Der Kerzenzieher aus Neapel

Giordano Brunos „Der Kerzenzieher“ neu kommentiert

Von Patrick MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Giordano Bruno 1581 Paris erreichte, hatte er eine lange Wanderschaft hinter sich. Im Jahr 1548 erblickte er in Nola bei Neapel das Licht der Welt. Giordano Bruno war 17 Jahre alt, als er in den Dominikanerorden eintrat. Seine Ausbildung erhielt er im Konvent in Neapel. Schon zu dieser Zeit geriet er mit der Ordensleitung in Streitigkeiten. Seine Ablehnung bezüglich der Marienverehrung führte anfangs nur zu folgenlosen Reibereien. Dies änderte sich im Laufe der Jahre. Seine Priesterweihe wurde 1572 vollzogen und bereits 1576 musste er Neapel verlassen, da er zum ersten Mal unter Verdacht der Ketzerei stand. Von nun an sollte Giordano Brunos bewegendes Wanderleben beginnen. Es führte ihn nach Frankreich, England und Deutschland. Sein ganzes Leben war von Provokation, Eklats und Flucht geprägt. Dies war schon 1582 abzusehen, in dem Jahr, in dem die Komödie „Der Kerzenzieher“ (Candelaio) erschien, die zugleich seine erste Veröffentlichung in italienischer Sprache war.

Das in italienisch-neapolitanischer Umgangssprache erschienene Werk verflicht seine philosophischen Ideen mit literarischer Akkuratesse. Es ist nicht übertrieben, wenn man den Kerzenzieher zu den wichtigsten Komödien des späten 16. Jahrhunderts zählt. Vor dem eigentlichen Stück befinden sich vier recht lange Vorreden. Anzahl und Länge lassen bereits erahnen, dass es sich hier um die Parodie des in der Renaissance oft gewählten Genres handelt. Es findet eine – für nicht Eingeweihte sicher komisch anmutende – Selbstinszenierung des Autors statt. Für Erstleser des Candelaios ist ein direkter Einstieg in das eigentliche Stück sicher von Vorteil. Zwar fehlen bei einem solchen Vorgehen einige Informationen, doch dürften die Lücken durch die zahlreichen Anmerkungen geschlossen und das Verständnis damit gesichert werden. Das Stück selbst spielt in Neapel und kennt drei Hauptfiguren: einen pedantischen, ehebrecherischen Intellektuellen, einen schwarzer Magie nicht abgeneigten Intriganten und einen Alchemisten, dessen einzige Beschäftigung darin liegt, Geld durch alchemistische Prozesse vermehren zu wollen. Diese drei als Verlierertypus dargestellten Figuren werden im Laufe der Geschichte durch den Maler Gioan Bernardo, dessen Name eine auffallende Ähnlichkeit zu Giordano Bruno aufweist, und die Kupplerin Lucia getäuscht und bestraft.

In diesem Theaterstück schafft es Giordano Bruno, ganz unterschiedliche Aspekte zu einem kohärenten Ganzen zu fügen. Dazu reizt Bruno die Mittel, die ihm das Theater bietet, vollständig aus. Wichtigstes Stilmittel ist dabei das Stück im Stück: Er macht aus der Theaterbühne wiederum eine Theaterbühne, um theoretische Monologe einzubringen, wie die Rolle der Fortuna im zyklischen Weltbild oder Abhandlungen zu Brunos Gedächtniskunst. Das ganze Stück liest sich wie ein in literarische Form gegossenes Pamphlet zu Brunos zentralem Theorem, das er in seinen späteren Werken immer wieder aufgreifen wird: Im unendlichen Universum wird die Realität immer nur als kleiner Teil wahrgenommen werden können, welcher allerdings das Weltganze enthält, da alles in allem ist. An dieser Stelle wird eine klare Verbindung zu Brunos späteren Werk „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“ deutlich, in der seine Unendlichkeitsthese ihren Höhepunkt erreichen sollte.

Aber auch Brunos Gedächtniskunst ist ein roter Faden, der sich durch all seine Werke zieht. Gerade „Der Kerzenzieher“ ist unter diesem Aspekt betrachtet sehr aufschlussreich und liefert ergiebige Hinweise auf seine Mnemotechnik. Im selben Jahr erschien auf lateinischer Sprache „De umbris idearum“. Es kann als Hauptwerk zu Brunos Gedächtniskunst angesehen werden. Sein darin vorgestelltes System hat als Basis die vom Katalanen Raimundus Lullus entwickelte ars combinatoria. Bruno unterteilt fünf jeweils drehbare ineinander liegende, lullische Räder in 150 Abschnitte. Jeder Abschnitt fasst einen Umlaut oder eine Silbe. Hervorzuheben ist, dass jedes Rad die identischen Buchstabenkombinationen aufweist. Werden nun die Räder in Bewegung gesetzt, so ergeben sich unzählige Buchstabenkombinationen, die zu ganzen Wörtern wie etwa schwierig zu merkenden Fachbegriffen gedreht werden können. Wenn nun jedes der 150 Unterabschnitte mit eigens dafür kreierten mnemotechnischen Bildern im Kopf verknüpft wird, so können die dadurch memorierten Bilderserien wieder zu Buchstaben dekodiert werden. Der Inhalt von „De umbris idearum“ steht in direktem Bezug zum Kerzenzieher. Bruno verwendet diese Methode, um das menschliche Gehirn zu strukturieren und bessere Merkleistungen zu erzielen. Aber seine Methode spiegelt auch sein philosophisches Konzept wider. Seine Unendlichkeitsthese wird durch die nahezu unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten der lullischen Räder erst greifbar. Jede Kombination, sogar jeder Zeichensatz gehört zu allem und spiegelt als ein Teilstück alles wider.

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Giordano Bruno: Werke. Candelaio. Der Kerzenzieher.
Herausgegeben und kommentiert von Sergius Kodera.
Übersetzt aus dem Italienischen von Sergius Kodera.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2013.
343 Seiten, 128,00 EUR.
ISBN-13: 9783787318018

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