach sich dafür aus, die Einspeisevergütung für Neuprojekte ein halbes Jahr auszusetzen und sogar die Vergütung für Altbetreiber abzusenken.

Leichtsinniges Gerede, wie auch Kemfert meint, denn die Konsequenzen spürt die Branche allenthalben, auch wenn die konzertierte Aktion der beiden Herren medial bereits verpufft zu sein scheint: Banken ziehen sich aus der Finanzierung von Projekten zurück oder verschlechtern die Finanzierungsbedingungen. Projekte verzögern sich. Die Branche zeigt sich verunsichert. Es wiederholte sich also im Jahr 2013, was in den beiden Jahren zuvor mit der Solarbranche geschah, die angeblich deutlich überfördert war und der man mal schnell den Geldhahn zudrehte. Die Konsequenz: Selbst gestandene Unternehmen wie Solarworld müssen um ihre Existenz bangen. Bosch steigt aus dem Solargeschäft aus, das erst zwei Jahre zuvor erworben wurde. Und was mit der Windenergiebranche wird, wird sich zeigen.

Dabei, so betont Kemfert, leide die Solar-Branche in Deutschland nicht daran, dass sie zu teuer produziere, sondern daran, dass ihr, im Unterschied zu China, die staatliche Unterstützung fehle. Denn nicht die billigen chinesischen Löhne, sondern bessere Finanzierungsmodelle und Staatsbürgschaften sorgten für die höhere Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Modulhersteller – was Solarworld-Chef Asbeck immer wieder als unlauter beklagt.

Das alles ist nicht neu für die Erneuerbaren, aber doch ärgerlich. Zumal es keine Alternative zum Umbau der Energieversorgung gibt, so betont Kemfert. Sie ist ökologisch dringend, und volkswirtschaftlich von derart positiven Wirkungen, dass sie die Kurzsichtigkeit von Politik und Publizistik verständnislos bestaunt. Unüberschaubar groß sei der Erfolg der Ökoindustrien in Deutschland, und zwar weit über die Grenzen hinaus: Die meisten Windenergieanlagen-Hersteller sitzen in Deutschland, das Knowhow auch chinesischer Anlagenbauer, die seit einigen Jahren massiv in den Markt drängen, wird von deutschen Ingenieurbüros geliefert – was auch für die Solar- und Biomassebranche gilt –, die positiven Effekte der Investitionen in die Erneuerbaren reiche bis weit in die Gesellschaft hinein. Das EEG wird weltweit als Vorbild genommen, sogar Länder, die bislang erfolglos das Quotenmodell ausprobiert hätten, schwenken jetzt auf das Modell feste Einspeisevergütung um.

Aber, so Kemfert, damit nicht genug: Die Ökoindustrien sind einer der Gründe dafür, dass Deutschland im Unterschied zu Großbritannien oder Frankreich immer noch eine nennenswerte Industriequote besitzt. Die viel diskutierte Deindustrialisierung ist an diesem Land vorübergegangen, was auch zu einer vergleichsweise hohen Robustheit der deutschen Volkswirtschaft führt – die eben Rösler und Altmaier gefährden, die sich angeblich um die Industrie sorgten.

Faktisch tun sie aber das Gegenteil: Gerade eben der Mittelstand und damit zahlreiche Arbeitsplätze in der Region profitierten vom Umbau der Energieversorgung – was anscheinend Teilen der Großindustrie und den Energieversorgern alter Provenienz nicht gefällt. Womit sich denn wohl auch die Medienkampagnen erklären lassen, mit der die Republik immer wieder überzogen wird.

Simplen Lobbyismus nennt Kemfert das, und warnt vor den Mythen, die die Großindustrie alten Kalibers und deren Kombattanten immer wie aufwärmten. Das Ziel, das sich dahinter verberge, sei offensichtlich: Besitzstandswahrung und Wettbewerbsvorteil. Die vielen kleinen Stromanbieter sollen aus dem Markt verdrängt werden. Aber auch das hat bereits Geschichte, was Kemfert ausnahmsweise nicht erwähnt: Die Steuerpolitik (im Übrigen des damaligen SPD-Mitglieds Oscar Lafontaine) begünstigt Großindustrien, sorgt sie doch für die Verdrängung der Bürgerwindparks und kleinen Projekte, die in den 1990er- Jahren überhaupt erst das technische und wirtschaftliche Fundament dafür geschaffen haben, dass die Ökoindustrie heute so erfolgreich sein kann (wenn man sie nicht künstlich kleinredet).

Für die großen Energiekonzerne gilt heute: Lieber ein paar große Offshore-Windparks, die sich die großen Versorger untereinander aufteilen, als die vielen kleinen Einspeiser, für die man dann auch noch das gesamte Energienetz umbauen muss – ein Vorhaben, gegen das sich die Netzbetreiber jahrelang wehrten und das sie jetzt umsetzen müssen. Und zwar, weil das Netz aus sehr vielen Gründen flexibler werden muss, nicht nur wegen der vielen Solardächer, wie Kemfert hervorhebt.

Gegen die alten Industrien und deren Lobbyisten setzt Kemfert die neuen Industrien: Die neue Bahncard ist grün, weil der Fernverkehr vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt wird. Modelle wie das auf der Hannovermesse 2013 propagierte Industrie 4.0 setzen auf integrierte Industrien, in denen unter anderem auch der Energieverbrauch präzise gesteuert wird. Die Diskussion um die intelligenten Netze, das sogenannte Smart Grid, zeigen, dass es Industrien gibt, die wissen, dass sich Ökologie und Ökonomie nicht widersprechen und dass es sinnvoll ist, frühzeitig in neue Technologien zu investieren, um langfristig erfolgreich zu sein. ‚Investieren statt Geld verbrauchen‘ ist Kemferts Empfehlung und die Praxis der intelligenteren Industrien. Kemfert steht also nicht allein, und ihre Kampfschrift ist nicht die einzige Stimme, die sich in der Öffentlichkeit gegen die bornierten Kampagnen aus der Industrie und Politik stellt. Aber sie ist außerordentlich gut zu vernehmen.

Titelbild

Claudia Kemfert: Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole.
Murmann Verlag, Hamburg 2013.
142 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783867742573

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