"Weibliche Autorinnen", "männliche Autoren" und der gender gap

Ein Sammelband bietet feministische Perspektiven auf Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wissenschaftliche Kongresse werden im deutschen Sprachraum sicherlich täglich abgehalten. Nicht wenige von ihnen sind nicht nur interdisziplinär, sondern auch international. So auch ein von der Sektion Feministische Theorie und Geschlechterforschung der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie, des Komitees Geschlechterforschung der Schweizer Gesellschaft für Soziologie und der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie organisierter Kongress zum Thema „Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten“. Die Bezeichnungen der ausrichtenden Organisationen zeigen allerdings schon an, dass sich die Interdisziplinarität auf einen engen Fächerkanon soziologieaffiner Disziplinen beschränkt.

Nun haben nicht weniger als sechs Herausgeberinnen den dazugehörigen Tagungsband vorgestellt. Das aus Birgit Rieglaf, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz und Rosa Reitsamer bestehende Herausgeberinnen-Sextett zeichnet auch für die Einleitung des Bandes verantwortlich, dessen Untertitel Beiträge aus „feministischen Perspektiven“ ankündigt. Die Herausgeberinnen konstatieren, dass die „Grenzziehung bzw. Grenzauflösung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit“ in Zeiten von Facebook und Twitter einmal mehr „die Reichweite der Konzepte und Kategorien auch der Frauen- und Geschlechterforschung herausfordert.“ Dieser Herausforderung stellen sich die 14 AutorInnen des Bandes in elf Beiträgen, die in drei Sektionen gefasst wurden: „Öffentlichkeit und Ungleichheiten. Eine Bestandsaufnahme aus der Perspektive der Gender Studies“, „Doing Gender und (Un)Doing Feminism in ‚neuen‘ Öffentlichkeiten“ und „Öffentliche Diskurse in feministischer Perspektive“.

Brigitte Aulenbacher, Michael Meuser und Mitherausgeberin Rieglaf eröffnen die erste Sektion mit einem eher allgemeinen Blick auf die „Pluralisierung hegemonialer Verhältnisse im Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit“. Enger ist der Fokus des anschließenden Beitrags von Alexandra Weiss, die auf die „Inszenierungen von Frauenmacht und Männerleid“ als „Geschlechterkampf“ fokussiert. Dabei konzentriert sie sich insbesondere auf Östereichische Medien. Zuvor aber macht sie eine themenspezifische Differenz zwischen dem Alpenstaat und seinem nördlichen Nachbarn aus: „Anders als in Deutschland, wo sich einzelne auch prominente Frauen antifeministisch positionieren, sind die Akteure in Österreich in erster Linie Männer“.

Tatsächlich scheint Weiss’ Formulierung zufolge entgegen der intendierten Aussage allerdings gar kein Unterschied zu bestehen. Denn wenn sich in Deutschland einzelne Frauen antifeministisch positionieren, sind die deutschen AkteurInnen ganz offensichtlich ebenso überwiegend männlichen Geschlechts, wie Weiss dies für Österreich konstatiert. Und wenn in Österreich die antifeministischen AkteurInnen vor allem Männer sind, dann gibt es dort eben auch einzelne Antifeministinnen. Vor allem aber erstaunt, dass Weiss, als „exemplarische“ Antifeministin Deutschlands nicht etwa Eva Herman dingfest macht, sondern vielmehr Thea Dorn, der sie nachsagt, dass sie den Feminismus als „Ideologie des Männerhasses“ verleumde. Weiss zögert nicht einmal, die Neofeministin in eine Reihe mit Maskulinisten wie Gerhard Amendt zu stellen. Etwas mehr Differenzierungsvermögen sollte man von WissenschaftlerInnen schon erwarten dürfen. Vermutlich aber mangelt es Weiss ja auch gar nicht an dem Vermögen dazu, sondern ‚nur‘ am entsprechenden Willen. Jedenfalls ist Imke Schmincke weit eher zuzustimmen, wenn sie im gleichen Band erklärt, Dorn berufe sich „positiv auf den Feminismus“ und propagiere ihn in ihrem Buch „die neue F-Klasse“ als „neues Label für erfolgreiche Frauen“. Auch lässt sich Dorn aus sehr viel besseren Gründen neben Silvana Koch-Mehrin stellen als neben den Herrenrechtler Amendt. Dass Schmincke Dorn und Koch-Mehrin allerdings auch noch Mirjam Stöcker mit ihrem Sammelband „Das F-Wort“ sowie Charlotte Roche mit dem Roman-Versuch „Feuchtgebiete“ beigesellt und unter Berufung auf Elisabeth Klaus allen vieren unterschiedslos das Etikett „Konservativer bzw. Elitenfeminismus“ umhängt, relativiert den gegenüber Weiss besseren Eindruck sogleich wieder um einiges. Weit überzeugender als Weiss’ Ausführungen über vermeintliche deutsche Antifeministinnen fallen ihre Darlegungen zu „Frauenmacht und Männerdiskriminierung in den Medien“ Österreichs aus.

