Wagners Welten

Anmerkungen zu drei Neuerscheinungen, die in unterschiedlicher Weise geeignet sind, in Wagners Welten einzuführen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Richard Wagner, so möchte man meinen, ist alles gesagt oder geschrieben. Nun, im Jahr seines 200. Geburtstages ist sie aber wieder spürbar – die allgemeine Umtriebigkeit des Kulturbetriebs, doch noch etwas Neues, zumindest aber etwas Originelles über ihn zu finden und es in Buchform vermarktbar zu machen. Es erscheinen also in diesem Jahr eine Menge Bücher über Richard Wagner, und gelobt seien solche, die unabhängig vom Zwang zu Originellem das Bekannte souverän und verlässlich aufzubereiten wissen und einem heutigen Publikum auf diese Weise einen Zugang zu Wagner und seiner Kunst ermöglichen.

Zumindest originell scheint im ersten Zugriff das Buch des in Dresden geborenen Historikers Johannes Burkhardt. „Der Rhein ist die Elbe“ lautet der irritierende Titel seines Wagner-Buchs. „Richard Wagners wahre Welten“ heißt es im Untertitel. Was in der Sache auch nicht mehr Klarheit bringt, aber das stabreimende Entré erweckt Interesse. Handelt es sich womöglich um ein Buch, das mit Ironie in Wagners Welten eintritt? Denn das, so sei’s geklagt, kommt bei aller Wagnerei seit jeher zu kurz: die ironisch-aufgeklärte Auseinandersetzung mit Wagner. Das wahrhaft Großartige an Wagner zu sehen und dabei gleichzeitig doch nicht in einen allgemeinen Wagnerwahn zu verfallen, fiel vielfach schwer. Immer noch und schon wieder gibt es eine Tendenz, dem Wagnerwerk eine deutschschwere Ernsthaftigkeit – ach, „der Ernst des Künstlers – ein nachdenkliches Kapitel“, seufzte Thomas Mann – anzuhängen, und der war seit jeher das Ironische äußerst suspekt. Zu spüren bekam das der große Ironiker Mann, als er im Wagnerjahr 1933 seinen Vortrag „Leiden und Größe Richard Wagners“ hielt. Statt von Ernst war da von „Vergnüglichkeit“ und „Posse“ die Rede, Jungheld Siegfried wurde mit dem „kleine[n] Pritschenschwinger des Jahrmarkts“, dem Kasperl, verglichen („Ja, er ist Hanswurst, Lichtgott und anarchischer Revolutionär“) und „Wagners Kunst“ gar in die Nähe von „Dilettantismus“ gebracht. Mit ernstdeutscher Empörung reagierten die, die zumeist weder den Vortrag Thomas Manns gehört noch den Beitrag in der Neuen Rundschau gelesen hatten. Mit dem schändlichen „Protest der Richard Wagner Stadt München“ begann das Mann’sche Exil.

Ein seit jeher die Wagner-Begeisterung belastendes Problem war die Vereinnahmung von Person und Werk für die völkisch-nationale, später gar die nationalsozialistische Sache. Wagner sei als Inbegriff des ,Deutschen‘ zu verstehen, sein Werk Ausdruck ,deutscher Kunst‘. Gegen diese „Versimpelung“, die nicht sehen konnte (oder wollte), dass die „Deutschheit“ in Wagners Kunst, wie Thomas Mann schrieb, „von einer Weltgerechtheit, Weltgenießbarkeit [ist], wie sie keiner deutschen Kunst dieses Ranges je mitgegeben wurde“, blieb die ,Vernunft‘ oft auf der Strecke. Umso mehr, da nach Wagners Tod Wahnfried und Bayreuth von der Familie eben gegen diese aufklärende Wagnerrezeption in Stellung gebracht wurde.

