Die Frau der Zukunft

Hélène Cixous‘ klassischer Text des Differenzfeminismus „Das Lachen der Medusa“ liegt erstmals in deutscher Übersetzung vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im letzten Kapitel ihres Buches „Gender Trouble“ wendet sich Judith Butler der Sexual- und Körperphilosophie zeitgenössischer französischer DenkerInnen von bekanntermaßen subversivem Potential zu. Während Julia Kristeva und Monique Wittig je ein ganzer Abschnitt gewidmet ist, wird eine dritte herausragende Theoretikerin der écriture féminine nur ganz en passant in einem Satz erwähnt, der sich in dem Abschnitt über „Foucault, Herculine und die Politik der sexuellen Diskontinuität“ versteckt. „Natürlich“ gebe es „auch das Lachen der Medusa“, heißt es dort, „das – nach Hélène Cixous – die friedliche Oberfläche erschüttert und die Dialektik des Selben und des Anderen enthüllt, wie es sich über die Achse der sexuellen Differenz vollzieht“.

Damit bezieht sich die amerikanische Gender-Theoretikerin auf einen kurzen Text von Cixous, der das Lachen der Medusa im Titel trägt. Zumindest im frankophonen und wohl auch im anglophonen Sprachraum ist der 1975 erstmals erschienene Text in feministischen Kreisen breit rezipiert worden. Ihn als einigermaßen hermetisch und kryptisch, jedenfalls aber als äußert interpretationsbedürftig zu bezeichnen, dürfte kaum übertrieben sein. Dass er hierzulande weit weniger Beachtung fand als in seinem Ursprungsland, dürfte jedoch nicht nur daran liegen, sondern zumindest ebenso sehr dem misslichen Umstand anzulasten sein, dass bislang noch keine Übersetzung ins Deutsche vorlag. Das ist nun anders.

Nachdem erst vor wenigen Jahren mit „Jemand hat Ingeborg Bachmann getötet“ ein anderer, nicht ganz so prominenter Text von Cixous ins Deutsche übertragen wurde, liegt nun auch ihr wohl noch um einiges wichtigeres Essay „Das Lachen der Medusa“ in deutscher Sprache vor, übersetzt von Claudia Simma.

Esther Hutfless, Gertrude Postl und Elisabeth Schäfer haben ihn gemeinsam mit einer Reihe „aktueller Beiträge“ in Form eines Sammelbandes publiziert, wobei letztere Cixous’ Text „aus der Perspektive dekonstruktiven Denkens und Schreibens, der feministischen Philosophie, der strukturalen Psychoanalyse, der Literaturwissenschaft, des performativen Schreibens, der écriture feminine und der Philosophie des Lachens neu verorten“ und nicht selten darlegen, dass er durchaus noch so aktuell wie am ersten Tag sei. Auch die Herausgeberinnen betonen, dass er „bis heute nichts an Brisanz und Schlagkraft verloren“ habe. Ihnen scheint die gegenwärtige feministische Debatte offenbar sogar ganz im Gegenteil hinter ihn zurück zufallen, fordern sie doch, den „erweiterten Begriff des Politischen“ von Cixous „neu zu beleben“.

Neben den Herausgeberinnen ist auch die Übersetzerin mit einem eigenen Beitrag vertreten. Genauer gesagt, sind es sogar zwei. Der erste bietet erhellende „Anmerkungen zu ihrer Übersetzung“ von Cixous’ Text, im zweiten räsoniert sie über „Medusas diebische Vergnügen“. Elisa Marder denkt hingegen über „Die Kraft der Liebe“ nach und Silvia Stoller fragt nach der „Bedeutung des Lachens bei Hélène Cixous“. Beschlossen wird der Band durch ein Gespräch, das Elisabeth Schäfer mit der prominenten französischen Feministin führte.

Eröffnet wird das Buch hingegen nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, mit dem Primärtext. Ihm ist vielmehr Gertrud Postls „Versuch einer historischen Kontextualisierung von Hélène Cixous’ Medusa-Text“ vorangestellt, was sich als durchaus sinnvoll erweist, erleichtert der Beitrag die Lektüre und das Verständnis von Cixous’ opakem Essay über das „Lachen der Medusa“ doch um einiges, der, wie Postl versichert, unzweifelhaft zu den „wichtigsten und einflussreichsten Texte in der Geschichte der feministischen Theorie“ zu rechnen sei.

Dass Postl Cixous’ Differenzfeminismus aber einem Gleichheitsfeminismus kontrastiert, dessen „Ansprüche“ – so ihre Darstellung – „darauf zielen, Frauen in das bereits bestehende System einzubinden“, wird den VerfechterInnen des Letzteren nicht eben gerecht.

Mehr Gerechtigkeit lässt Postl Cixous’ Text widerfahren. Noch immer aktuell sei er aufgrund „der Vielschichtigkeit der miteinander verwobenen Ebenen – feministisches Pamphlet, Metaphysikkritik, eine neue Art des Philosophierens, ein Ausloten der sogenannten weiblichen Erfahrung, Poesie, politische Utopie“. So spiegele sich in dem „radikalen Entwurf der Frau der Zukunft“ nicht zuletzt die zur Zeit seiner Niederschrift virulente „Stimmung eines Aufbruchs, eines Wagnisses, einer subversiven Überschreitung“ wider, vor deren Hintergrund Cixous einen „utopisch konzipierten Neubeginn“ wage. Eben darum lasse sich durch die Lektüre „etwas von der Energie, dem Drive, der Ironie, der Frechheit und Experimentierfreudigkeit der 70er Jahre auftanken“.

Wie Postl zu Recht betont, sind Cixous zufolge „weder das Konzept des Weiblichen noch jenes der écriture féminine in einem biologischen Sinn zu verstehen, sondern immer schon vermittelt durch die Sprache, durch das Schreiben zu denken“. Allerdings, das muss man auch sagen, bieten sich nicht wenige der Formulierungen von Cixous für derartige Missverständnisse geradezu an. „Es ist unerlässlich, daß die Frau die Frau schreibt. Und der Mann den Mann“, ist eine von ihnen. Andere Passagen erhellen jedoch, dass es sich bei durch derlei nahegelegte biologistische Interpretationen nur um Missverständnisse handeln kann. So erklärt Cixous nicht nur deutlich, dass das „Einander-Gegenüberstellen der Geschlechter“ nichts weiter als „eine historisch-kulturell bedingte Schranke“ sei und im Übrigen „immer dem Mann zum Vorteil gereicht“. Dass es „keine verallgemeinerbare Frau gibt, keine Frau die ein repräsentativer Typus wäre“, ist zwar heute eine Platitude, war damals aber eine These, die wohl kaum weniger provokant klang, als diejenigen Butlers anderthalb Jahrzehnte später. Und aus der Feder einer Differenztheoretikerin mag sich das noch immer für viele überraschend lesen.

Doch selbst, wenn Cixous Text heute in jeder Hinsicht überholt wäre – was er keineswegs ist! –, wäre es ein Verdienst, diesen Klassiker des französischen Feminismus endlich in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht zu haben.

Titelbild

Elisabeth Schäfer / Esther Hutfless / Gertrude Postl (Hg.): Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa. Zusammen mit aktuellen Beiträgen.
Übersetzt aus dem Französischen von Claudia Simma.
Passagen Verlag, Wien 2013.
200 Seiten, 23,60 EUR.
ISBN-13: 9783709200490

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