Das Verhältnis von Kriegsdiskurs und Romantik

Martina Lüke schreibt über Kriegsdarstellungen in Texten der Romantik

Von Thomas BoykenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Boyken

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oft wird vergessen, in welchen unsicheren und kriegerischen Zeiten Schriftsteller gewirkt haben. Dies gilt umso mehr, wenn die Kunstwerke nicht explizit Kriegsgeschehen verhandeln. Dass zeitgenössisches Kriegsgeschehen sehr wohl zum Thema der Kunst werden kann, zeigt sich beispielsweise an dem Gemälde über die französische Belagerung der Stadt Mainz (1793), das derzeit in der Goethe-Ausstellung „Lebensfluten – Tatensturm“ im Goethe-Nationalmuseum zu sehen ist. Bei der Rückeroberung der Stadt war nicht nur der damals 13-jährige und spätere preußische General Carl von Clausewitz, sondern bekanntlich auch Johann Wolfgang von Goethe als Begleiter des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach anwesend. Goethe hat das Kriegsgeschehen schließlich in Tagebuchform fiktionalisiert.

Mit Blick auf dieses Beispiel lässt sich also durchaus fragen: Welchen Einfluss hat eigentlich die konkrete Kriegssituation auf literarische Texte? Dieser und weiteren Fragen widmet sich die Dissertation von Martina Lüke, die an der University of Connecticut entstanden ist. Sie konzentriert sich hierbei auf den Komplex „Krieg und Romantik“, wie es im Untertitel ihrer Studie heißt. Die leitende These ist, dass der Kriegsdiskurs um 1800 (maßgeblich geprägt von führenden preußischen Militärs wie von Scharnhorst, von Gneisenau oder von Clausewitz) und die Texte der Romantiker sich gegenseitig beeinflusst haben.

Lüke verfolgt einen chronologischen Ansatz. Zunächst wird den Verbindungen von Krieg und Literatur bei Novalis (Kapitel II) nachgespürt, um dann über Heinrich von Kleist (Kapitel III), Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner und Max von Schenkendorf (Kapitel IV) zu Joseph von Eichendorff (Kapitel V) zu gelangen. In den einzelnen Kapiteln weitet die Verfasserin dann ihren Untersuchungszeitraum aus, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit der Napoleonischen Kriege und der Befreiungskriege liegt.

Im Aufbau der einzelnen Kapitel verfolgt Lüke ein wiederkehrendes Muster: Bevor auf die einzelnen Textanalysen eingegangen wird, werden die „kriegerischen Auseinandersetzungen und militärischen Einflüsse in der Biographie“ des jeweiligen Schriftstellers herausgearbeitet. Ein wesentlicher Verdienst dieser Arbeit liegt dann auch darin, die konkreten persönlichen Verbindungslinien nicht nur Kleists, sondern auch der anderen Schriftsteller zu einflussreichen Personen des Militärs herauszustellen. Gleichwohl wirken diese biografischen Bezüge oft bemüht, wenn Lüke beispielsweise dreimal wiederholt (gewiss in Variation), dass „Novalis durch den Familien- und Freundeskreis ein grundsätzliches Interesse an militärischen Begebenheiten“ gehabt habe. Hieran schließen jedoch grundsätzlichere Fragen an: Da Lüke ihre Text- und Schriftstellerauswahl nicht diskutiert, bleiben die Kriterien, die sie für die Auswahl heranzieht, unklar. Warum wird Novalis der Vorzug gegenüber Wilhelm Heinrich Wackenroder gegeben, warum rückt Eichendorff und nicht E. T. A. Hoffmann oder Ludwig Tieck in den Blick? Warum finden sich keine Schriftstellerinnen? Es ist anzunehmen, dass die biografische Verbindung zu Militärpersonen ein (indirektes) Auswahlkriterium war. Wenn das grundsätzliche Ziel der Studie nun die Herausarbeitung „repräsentativer Vorstellungen und Verarbeitungen des Krieges in Werken der deutschen Romantik“ ist, dann ist es durchaus fraglich, ob die Auswahl hier allgemein repräsentativ oder doch nur aussagekräftig für eine bestimmte Gruppe romantischer Schriftsteller ist.