Auch in Schminckes in der dritten Sektion angesiedeltem Aufsatz „zur Konstruktion öffentlicher Feminismen in den (traditionellen) Massenmedien“ wechseln sich Licht und Schatten ab. Wenn sie etwa auf den Fernseh-Disput zwischen Esther Vilar und Alice Schwarzer anno 1975 zurückblickt und dabei Vilars Buch „Der dressierte Mann“ zum „Plädoyer für die Männer und ihre Benachteiligung“ erklärt, dann ist das derart selbstwidersprüchlich, dass es kaum ernst gemeint sein kann. Vermutlich aber hat Schmincke ‚nur‘ nachlässig formuliert. Wenig Überzeugungskraft strahlt auch ihre Engführung von Aufnahme in den Mainstream und dem Verlust von kritischem Gehalt aus, wenn sie schreibt: „Ehemals genuin feministische Forderungen nach Ermächtigung und Wahlfreiheit sind in den Mainstream aufgenommen wurden und verlieren ihren kritischen Gehalt.“ Eher ließe sich vielleicht argumentieren, dass in den Mainstream aufgenommene Forderungen ihren subversiven Gehalt verlieren. Aber auch darüber ließe sich streiten. Schmincke findet es hingegen grundsätzlich fraglich, „ob feministische Kritik in massenmedialen Foren überhaupt artikulierbar und wahrnehmbar ist“.

Schminckes besonderes Augenmerk gilt dem „von der Bildzeitung inszenierten angeblichen ‚Sex-Streit‘ zwischen Kristina Schröder und Alice Schwarzer“. „Die dort aufgemachte Verbindung von ‚Sex‘ und Feminismus“ analysiert sie als „Entpolitisierung mittels einer Strategie der Sexualisierung“. Das ist durchaus plausibel. Unerklärlich bliebt allerdings, wie sie angesichts dieses Befundes mit einer Verschwörungstheorie liebäugeln kann, der zufolge „die gesamte Choreographie dieser Debatte“ eine „konzertierte Aktion zwischen den ProtagonistInnen ‚Bild‘-Zeitung, ‚Spiegel’ Schwarzer und Schröder“ sein könnte.

Umso positiver sticht bei alldem ihre Kritik an dem misogynen Unwort „Zickenkrieg“ hervor, das sie als „indirekte Antwort auf (die von der Frauenbewegung propagierte) Frauensolidarität“ versteht, welche die „Kontroversen zwischen Frauen auf Konkurrenz- oder Eifersuchtsprobleme reduziert“. Als ‚Zickenkrieg‘ inszeniert, werden innerfeministische Kontroversen „trivialisiert, „lächerlich gemacht“ und „entpolitisiert“, merkt sie treffend an.

In der zweiten Sektion des Bandes geht Ricarda Drüeke „Öffentlichkeiten im Umbruch“ nach und stellt „theoretische Überlegungen zu Online-Öffentlichkeiten und Geschlechterverhältnissen“ mit dem „Ziel“ an, „die Bedeutung von Teil-, Alternativ- und Gegenöffentlichkeiten hervorzuheben“. Das Internet, meint sie gleich eingangs unter Bezugname auf Wolfgang Schweiger und Miriam Weihermüller recht blauäugig, stelle „die ‚technische Infrastruktur, die soziale Kommunikation jeder Art ermöglicht“. Dabei erlaubt das Internet bekanntlich noch nicht einmal ein Gespräch unter vier Augen.

Ebenfalls in der mittleren Sektion fragt Tanja Carstensen, „wie Geschlecht und Feminismus in Nutzungspraktiken, Identitätskonstruktionen, in den technischen Strukturen und Inhalten im Web 2.0 sowie in der Neustrukturierung von feministischen Öffentlichkeiten im Netz verhandelt werden.“ Carstensen gendert gerne mit dem bekannten und in der deutschsprachigen Queer-Theorie beliebten Unterstrich, dem sogenannten liguistischen gender gap, den sie auch schon mal Anglizismen appliziert. So spricht sie etwa von „User_innen“.

Zudem scheint ihr die geschlechtsspezifische Unterscheidung zwischen Autoren und Autorinnen nicht exakt genug, differenziert sie doch zwischen „weiblichen Autorinnen“ und „männlichen Autoren“. Wo da all die anderen bei den User_innen“ durch den gender gab sichtbar gemachten Geschlechter bleiben, bleibt ebenso offen wie der Gap selbst. Dafür aber gendert sie sogar „Technologien“ als „Teilhaber_innen an politischen Prozessen“.

Carstensens Fazit fällt denkbar hoffnungsfroh aus, wenn sie konstatiert, „subalterne feministische Gegenöffentlichkeiten“ würden „durch die technischen Möglichkeiten des Web 2.0 gestärkt“. Nicht ganz so positiv lautet hingegen das hier zu ziehende Fazit. Formal wirken die meisten Texte des Bandes insbesondere in ihrem nicht selten an wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten erinnernden Aufbau recht bieder. Trotz dieser und mancher anderer Schwäche sind sie jedoch hinsichtlich dieses oder jenes Detail ihres Themas ausgesprochen informativ, was allerdings nicht selten durch nicht nachvollziehbare Behauptungen und Positionen konterkariert wird. Vor allem aber sind sie im Grundsätzlichen oft nur wenig instruktiv.

Titelbild

Hanna Hacker / Heike Kahlert / Birgit Riegraf / Brigitte Liebig / Martina Peitz / Rosa Reitsamer: Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten. feministische Perspektiven.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2013.
228 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783896912367

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