Die Bezahlung ist gut

Michail Gorbatschow, der erste und letzte Präsident der Sowjetunion, berichtet in sehr persönlich gehaltener Weise über sein Leben

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Glasnost“ (Offenheit) und „Perstrojka“ (Umbau) sind Schlagwörter, die untrennbar mit Michail Gorbatschow verbunden sind. Es waren völlig neue Töne, die Mitte der 1980er-Jahre während seiner Amtszeit aus der Sowjetunion zu hören waren und schnell wurden diese beiden Begriffe zu den meistbekannten russischen Wörtern in der ganzen Welt.

Im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts hat Gorbatschow eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, in denen er von seinen Ideen aber auch aus seinem Leben berichtete. In der vorliegenden Lebensgeschichte – im Untertitel zaghaft mit „Mein Leben“ umschrieben – gelingt Gorbatschow eine Verzahnung sehr persönlicher Erinnerungen mit Rückblicken auf seinen politischen Werdegang. Die starke Liebe zu seiner 1999 an einer seltenen Leukämieerkrankung verstorbenen Frau Raissa, der er diese Erinnerungen widmet, zieht sich wie ein Faden durch sein ganzes erwachsenes Leben. Bis heute plagt ihn ein schlechtes Gewissen gegenüber Raissa, die er mehr hätte beschützen und entlasten müssen.

Es gelingt Gorbatschow, eindrucksvolle Einblicke in das familiäre Leben und Umfeld seiner Herkunft zu vermitteln. Schritt für Schritt formte sich unter diesen gegebenen Umständen seine Entwicklung, die während seines Studiums in Moskau in einen ersten Lebensabschnitt mündete. Er hatte dort Raissa kennengelernt und war an der Universität zudem gebannt von diesem „Zentrum von Menschen unterschiedlicher Denkweise, Lebenserfahrung und Nationalität“.

Gorbatschow ist dieser Hinweis auf Pluralität wichtig, auf den er wiederholt zu sprechen kommt: „Als ich Präsident der UdSSR wurde und es mit Konflikten der Nationalitäten in meinem Land zu tun bekam, war ich kein Neuling in diesen Fragen: Hier in der geistigen Atmosphäre des Nordkaukasus sehe ich den Ursprung meiner Neigung, in Konfliktfällen nach einem Kompromiss zu suchen; nicht aus Charakterschwäche, wie einige meinen“. Hier klingt Polemik an, zumal im heutigen Russland wieder die altbekannten Muster straffer Gesten gepflegt werden.

Es ist faszinierend zu lesen, wie der begabte Junge aus dem Dorf, der auch das Handwerk des Mähdreschermechanikers seines Vaters beherrschte, seinen Weg durch die sowjetischen Institutionen ging. Gorbatschow war ein Produkt jener Partei- und Staatsapparatur, deren dringenden und grundsätzlichen Reformbedarf er immer realistischer einzuschätzen wusste. Durchaus selbstkritisch beschreibt er aus seiner Binnenperspektive die Machtmechanismen der bleiernen Jahrzehnte unter Leonid Breschnjew. Immer drängender stellten sich im erstarrten Sowjet-System die Fragen nach einer effizienten Verwaltung, nach Initiativen und persönlicher Verantwortung.

Dass gerade auch die übrigen Länder des „real existierenden Sozialismus“ durch die Reformblockade in der Moskauer Zentrale litten und in ihrer Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen wurden, wird aus russischer Sicht oft vernachlässigt. Die Blicke auf dem abgedruckten Photo, die sich der italienische Altkommunist Giancarlo Pajetta und Michail Gorbatschow anläßlich eines Gesprächs im Jahr 1984 zuwerfen, sprechen Bände.

Wie in einem spannenden Krimi schildert Gorbatschow die einzelnen Etappen der von ihm ins Leben gerufenen Reformen in der Sowjetunion. Eigene Fehler werden ebensowenig ausgespart wie Ränke und Gegenstrategien der alten Nomenklatura. Mit ihr hat Gorbatschow noch eine Rechnung offen, zumal er gerade aus dem Rückblick von der Richtigkeit der Perestrojka überzeugt ist. Übrigens nicht nur im eigenen Land! Die Entwicklung der Globalisierung belegt für ihn ein weltweites Überdenken bisheriger Wirtschafts- und Lebensformen.

Sichtliche Genugtuung bereitet Gorbatschow die Unumkehrbarkeit seiner Regierungsjahre, wenn er das erwachende Leben in seiner Heimat betrachtet. Das kulturelle und gesellschaftliche Leben belegt das Erwachen von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, dem Bewusstsein eigener Verantwortung bezüglich dem Schicksal des Landes.

Und selbstbewusst nimmt Gorbatschow im Dialog mit einer jungen Korrespondentin zur Kenntnis, dass Freiheit auch von Kräften in Anspruch genommen wird, die ihr eigenes Süppchen kochen: „,Arbeiten Sie noch immer beim CIA?‘ Ich schaute sie an: ein junges Gesicht. Jemand hatte sie auf mich angesetzt, sie erfüllte einen Auftrag. Ich antwortete: ,Ja.‘ ,Und warum?‘ ,Die Bezahlung ist gut‘, sagte ich und drehte mich um…“.

Titelbild

Michail Gorbatschow: Alles zu seiner Zeit. Mein Leben.
Übersetzt aus dem Russischen von Birgit Veit.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2013.
552 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783455502763

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch