Tiere und Menschen – alles eins?

Über den von Konrad Paul Liessmann herausgegebene Tagungsband „Tiere. Der Mensch und seine Natur“

Von Tobias WeilandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Weilandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Können Tiere denken? Inwiefern sind Tiere moralisch relevant, sollten Tieren also Rechte, wie zum Beispiel die Menschenrechte, den Menschenaffen zugeschrieben werden? Sind wir Tiere und wenn ja, in welcher Hinsicht, oder stehen wir gänzlich als Kulturwesen außerhalb des Reiches der Natur? Fragen dieser Art sind in den letzten Jahren immer populärer geworden und bilden die Streitpunkte zahlreicher Diskussionen. Motiviert sind diese insbesondere durch die Fülle an empirischen Beobachtungen von akkulturierten und freilebenden Tieren, die angesichts beeindruckender Verhaltensrepertoires unser Selbstverständnis ins Wanken bringen. Im Jahre 2012 bot das 16. Philosophicum Lech Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Disziplinen eine Plattform, um genau solcherlei Fragen zu verhandeln. Die Ergebnisse liegen nun im von Konrad Paul Liessmann herausgegebenen Tagungsband „Tiere. Der Mensch und seine Natur“ vor.

In insgesamt zwölf Beiträgen stellen Philosophen, Theologen, Biologen, Verhaltensforscher, Germanisten und Philologen ihre Überlegungen zum Tier-Mensch-Verhältnis vor. Die Leserin erwartet also ein Konvolut verschiedenster Vorschläge, die das Problem auf unterschiedlichste Weise zu lösen versuchen. Genau hier gilt es jedoch einzulenken, denn so reichhaltig die Ansätze der hier versammelten Forscherinnen und Forscher methodisch auch auf den ersten Blick sein mögen, so zeigt sich doch bei genauerem Hinsehen, dass hier fast durchgängig die einhellige Meinung herrscht, Tiere könnten denken, Tiere seien auf jeden Fall in höchstem Maße moralisch relevant und wir seien wesentlich Tiere, lang tradierte Begründungen einer Sonderstellung des Menschen somit hinfällig. Einziger Ausreißer in dieser Reihe ist der Marburger Emeritus Reinhardt Brandt, der dezidiert dafür zu argumentieren versucht, dass Tiere nicht denken könnten, da sie keine Urteile in Form propositional strukturierter Aussagesätze fällen. Tatsächlich skeptische Referent/innen sucht man, außer dem genannten Autor, in diesem Band vergebens, weshalb der Eindruck entstehen könnte, diese Fragen seien nicht allzu kontrovers. Tatsächlich gibt es aber zahlreiche, vernünftig argumentierende Wissenschaftler, die gegen eine Gleichsetzung von Mensch und Tier plädieren und bestreiten, dass Mensch und Tier wichtige kognitive Fähigkeiten teilen. So eindeutig sind die Beobachtungen nämlich nicht, die oftmals als „Beweise“ für einen Geist der Tiere herangezogen werden, wie dies im vorliegenden Band etwa Thomas Macho und Kurt Kotrschal tun.

Auch wenn „Tiere. Der Mensch und seine Natur“ nur einseitig den state of the art divergenter Diskussionen wiedergibt, bekommt man dennoch einen Einblick in innovative und interessante Arten, sich den Problemen anzunehmen: Zu nennen sind hier insbesondere Andrea Grills Überlegungen zum Mensch-Haustierverhältnis und der Frage, inwiefern wir bei Haustieren immer noch von Tieren sprechen können („Was ist ein Tier? Zur Erfindung des Haustieres“). Haustiere werden durch Namensgebungen individualisiert und scheinbar aus der Reihe der wildlebenden Bestien herrausgehoben. Sie kommt zu Ende ihres Vortrages zu der neuartigen These, das Halten von Tieren sei kein anthropologisches Proprium, da auch einige Tierarten, wie zum Beispiel Ameisen, „Haustiere“ halten und eine Symbiose mit diesen eingingen.

Ebenfalls höchst aufschlussreich ist Thomas Machos kulturhistorischer Beitrag „Tiere – Menschen – Maschinen. Für einen inklusiven Humanismus“ in dem er gegen eine Sonderstellung des Menschen votiert. Hierfür sprächen zum einen die zahlreichen Berichte aus der Ethologie (Verhaltensforschung) und die Schlussfolgerungen der Evolutionstheorie, zum anderen der Sachverhalt, dass sich anthropologische Wesensbestimmungen zumeist einer petitio principii schuldig machten, denn „unmerklich nehmen sie vorweg, was sie erst abzuleiten behaupten: das angebliche Prinzip des Humanen, den fundamentalen Unterschied zwischen Tieren, Menschen oder Maschinen.“

