Grell, einsam und abgedreht

Camille de Peretti mag „schöne Lügen“ und erzählt deshalb den „Zauber der Casati“

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn unermesslicher Reichtum die Suche nach dem Sinn des Lebens verstellt, bleibt für eine begabte Gräfin die Selbstinszenierung und die Freude an deren Wirkung. Dieses Spiel trieb Luisa Casati (1881 – 1957) exzessiv und brachte es damit zur meistgemalten Frau Italiens. Zerstreuung und provokante Auftritte – ein rauschhaftes Leben, dessen vielschichtige Facetten sich nicht restlos ermitteln und erhärten lassen, wie Camille de Peretti feststellte. So wagte sie keine Biografie, sondern schrieb den Roman „Der Zauber der Casati“ über diese Kunst-Mäzenin, die sich nie für Politik und Zeitgeschehen interessierte und im Alter verarmt starb.

Von der Autorin Camille de Peretti, 1980 in Paris geboren, wird berichtet, sie führe ein temporeiches Leben auf unterschiedlichen Bühnen – von der Philososphie über die Theater- und sogar Finanzwelt bis hin zur Kochshow im japanischen Fernsehen. So passt es ganz gut, dass sie sich der furchtlosen Marchesa annimmt. Sie hat sie als einsame Frau identifiziert, der Effekte über alles gingen, um damit die innere Leere zu kompensieren. Nah an den Fakten will sie bleiben, thematisiert ihre Recherchen genauso wie ihre Lust, in Luisas Haut zu schlüpfen und ein wenig über Nichtrecherchierbares zu fabulieren.

Insofern ist sie sicherlich mit ihrer Ich-Erzählerin identisch, die uns Luisas Hunger nach Aufmerksamkeit vor Augen führt. Die Ich-Erzählerin setzt sich in Kontrast zu der schillernden Hauptperson des Romans. Eingangs zieht sie durchaus Neugier auf sich und ihre Träume, doch irgendwann verliert sich die Spur dieser banalen Existenz. Einerseits ist das schade, weil es ganz witzig hätte werden können mit den beiden unterschiedlichen Charakteren, hätte sie Peretti durchgehend gegeneinander gestellt oder sogar gelegentlich ein virituoses „Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel“ veranstaltet. So schimmert das Gefühl auf, eben doch eine Pseudo-Biografie vorgesetzt zu bekommen. Diese ist wiederum so gehaltvoll, dass die Geschichte der Ich-Erzählerin, die auch „groß rauskommen will“, eigentlich entbehrlich ist.

Die naheliegende Gefahr, dass die Zweigleisigkeit – banal versus mondän – zu sehr verwirrt, in Kitsch abgeleitet oder ins Unglaubwürdige kippt, könnte Peretti veranlasst haben, uns letztlich die volle Konzentration auf die extravagante Künstler-Muse Luisa Casati zu gönnen. „Ich habe schöne Lügen immer gemocht, im Leben wie in der Literatur“, bekennt sie und lockt mit charmanter Leichtigkeit in der Sprache zu immer neuen Superlativen des Casati-Eindrucksmanagements, gegen die sich die Eskapaden heutiger Partylöwinnen, Glittergirls und Jetset-Diven recht blass ausnehmen. Damals rief ein Hut aus ausgestopften Schlangen oder Stadtspaziergänge mit zahmen Geparden keine Tierschützer auf den Plan – ganz zu schweigen von den anderen Tieren, die das Heroische der Lebedame unterstreichen durften.

Die Unerschrockenheit, mit der Luisa Casati ihren Reichtum verprasst, ihr Liebesleben gestaltet und Tabus bricht, liest sich wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Dass sie mit ihren Kostümierungen und ihrem Lebenswandel Trends setzte, beeindruckt um so mehr, als sie dies gar nicht vorhatte, sondern lediglich vernarrt war in ihr Spiel. Für sie war das Spiel ernst und der Ernst das Spiel. Die Autorin schildert es als etwas Niedagewesenes und Nichtkopierbares, an dem sich etliche Geister schieden.

In vielen Quellen wird Luisa Casati als bizarre Kunstfigur apostrophiert. Peretti weitet den Blick darüber hinaus, entlarvt Trügerisches, führt immer wieder zum Menschlichen zurück. Entfernt erinnert es an die Regenbogenpresse, wo man verführt wird, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, die man eigentlich gar nicht aufsuchen wollte. Diese Kunst des vergnüglichen Verführens hinter die Kulissen stellte Camille de Peretti zuletzt in ihrem Roman „Wir werden zusammen alt“ unter Beweis. Da ging es nicht um Exaltiertes, sondern um einen Tag in einer Seniorenresidenz, quasi um Schicksale in jedermanns Nachbarschaft. „Der Zauber der Casati“ bleibt ein wenig hinter diesem gut ausbalancierten Werk zurück.

Titelbild

Camille de Peretti: Der Zauber der Casati. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013.
250 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498053123

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