Und nun – wir wenden uns wieder Burkhardts Buch zu – inmitten dieser Deutschheit in der Welt auch noch Sachsen? Sachsen als das wahre Nibelungenland? Burkhardt unternimmt die Anstrengung, den Gehalt des Wagner-Werks, insbesondere des Rings aus dessen sächsischen Ursprüngen herzuleiten. Dazu begibt er sich auf die Spuren des sächsischen Wagner und interpretiert frühe Eindrücke des jungen Wagner von Land und Leuten als Vorzeichen, die später zu zentralen Elementen und Motiven im Ring werden. Ein Beispiel: Hörte er den Sound seines Weltanfangs, den Es-Dur-Akkord, bereits während seiner frühen Dresdner Dampferfahrten? Eine „digitale Gelegenheitsmessung“ Burkhardts ergab, dass die Geräusche der alten Schaufelraddampfer, von denen einer bis heute auf der Elbe fährt, sich auf den Ton Es einpendelten. Burkhardts akribische Spurensuche im Sachsenland des frühen Wagners führt zuweilen zu kuriosen Analogien. Der Rhein also, so schreibt Burkhardt, dieser zentrale Ort der Ringtetralogie, „scheint eine reine Kopfgeburt zu sein, gestützt auf die Elberinnerungen und eine ausufernde Phantasie. Fast möchte man ihn da mit Karl May vergleichen“. Was für ein Vergleich: zwei Sachsen, Richard Wagner und Karl May, verbunden durch ihre ausufernde Fantasie. Das verschafft doch Bodenhaftung für den Genius.

Eben um das Geniale in Wagners Werk hervorzuheben, wird gerade in seinem Fall der Versuch, das Werk aus seinem Leben zu erklären, missbilligend betrachtet. „Biographismus“ nennt der Wagnerkenner Dieter Borchmeyer diese Herangehensweise. Sie verstelle letztlich den Blick auf das Werk. Insofern ist Burkhardts Buch in seinem Bemühen, den Ring als Ergebnis der sächsischen Sozialisation Richard Wagners zu erklären, ein mutiges Unterfangen. Und bietet endlich auch eine Erklärung für die ebenso unsägliche wie überinterpretierte Stabreim-Manie des ,Meisters‘? „Vielleicht ist es meine sächsische Aussprache gewesen“, sinniert Wagner in seinem Tagebuch nach einem Treffen mit der preußischen Prinzessin Augusta darüber nach, warum diese ihn so kühl und unverbindlich empfing. Wäre deshalb, meint Burkhardt, nicht doch auch einmal zu fragen, „ob die Hinwendung […] zum Stabreim nicht auch als eine künstlerische Überkompensierung“ eines Sachsen mit auffallend sächsischem Dialekt. Der Stabreim gewissermaßen als Veredelungsversuch der sächsischen Dialektspezialitäten.

Von Alfred Pringsheim, dem Schwiegervater Thomas Manns ist bekannt, dass er ein großer Wagner-Anhänger war. Zum prächtigen Pringsheim-Palais in der Münchner Arcisstraße gehörte ein Musiksalon, ausgestattet mit zwei Flügeln. Und hier gab’s regelmäßig Wagner zu hören. „Wagner auf zwei Klavieren“ notierte am 3. September 1920 zum 70. Geburtstag Pringsheims Thomas Mann im Tagebuch. An einem der Klaviere saß Pringsheim selber, am anderen Instrument, so darf vermutet werden, womöglich einer der prominenten Musiker Münchens, die allesamt regelmäßig im Hause Pringsheim verkehrten – Hofkapellmeister Hermann Levi, Richard Strauss oder Bruno Walter.

„Alfred Pringsheim, der kritische Wagnerianer. Eine Dokumentation“ ist der Band betitelt, den Egon Voss in der von Dirk Heißerer herausgegebenen Thomas-Mann-Schriftenreihe veröffentlicht hat. Der Band versammelt die Wagnerschriften Pringsheims aus den Jahren 1873 bis 1877 sowie aus dem Jahre 1933 einen empörten Brief an Walter Gerlach, dem späteren Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er war einer der Unterzeichner des „Protests der Richard Wagner Stadt München“. Im Kommentar zu diesem Brief zitiert Dirk Heißerer den Tagebuchschreiber Thomas Mann, der zum Engagement seines Schwiegervaters notierte: „Rührende Handlung des alten Mannes aus ehrlicher Erbitterung über soviel Fälschung, Dummheit, Leichtfertigkeit und Niedertracht.“ Zudem liefert der Band ein Wagner-Werkverzeichnis Pringsheims sowie ein Verzeichnis dessen, was aus Pringsheims Musikaliensammlung übriggeblieben ist.

