Über die von Stefan Abel und Nicole Eichenberger besorgte Edition von Jos von Pfullendorf „Das Buch mit den farbigen Tuchblättern der Beatrix von Inzigkofen“

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im „Buch mit den farbigen Tuchblättern der Beatrix von Inzigkofen“ wird von einem zunächst seltsam erscheinenden Objekt berichtet: von einem Buch, das keine Schrift, sondern nur farbige Blätter aus Wollstoff enthält. Dieses Buch bekommt Beatrix, Augustinerchorfrau im Stift Inzigkofen, von ihrem Vater, der sie vor Weihnachten im Kloster besucht. In dem als Dialog zwischen Vater und Tochter gestalteten Text erklärt der Vater nach und nach, wie das Tuchblätterbuch dennoch ‚gelesen‘ werden kann. Die im Text inszenierte Kommunikationssituation ist auch deshalb besonders interessant, weil sie einen direkten Bezug zur außerliterarischen Lebenswelt aufweist: Der Autor des „Tuchblätterbuchs“, der Rottweiler Stadtschreiber Jos von Pfullendorf (gestorben um 1433), war der leibliche Vater der Inzigkofener Nonne Beatrix.

Die sechs farbigen Blätter des Büchleins verweisen auf unterschiedliche theologische Inhalte. So bedeutet etwa die weiße Farbe die Unschuld der Seele im Zustand der Taufgnade, die schwarze Farbe die Befleckung der Seele mit Sünden, die goldgelbe Farbe die Kostbarkeit des ewigen Lohnes. Ausgehend von dem einfachen Bild eines farbigen Tuchblatts vermittelt Jos von Pfullendorf relativ komplexes theologisches Wissen und zitiert zahlreiche Autoritäten, beispielsweise Petrus Lombardus und Bernhard von Clairvaux. Der intellektuelle Anspruch des Dialogtraktats steht somit in einem latenten Widerspruch zum Motiv des Buches ohne Schrift, das gerade ohne klerikale Gelehrsamkeit verstanden werden kann – dieser Widerspruch wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die anderen Ausformungen dieses Motivs wirft. So wird etwa in einem Exempel aus den „Gesta Romanorum“ berichtet, wie ein illiterater Laienbruder dem Kleriker, der ihn fragt, wie er seinen Tag ohne Lesen zubringe, antwortet, er kenne nur drei farbige ‚Buchstaben‘ (schwarz – Sünden et cetera), die er täglich meditiere. Dem beeindruckten Kleriker gilt daraufhin all sein Buchwissen nichts mehr. Von der subversiven Tendenz dieser Fassung ist im „Tuchblätterbuch“ allerdings kaum etwas zu spüren, denn Jos integriert das Motiv vom farbigen Buch mithilfe geschickter literarischer Kunstgriffe in einen Traktat, der ganz von der klassischen Form der Wissensvermittlung im Meister-Schüler-Gespräch bestimmt ist.

Jos von Pfullendorf hat das „Tuchblätterbuch“ nicht vollendet – möglicherweise ist er vor der Fertigstellung verstorben. Der fragmentarische Text ist unikal in einem Autograf des Verfassers überliefert. In dem vorliegenden ZfdA-Beiheft von Stefan Abel (Universität Bern) und Nicole Eichenberger (Universität Freiburg/Schweiz) wird der bisher unveröffentlichte und in der germanistischen Forschung wenig beachtete Text durch eine Edition und detaillierte Untersuchungen der historischen und literarischen Kontexte zugänglich gemacht.

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Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Jos von Pfullendorf: Das Buch mit den farbigen Tuchblättern der Beatrix von Inzigkofen. Untersuchung und Edition.
Herausgegeben von Stefan Abel und Nicole Eichenberger.
Hirzel Verlag, Stuttgart 2013.
104 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783777622583

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