Selbstregulierende Lolitas

Sarah Dangendorf hat eine Studie zur visuellen Sexualisierung frühadoleszenter Mädchen vorgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass „das Äußere von Kindfrauen“, wie Sarah Dangendorf in ihrer Studie „Kleine Mädchen in High Heels“ meint, „als unerträglich wahrgenommen“ werde, ist zweifellos eine Übertreibung. In westlichen Kulturkreisen, und nur von diesen ist hier die Rede, dürfte ihr Anblick die meisten wohl irritieren und womöglich etwas unangenehm sein. Mehr aber auch nicht. Ganz davon abgesehen, dass es eine nicht zu vernachlässigende Anzahl Männer gab und gibt, die sich angesichts eines hochhackigen und auffällig geschminkten Mädchens erotisiert fühlen, was keineswegs allen von ihnen unangenehm oder gar unerträglich ist. Ein zwar schon älteres, doch noch immer bekanntes Beispiel eines Herrn mit einem ‚Faible‘ für ausstaffierte kleine Mädchen ist Lewis Carroll, der sie für seine Fotografien gerne in anzüglichen Posen inszenierte. Und dann gibt es da noch all jene Mütter, die ihre drei oder vierjährigen Mädchen ausstaffieren, als stünde ihnen ein Casting für den Catwalk bevor. Auch ihnen ist der Anblick ihrer auf sexuelle Ausstrahlung getrimmten Töchter wohl kaum unerträglich, schicken doch etliche von ihnen ihre zehn-, zwölf-, selbst drei- oder vierjährigen Mädchen tatsächlich auf den Laufsteg, wo sie wiederum von anderen Erwachsenen ganz freiwillig begafft werde, ohne dass ihnen das geringste Anzeichen eines unerträglichen Gefühls anzusehen wäre.

Mag auch die eingangs zitierte Behauptung wenig überzeugen, so ist Dangendorfs Untersuchung der „visuellen Sexualisierung frühadoleszenter Mädchen“ doch zu begrüßen. Denn sie betritt mit ihr wissenschaftlich noch immer wenig erschlossenes Gebiet. Als eine der ersten fragt sie nach der Motivation „junge Mädchen“, „sich derart zu gestalten“. Eine Frage, die sie allerdings verständlicherweise nicht an Drei- oder Vierjährige richtet, sondern an Zehn- bis Dreizehn-Jährige. Diese, so die Autorin, seien „meist schon selbstbestimmte Konsumentinnen und Rezipientinnen“.

Auch wenn das „neuartigen Schönheitshandeln Frühadoleszenter“ bislang kaum erforscht ist, so finden es Feministinnen sicherlich kaum so „bedenklich“, sich damit zu befassen, wie Dangendorf behauptet. Denn für diese, so ihre wenig überzeugende Begründung, „sei die Konzentration auf Themen angebracht, die die Macht von Mädchen ausweite, statt begrenzen.“ Wenn dem so wäre, würden sie sich wohl kaum mit Vergewaltigungen, Zwangsheirat, Prostitution, ‚Ehren‘morden, Genitalverstümmelung oder auch nur ganz allgemein mit individueller und struktureller Frauenfeindlichkeit befassen.

Dangendorf ihrerseits bekennt gleich eingangs, dass sie „einen persönlichen Zugang“ zum Thema hat, das „die Untersuchung von Anfang an geprägt“ hat. Dieser Zugang besteht nun nicht etwa darin, selbst Mutter einer visuell sexualisierten frühadoleszenten Tochter zu sein, sondern viel mehr darin, „einige schwierige Aspekte des Themas Schönheit für junge Mädchen aus eigenem Erleben“ zu kennen.

Nicht nur ihr Zugang zum Thema ist persönlich geprägt, sondern auch der zu ihren 33 „Gesprächspartnerinnen“ einschlägigen Alters, die sie zum „größten Teil über private Kontakte akquiriert“ hat. Trotz dieses eingeschränkten und einschränkenden Auswahlverfahrens, strebt sie eine „Annäherung an den gesellschaftlichen Querschnitt“ der Klientelgruppe an. Dabei sieht sie durchaus, „dass meine Ergebnisse nicht als repräsentativ zu verstehen sind“. Dennoch erhebt sie Anspruch darauf, dass sie zumindest „ein Hinweis darauf sind, dass einige Diskurse über den Umgang mit dem Aussehen Allgemeingültigkeit besitzen.“

Ihre Untersuchung zeitigt eine Reihe nicht ganz erwartbare Ergebnisse. Zunächst einmal ist es doch etwas überraschend, dass sich „der Schönheitsdiskurs der Akteurinnen aus unterschiedlichen Milieus“ als „weitestgehend gleich“ erwies. Auch führten die Interviews die Wissenschaftlerin zu der „Überzeugung, dass gerade Mädchen über den Umgang mit ihrem Äußeren ihre Identitäten, Wünsche und Konflikte darstellen“. Daher erscheint ihr die Annahme, „dass die Heranwachsenden zur Steigerung ihrer sexuellen Anziehungskraft möglichst attraktiv sein wollen“, „eindimensional und nicht ausreichend“. Ebenso wenig folgten sie „einfach nur“ den jeweils angesagten „Trends“. Sich zu sexualisieren, sei mitnichten die Absicht der Mädchen, dies geschehe vielmehr erst durch einen „bestimmten Blick“ auf sie.