Drei „Essays“ vervollständigen diesen informativen Band. So klärt Dirk Heißerer über die sogenannte „Schoppenhauer-Affaire“ auf, mit der der junge Pringsheim als Wagneranhänger eine gewisse ,Berühmtheit‘ erlangt hatte. Im August 1876, anlässlich der ersten Bayreuther Festspiele (Pringsheim war bereits Wochen vorher zu den Proben nach Bayreuth gereist, wovon das „Tagebuch Bayreuth“ berichtet, das unter den Wagnerschriften abgedruckt ist), kam es in dem damals bei den Bayreuthbesuchern beliebten Wirtshaus „Angermann“ zu einem Streit zwischen Pringsheim und dem Berliner Professor und „Shakespeareforscher“ Friedrich August Leo. Er endete damit, dass Pringsheim dem Berliner einen Bierkrug an den Kopf warf. Die Affaire erregte einiges Aufsehen und gefiel im Übrigen im Hause Wahnfried wenig, wo man um den guten Ruf fürchtete. Obwohl man andererseits sehr wohl um den ,Wert‘ Pringsheims wusste. Bereits 1871 hatte dieser gleich drei „Patronatsscheine zu dreihundert Thalern“ zur Finanzierung des Bayreuther Unternehmens erworben. Wagner selbst und Cosima, so dokumentiert Egon Voss in seinem Essay, hatten durchaus Hoffnung, die wohlhabenden Pringsheims als dringend gesuchte finanzielle Förderer ihres Unternehmens zu gewinnen.

Und am Ende steht da das große Festspiel, Bayreuth: „Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik“. So lautet der Titel des Buchs von Bernd Buchner. In fünf Kapiteln, ergänzt um einen Ausblick „Das Wagnertheater und die Welt“, erzählt er anschaulich und umfassend die Geschichte der einzigartigen Festspiele. Mit den ersten Festspielen 1876 war es dem „Pumpgenie“ Wagner gelungen, seine Idee zu verwirklichen, doch nach dem wirtschaftlichen Desaster sah’s um die Zukunft Bayreuth keineswegs günstig aus. Sechs Jahre brauchte es bis zu den zweiten Festspielen. In der Ära der „schwarzen Witwe“ (1883-1906) nach Wagners Tod, formt Cosima die Festspiele. Bayreuth entwickelt sich zu einem Zentrum völkischen, rassistischen und nationalistischem Denkens. Die „Verehrung für den Meister Richter Wagner ist die Blaupause für das NS-Führerprinzip“, fasst der Autor zusammen. Mit Sohn Siegfried übernimmt nach Cosimas Rücktritt als Festspielleiterin die nächste Generation. „Zwischen Wilhelminismus und Weimar“ (1906 -1924) verfestigt sich die Ideologie des „völkisch orientierten Nationalgedankens“. Und erstmals wird ein innerfamiliärer „Zwist, mit dem die atridisch hasserfüllten […] Kämpfe unter den Wagnererben ihren Anfang nehmen“, sichtbar.

Der verschärft sich insbesondere mit der 1939 aus Hitlerdeutschland ,geflüchteten’ Tochter Friedelind, als Bayreuth zu „Hitlers Hoftheater“ (1924-1945) wird. Siegfried und vor allem Ehefrau Winifred Wagner, die nach Siegfrieds Tod 1930 die Festspiele leitet, liefern Bayreuth den Nationalsozialisten aus. „Hausfreund Hitler“ ist in Wahnfried gern gesehen. Nach 1939 geraten die „Kriegsfestspiele“ nahezu völlig unter die Kontrolle der Nazis. „Damit ist der Tiefpunkt in der Geschichte Bayreuth erreicht.“

Nach 1945 entsteht indes zügig ein „neues Bayreuth mit alten Kameraden“ (1945-1966). Wieland und Wolfgang, die Enkel Wagners, behaupten den Familienzugriff auf das Unternehmen und können erfolgreich alternative Konzepte zum Neuanfang der Festspiele abwehren. „Neubayreuth“ bietet auf der Bühne, insbesondere in Form von Wielands Inszenierungen „künstlerische Avantgarde“, derweil im Hintergrund das Unternehmen Bayreuth sich kongenial als Teil der jungen Bundesrepublik bewährte: Eine „politische Vergangenheitsbewältigung findet zunächst nicht statt“. Nach Wielands Tod 1966 führte Bruder Wolfgang die Festspiele bis ins Jahr 2008.

Titelbild

Egon Voss (Hg.): Alfred Pringsheim, der kritische Wagnerianer. Eine Dokumentation.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2013.
242 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783826051401

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Titelbild

Johannes Burkhardt: Der Rhein ist die Elbe. Richard Wagners wahre Welten.
Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2013.
232 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783898129961

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Bernd Buchner: Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2013.
256 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783534251650

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