Eine Welt voller Kopien

Über William Gaddis’ Roman „Die Fälschung der Welt“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1955 erschienen, ist „The Recognitions“ eines dieser ausufernden, im Metatextuellen mäandernden und nicht zuletzt unglaublich dicken Meisterwerke postmoderner Literatur, in einem Atemzug genannt mit „Die Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon, dem „Tabakhändler“ von John Barth oder dem „Unendlichen Spaß“ von David Foster Wallace.

Dabei hat alles eigentlich ganz unschuldig begonnen, nämlich mit dem ambitionierten, aber durchaus jungenhaften Traum eines Mannes, die Fabel des Dr. Faustus in die Welt der Fälschungen und des Epigonentums zu überführen: Ein schmales Werk habe er zu Beginn im Sinn gehabt, so William Gaddis rückblickend, angesichts des Ergebnisses zeigte er sich selbst fassungslos, da es sich in der Endfassung um nichts anderes als eine Ideengeschichte der Fälschung vom Beginn der Menschheit bis heute handelte.

Und doch, die Grundidee des jungen Mannes, der dann während des Schreibens den Verstand in einem guten Sinn verlor, ist immer noch erahnbar: Ein junger Künstler, aufgewachsen im geradezu klassischen Ambiente des modernen Bildungsromans der Psychosen und Religionen, beugt sich in typisch künstlerischer Manier über Zeichnungen und verzweifelt am eigenen Anspruch. Er erhält Besuch von einem undurchsichtigen, mysteriös-düsteren Mann, dem Mephisto auf die Stirn geschrieben zu stehen scheint. Und jener verführt den Jüngling – diesmal zur Fälschung und zum schnöden Mammon: Alte Meister zu kopieren, dies sei doch bei weitem einträglicher, als diese sinnlose Hatz nach dem Originalkunstwerk, dem Geniestreich. Denn das Genie, so lesen wir immer wieder im Verlauf des Romans, sei ohnehin eine Illusion und nicht mehr zeitgemäß in einer Welt, welche ohne Zweifel nichts als betrogen werden wolle.

Der junge Mann, Wyatt Gwyon genannt, beginnt also mit dem Fälschen. Allein, er fälscht eigentlich nicht, sondern erstellt neue Werke unter dem Diktat der Meister, die vom Teufel, der eigentlich nur ein Kapitalist ist, als unerhörte Fundtücke gefeiert und für horrende Summen verkauft werden.

Soweit die Rahmenhandlung, denn Gaddis stellte im Verlauf der Niederschrift seiner Fälschergeschichte fest, dass die ganze Welt auf Fälschungen, Kopien und Nachahmungen beruhe und so aus seinem Künstlerroman nichts weniger als ein Weltroman werden müsse. – Abgang Künstler, Auftritt Welt: Nach 100 Seiten weitet sich plötzlich der Blick, lassen wir doch den Künstler im düsteren Atelier mitsamt seiner ergreifend beschriebenen Ehekrise zurück und wenden uns dem Treiben New Yorks zu, wo jeder jeden hemmungs- und folgenlos bestiehlt – und sei es den kleinen Aphorismus, geäußert auf einer Party, der am Ende der Feierlichkeiten längst die Runde gemacht hat und in aller Munde ist, bereit, am Tag danach über die ganze Stadt gestreut zu werden. Auf diese Weise bewegen sich alle Artefakte von Hand zu Hand, und jeder geriert sich mehr ironisch als wahrhaftig als ursprünglicher Schöpfer.

Nun ist der Roman aber eines der wesentlichen Zeugnisse der Postmoderne und dies vor allem deshalb, weil Gaddis weder sich selbst noch seine Kollegen aus seiner Fälschungsanthologie ausnimmt. Die Weltliteratur insgesamt spielt hier zum Tanze um die Kopie auf: Da wird ein typischer Sonnenaufgang im profanen New York zum griechischen Mythenspiel und eine schnöde Taxifahrt zur schieren Odyssee – und zwar wortwörtlich. Das ist, kurz und knapp, schon grandios gemacht und so farbig, lebendig und abwechslungsreich in Szene gesetzt, dass man sich begeistert fragt, wohin einen wohl die nächste Seite des über 1.200 Seiten umfassenden Opus Magnum wohl verschlagen wird: So macht selbst die Postmoderne Laune!

Natürlich, der Text verlangt aufmerksames Lesen, Geduld und vor allem ein Humorverständnis, welches über den Schenkelklopfer und die aristotelische Fallhöhe hinausgeht. Ein Vorschlag: Liest man die erste Seite und kann der feinen Ironie, die niemals platt anmutet, aber auch nicht ins Zynische driftet, kann also dieser wunderbar hintergründig gesetzten Ironie nichts abgewinnen, dann lese man besser nicht weiter.

Beschließt man aber die weitere Lektüre, bekommt man es nicht nur mit einem unerhört intelligent geschriebenen, den Kopf im besten Sinn verdrehenden und sprachlich fein gearbeiteten sowie genial von Marcus Ingendaay übersetzten Roman zu tun, sondern lernt vielleicht sogar einen Schriftsteller schätzen, der es einem in seinen späteren Werken niemals mehr so einfach machen wird: Sicher, auch hier finden sich bereits diese Dialogfetzentechniken, die dann später „JR“ und „Letzte Instanz“ zu einer so anspruchsvollen, ja regelrecht anstrengenden Lektüre gestalten, doch sind im Erstling diese Szenen noch zumeist eingebettet in erklärende Sequenzen, weshalb man neben dem intellektuellen Vergnügen diesen Roman einfach genießen kann und einen idealen Einstieg ins spannende Gesamtwerk des 1998 verstorbenen Amerikaners vor sich hat. Einem Autor immerhin, dem es als einzigem gelungen ist, eine Hommage an Thomas Bernhard zu verfassen, ohne dessen Stil zu kopieren – im „Mechanischen Klavier“, seinem letzten Werk und geradezu ironischen Kommentar zur Falschmünzersymphonie des Erstlings.

Titelbild

William Gaddis: Die Fälschung der Welt. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Marcus Ingendaay.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013.
1228 Seiten, 34,99 EUR.
ISBN-13: 9783421045195

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