Methodisch bedient sich die Studie der Ansätze und Konzepte des New Historicism, wobei die Verfasserin sich an Stephen Greenblatts Vorstellung eines flexiblen Rahmens orientiert, der weniger eine geschlossene Theorie als vielmehr ein „Konglomerat von Fragen und Hypothesen“ darstelle. Was laut Lüke ein Vorteil dieser Methodik ist, nämlich ihre grundsätzliche Offenheit, könnte jedoch auch nachteilig sein.

Und tatsächlich ist Lüke in der Ausführung ihres Erkenntnisinteresses recht vage. Folgende Leitfragen führt Lüke als erkenntnisleitend an: „Wie wird Krieg von Schriftstellern und militärisch-politischen Führern zur Zeit der Romantik erfahren und gedeutet, soweit das ihren fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten zu entnehmen ist? Welche Ästhetisierungen und Repräsentationen des Krieges finden sich in ihren Werken? Welche Konstruktionen und Projektionen von Krieg und Militär werden in zeitgenössischen literarischen Werken vermittelt? Welchen Einfluss auf die Repräsentationen des Krieges haben hierbei die persönlichen Erfahrungen der Dichter und der Personen ihres persönlichen Umfeldes? Welche Korrespondenzen lassen zwischen Persönlichkeiten in Staat und Militär und Schriftstellern der Romantik nachweisen? Welchen Einfluss versuchen die Verfasser ihrerseits durch ihre Texte zu nehmen? Werden Mentalitäten erneuert und transformiert? Welche Veränderungen und Entwicklungen lassen sich in den Werken einzelner Romantiker und über die Zeitspanne von 1789, den frühen Werken Novalis’, bis 1818, den Veröffentlichungen von späten Befreiungskriegsgedichten Ernst Moritz Arndts, aufzeigen?“

Lüke wirft hier grundsätzlich wichtige und spannende Fragen auf, die sie für das jeweilige Analysekapitel auch teilweise differenziert. Allerdings wirkt diese Zusammenstellung doch recht unsystematisch. Bauen die einzelnen Fragen aufeinander auf oder handelt es sich hier um eine Art ‚brainstorming‘? In welchem Verhältnis steht die Frage nach den Repräsentationen des Krieges im literarischen Werk eines Dichters zu seinen persönlichen Erfahrungen in kriegerischen Handlungen? Wenn die Verfasserin ferner nach den „Veränderungen und Entwicklungen“ bei der Darstellung des Kriegs in den Werken der einzelnen Schriftsteller fragt und dabei eine Entwicklung unterstellt, dann hätten einerseits die Gelingensbedingungen eines solchen Vergleichs, andererseits das daraus resultierende konkrete Erkenntnisinteresse differenzierter erörtert werden müssen.

Jenseits dieser grundsätzlichen Unschärfe im Ansatz der Dissertation macht Lüke in den einzelnen Analysekapiteln gute Beobachtungen. Insbesondere die profunde Kenntnis der Militärhistorie ist beeindruckend, was sich auch im Register zeigt. Lüke erläutert und kontextualisiert jede Schlacht und jedes noch so kleine Gefecht. Dies führt dann zu einem informativen, aber eben auch umfangreichen Fußnotenapparat. Eine kritische Revision hätte hier wohl gut getan.

Freilich sind die verschiedenen Texte, die Lüke hinsichtlich der Kriegsdarstellungen untersucht, unterschiedlich ergiebig. So überzeugen zwar ihre Ausführungen zu Kleists „Hermannsschlacht“ oder den Propaganda-Gedichten Arndts, Körners oder Schenkendorfs, doch lässt sich beispielsweise Eichendorffs „In der Nacht“ nur mit sehr viel Argumentationsaufwand als Gedicht „kriegerischen Inhalts“ bezeichnen. Dass Eichendorff zwischen 1813 und 1816 selbst als Soldat aktiv an den Befreiungskriegen teilgenommen hat, bedeutet ja nicht, dass jedes Gedicht, das in dieser Zeit entstanden ist, auf diese biografische Situation rekurriert.

