Eine west-östliche Diva reist nach Österreich

Die Schweizer Literaturkritikerin Hildegard Elisabeth Keller hat die gebürtige Ukrainerin Katja Petrowskaja eingeladen

Von Lisa-Marie GeorgeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa-Marie George

Bei den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur geht es international zu. Eine Schweizer Literaturwissenschaftlerin, die Germanistik, Hispanistik und Soziologie studierte, lädt eine ukrainische Journalistin ein, die mittlerweile in Berlin lebt, bevorzugt über die ehemalige Sowjetunion berichtet und ein Jahr in den USA forschte. Es ist die Reise einer west-östlichen Diva.

Deutsch ist nicht ihre Muttersprache. Erst mit 29 kam sie nach Berlin. Doch in diesem Jahr zählt sie zu den „Auserwählten“. Die Schweizer Literaturkritikerin Hildegard Elisabeth Keller hatte sie für den Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis 2013 nominiert. Doch wieso benennt Keller ausgerechnet die gebürtige Ukrainerin Katja Petrowskaja?

Vom Suchen und Finden eines Autors

„My Secret is Mine“, schreibt Keller. Nirgendwo ist eine Begründung für die Auswahl zu lesen. Sie bleibt das Geheimnis jedes einzelnen Jurymitglieds. Keller und Petrowskaja könnten sich bei der „Neuen Züricher Zeitung“ kennen gelernt haben, für die sie beide publizieren. Mehr ist nicht bekannt.

Katja Petrowskaja schreibt jedoch nicht nur für die „NZZ“. Eine ihrer bekanntesten Kolumnen veröffentlicht sie in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Darin ist sie „Die west-östliche Diva“, eine ukrainische Autorin, die in Deutschland lebt und schreibt.

Die Reise zum „Ozean im Fingerhut“

Petrowskaja wird am 3. Juli dem Ruf von Keller nach Klagenfurt folgen. Am Wörthersee, einem Ozean inmitten des Literaturbetriebs, kommen sie alle zusammen. Dort wird Petrowskaja die Autorin, nicht die Journalistin sein. Petrowskajas erste Station war Kiew im Jahr 1970. Die Autorin wuchs in der ehemaligen Sowjetunion auf. „Ich war sieben Jahre alt und zum ersten Mal am Meer. Meine Mutter hatte mir einen grün gemusterten Badeanzug genäht, mit gelben Borten und blauer Naht, perfekt geschnitten. […] Aber warum musste er ausgerechnet aus Leinen sein?“ Petrowskaja schildert winzig kleine Alltagsbeobachtungen und widmet sich davon ausgehend ihren Themen: Erfahrungen in der ehemaligen Sowjetunion, Kritik an der russischen Politik, der Alltag einer Immigrantin in Deutschland, historische Ereignisse, Reiseberichte, Portraits. Als „Brünhild auf dem Sattel“ erkundet sie mit dem Rad die deutsche Kultur oder entdeckt in ihrem Artikel „Mein Leben mit dem Zahnarzt“ die Sprache, die sie erst mit Ende Zwanzig kennenlernte. „Also, ich ging einmal zum Zahnarzt. So was. Ich habe doch nie Zahnprobleme gehabt. Ja, das war schon in Deutschland. Und der Zahnarzt guckte mir in den Mund. Er verstummte. Ich wusste, was er dachte: Naja, diese osteuropäischen Frauen, sie sind zwar schön, aber mein Gott, was haben sie da drin?“

Von der Ukraine führt sie ihr Weg zum Studium nach Estland, anschließend zur Promotion in die russische Hauptstadt und schließlich nach Deutschland – das Land, in dem sie seit 1999 lebt. Zu ihrem „Reisetagebuch“ gehören Artikel für die „taz“, die „FAS“, aber auch für russische Medien wie „Radio Liberty“ und „Radio Svoboda“. 2014 kommt nun eine weitere Etappe auf ihrer Reise hinzu: Der Suhrkamp Verlag veröffentlicht ihren ersten Roman „Vielleicht Esther“.

Wort und Fleisch

Bisher schrieb Petrowskaja realistisch, nicht fiktional. Wenn sie in Klagenfurt das Wort ergreift, könnte es historisch werden. Aber das sind Spekulationen. Der Wettbewerb hat bereits viele schriftstellerische Karrieren gefördert. In der Landeshauptstadt von Kärnten wird jährlich einer der wichtigsten deutschsprachigen Literaturwettbewerbe ausgetragen – auch wenn die Wände des ORF-Theaters derzeit zu bröckeln beginnen. Dieses Jahr wird es auf jeden Fall noch einen Gewinner oder eine Gewinnerin geben. „Vielleicht Esther“. Vielleicht Katja.

Anmerkung der Redaktion: Die Titel sind dem Werk von Katja Petrowskaja und Hildegard Elisabeth Keller entlehnt

Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.