Tatsächlich gilt der Vorwurf des Zirkelschlusses aber auch für weite Teile der assimilationistischen Position, also der Behauptung, dass es keinen kategorialen Unterschied zwischen Mensch und Tier gäbe. Assimilationisten verwenden zumeist ein mentales Vokabular, also zum Beispiel Begriffe wie Überzeugungen und Absichten, um tierliches Verhalten kausal zu erklären. Letztlich impliziert aber die Verwendung solcher Termini den Umstand, dass es sich um ein adäquates Mittel zur Beschreibung und Erklärung handle. In diesem Fall wird streng genommen also bereits vorausgesetzt, dass Tiere über die gleichen mentalen Fähigkeiten verfügen, denn wir beschreiben sie mit den gleichen Mitteln, wie die menschlichen Fähigkeiten. Assimilationisten, wie Thomas Macho, begehen also ebenso einen Zirkelschluss, wie die von Macho kritisierten Differentialisten.

Differentialistische Meinungen, nach denen Tiere und insbesondere Maschinen grundverschieden von Menschen seien, stellten sich erst mit dem Zeitalter der Industrialisierung ein. Brachte uns die Industrialisierung zwar ökonomischen Reichtum und technische Triumphe, so entfernte sie uns doch von unseren maschinellen Produkten und verdrängte die Tiere, die nun höchstens noch als seelenlose Nutztiere verwendet wurden, aus vielen Lebensbereichen. Bestand auf der einen Seite bis dahin eine „Solidarität der Sterblichen“, in der Tier und Mensch als gleichrangig angesehen wurden, stellt sich das Verhältnis Mensch-Maschine erst als problematisch heraus, seit es eigenbetriebene Maschinen gibt, die den Menschen in physischen und kognitiven Möglichkeiten einiges voraus haben. Eine solche Solidarität müsse nicht nur wieder die Tiere, sondern nunmehr auch Maschinen einschließen: „Tiere sterben, Menschen sterben, und auch die Maschinen werden sterben.“

Die Grundidee des Macho’schen Humanismus vertritt hinsichtlich der Gleichstellung von Mensch und Tier auch Markus Wild, wenn auch noch etwas radikaler. Wild fordert in „Der Mensch und andere Tiere“ eine zoologische Wende in der philosophischen Anthropologie und geht dabei von der Animalismusthese Olson’scher Provenienz aus, nach der Menschen wesentlich Tiere seien und die alte Frage nach der personalen Identität nicht qua psychologischer, sondern ausschließlich durch biologische Kontinuität zu erklären ist. Wild optiert für eine Zoomorphisierung (Vertierlichung) des Menschen, im Gegensatz zur Anthropomorphisierung (Vermenschlichung) von Tieren.

Im Animalismus ist jeder Mensch mit einem Tier numerisch identisch, das heißt jede Tätigkeit, die wir ausführen, wird ebenfalls von einem (menschlichen) Tier verrichtet. Würde man hierbei von zwei unterschiedlichen Entitäten ausgehen, stellte sich immer die Frage: Wer handelt, ich oder das Tier? Diese Frage ist jedoch sinnlos, da sich das Tier und ich zur selben Zeit am selben Ort befinden und wir von derselben materiellen Beschaffenheit sind. Laut Olson und Wild sind wir demnach wesentlich Tiere, also Wesen einer bestimmten biologischen Art. Genau hier lässt sich jedoch nachfragen: Folgt daraus tatsächlich eine umfassende Wesensbestimmung des Menschen? Es ist mit dieser Argumentation vereinbar, dass ich auch andere wesentliche Eigenschaften haben kann, wie zum Beispiel sprechen und denken zu können. Diese können dann doch wieder für einen qualitativen Unterschied zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren herangezogen werden.

Abgeschlossen wird der Sammelband „Tiere. Der Mensch und seine Natur“ mit der Laudatio auf den Philosophiehistoriker Herbert Schnädelbach anlässlich der Verleihung des Lecher Essaypreises „Tractatus“ und eines Vortrages des Preisgekrönten, in dem er über die Stationen seines akademischen Werdeganges plaudert. Das angehängte Autorenverzeichnis gibt Auskünfte über die Tätigkeiten und wichtigsten Publikationen der Referent/innen.

Auch wenn die Beiträge die Theorienlandschaft nur recht einseitig vertreten, können sie doch wichtige Impulse für die Diskussion anthropologischer, tierphilosophischer und tierethischer Fragestellungen geben. „Tiere. Der Mensch und seine Natur“ besticht durch seinen Methodenreichtum, der den vielen vertretenen Disziplinen geschuldet ist. Eine solche Fülle findet man in den Publikationen zum Thema in den letzten Jahren nur selten.

Titelbild

Konrad Paul Liessmann (Hg.): Tiere. Der Mensch und seine Natur.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013.
384 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552056022

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