Die umfangreichen Analysekapitel münden in ein Fazit, in dem Lüke insgesamt vier Aspekte des Umgangs mit dem Motiv Krieg in den romantischen Texten herausstellt: (1) Krieg ist ein ambivalentes Motiv. Es fungiert sowohl als verbindendes als auch als trennendes Element. Gleichzeitig dienen Kriegsdarstellungen in den frühen romantischen Schriften auch als „schöpferischer Schnittpunkt im scheinbaren Gegensatz von Vergangenheit und Zukunft, Vernichtung und Kreation“. Dies stellt Lüke insbesondere für Novalis und Kleist heraus. (2) Im Rahmen des romantischen Mittelalterbildes werden kriegerische Auseinandersetzungen ästhetisiert und fungieren als Vergleichsfolie zu zeitgenössischen Kriegen (Napoleonische Kriege und Befreiungskriege). (3) Die Kriegsdarstellungen besitzen eine Funktion innerhalb des triadischen Geschichtsmodells, da sie auf eine Friedensutopie verweisen. Die Kriegsdarstellungen transportieren laut Lüke immer auch „Friedens- und Befreiungshoffnungen“, wobei hier – dies zeigt Lüke plausibel an Kleists „Hermannsschlacht“ und an „Prinz Friedrich von Homburg“ – auch zeitgenössische Militärdiskurse in den literarischen Texten verhandelt werden. (4) Im Ausgang der Romantik verzeichnet Lüke dann verhältnismäßig weniger Werke, die sich mit Kriegsdarstellungen befassen. Gerade in den Werken Eichendorffs wird vielmehr der destruktive Charakter des Krieges pointiert, was Lüke auf die politischen Entwicklungen nach den Befreiungskriegen zurückführt.

Überzeugend ist Lükes Verständnis des Verhältnisses von außerliterarischer Wirklichkeit (Kriegsdiskurse um 1800) und literarischen Texten. Literatur und Dichtung werden hier nicht als Speicher zeitgenössischer Kriegsdiskurse verstanden. Literarische Texte seien vielmehr „aktiv wirkender Teil im politisch-militärischen Diskurs der Zeit“ und können folglich auch die zeitgenössischen Militärdiskurse beeinflussen. Die vielfach von Lüke argumentativ hervorgehobene diskursive Verbindung von fiktionalen Texten mit nicht-fiktionalen (militärischen) Texten bleibt aber insgesamt unbestimmt. Wie wirken die literarischen Texte auf den zeitgenössischen Militär- und Kriegsdiskurs? Inwiefern ist dies eine Besonderheit romantischer Schriftsteller? Auch Jakob Michael Reinhold Lenz thematisiert in seinem Drama „Die Soldaten“ Probleme, die genuin dem zeitgenössischen Militärdiskurs zugehörig sind. Und auch Ernst Jünger vertritt in „In Stahlgewittern“ ein Kriegs- und Soldatenkonzept, das sich in vielen Aspekten mit dem hier erörterten Verhältnis von Krieg und Literatur zu decken scheint.

Neben diesen inhaltlichen Fragen sind einige formale Aspekte zu kritisieren: Einerseits neigt die Verfasserin zu einem verkomplizierenden Duktus. Das Stilmittel der Relativierung wird von Lüke dabei extensiv genutzt. So resümiert Lüke mit Blick auf eine Forderung des Generals Neidhardt von Gneisenau, dass die Diplomaten nicht den Erfolg des Militärs verspielen sollten: „Nach der in dieser Arbeit geschilderten ‚Einheit‘ von Militär und (diplomatischer) Literatur, dem ‚Schwert‘ und der ‚Feder‘, während eines Krieges im Sinne der in dieser Arbeit beschriebenen romantisierten Totalität eines Krieges, gilt es nun, nach eben diesem Krieg, durch das Wort, wenn auch nicht der Dichter, sondern der Diplomaten, den errungenen Frieden beziehungsweise die Herrschaft zu sichern.“ Der Sachverhalt könnte sicherlich verständlicher und pointierter dargestellt werden. Andererseits wird der Lesefluss durch orthografische und editorische Nachlässigkeiten gestört.

Es ist frappierend, wie sich die Kriegsvorstellungen und -darstellungen von Kleist, Arndt, Körner oder Schenkendorf mit den zeitgenössischen Kriegskonzepten von Gneisenaus oder Scharnhorsts decken. Ob dies, wie Lüke suggeriert, genuin an romantischer Poetologie liegt, müsste sicherlich eingehender geprüft werden: zum einen, weil Lükes Auswahl Schriftsteller zusammenbringt, die aus einer Offiziersfamilie stammen oder sich selbst aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt haben; zum anderen, weil die Ergebnisse dann doch recht allgemein wirken und auch für andere Zeiten zu gelten scheinen.

Titelbild

Martina Lüke: Worte wie Waffen: Krieg und Romantik. Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs.
Herausgegeben von Thomas F. Schneider.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013.
371 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783847100713

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