Die Mädchen selbst „profitieren“ Dangendorf zufolge „sowohl von den Rückzugsmöglichkeiten der Kindheit als auch von den sozialen Vorteilen guten Aussehens“ und passen sich „durch beide Diskurse“ an ihr „Umfeld“ an. So suchen sie ihre „Erfolgsmöglichkeiten“ in bereits bestehenden Bedeutungen und nicht etwa im Widerstand dagegen. Darum fasst Dangendorf deren Schönheitsdiskurs als „Normalisierung“. Allerdings profitieren die Mädchen Dangendrof zufolge nicht nur von den beiden in einem gewissen Spannungsverhältnis stehenden Diskursen, sondern finden sich zudem in dem „Paradoxon“ wieder, dass sie ihr „Geschlecht repräsentieren, aber doch nicht ‚sein‘ sollen“.

Sprachen die Mädchen in den Interviews über „gutes Aussehens“, dominierten Wendungen wie „‚normal‘, ‚ist halt/eben/wohl so‘, ‚muss so sein‘ und ‚macht man das so‘“. Dangendorf interpretiert dies dahingehend, dass der Umgang der Mädchen mit dem Thema „von Nüchternheit geprägt“ sei. Allerdings könnte man zumindest ebenso gut zu dem Schluss kommen, dass in den Formulierungen die Fremdbestimmtheit des Schönheitshandelns der Mädchen zum Ausdruck kommt. Für diese Interpretation spricht zudem, dass die Mädchen auf Dangendorfs „Fragen zur Bedeutung des Aussehens meist mit großer Sicherheit beantworteten“, wobei ihre Aussagen einen „unbedingten Charakter“ hatten, „der andere Perspektiven ausschloss“.

Wie Dangendorf darlegt, befolgen die Mädchen die „Vorgabe“, gut aussehen zu müssen, um „konkrete Vorteile“ zu erlangen oder wenigstens „nicht negativ aufzufallen“. Somit „ordnen“ sie sich „durch die Gestaltung ihres Äußeren in einer durch die Differenz des guten oder einfach nur normalen Aussehens markierten Hierarchie ein“. „Dominante Bildgeber“ seien neben der Peergroup vor allem „die Medien und die Konsumindustrie“. Dabei glaubten die Mädchen, ihr Schönheitshandeln sei selbstbestimmt.

Die „Überzeugung“ der Mädchen, dass für die Konstruktion von Medienbildern die gleichen Regeln gelten wie für sie selbst, könne sowohl als „Ermächtigung“ wie als „problematischer Vergleich mit Medienpersonen“ gedeutet werden. Jedenfalls mache die „kritische Position“ der Mädchen „gegenüber den Medien ihr großes Wissen und ihre Fähigkeit zur Reflexion deutlich“. Wie dies allerdings zu dem gleichzeitigen Befund der „Distanzlosigkeit der Akteurinnen gegenüber den Medien“ passt, erhellt sich nicht so recht. So könnte man für einen Moment annehmen, Dangendorf erliege selbst den von ihr konstatierten „Strategien“ mit denen die Mädchen, „die freie Entscheidung pro intensiver Schönheitspraxis glaubhaft erscheinen lassen“ wollen. Doch erkennt die Wissenschaftlerin sehr wohl, dass die Befragten vielmehr einer „Disziplinierung durch das Individuum selbst“ folgen, wie sie die Gouvernmentality-Studies theoretisieren. „Anstelle von Eigensinn verdeutlichen“ die Diskurse der Mädchen, „dass sie ihre Schönheitspraktiken als Anpassung an die von ihnen empfundene, soziale Ordnung verstehen“. Mag man zu Beginn ihrer Studie den Eindruck haben, Dangendorf nähere sich dem sexualisierenden Schönheitshandeln frühadoleszenter Mädchen unkritisch bis wohlwollend, so wird dieses Missverständnis damit nachdrücklich korrigiert. Entsprechend eindeutig fällt dann auch das Fazit der Untersuchung aus: „Indem sie der Aufforderung zur Gestaltung ihres Körpers folgen, verkörpern die Mädchen das ideale Subjekt, das sich nach Abwägung sozialer Vor- und Nachteile selbst reguliert.“ Und zwar im wörtlichen Sinne, ließe sich anfügen.

Titelbild

Sarah Dangendorf: Kleine Mädchen und High Heels. Über die visuelle Sexualisierung frühadoleszenter Mädchen.
Transcript Verlag, Bielefeld 2012.
333 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783837621693

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