Tödliche Kissenschlacht

Hans-Ludwig Kröber erzählt die Geschichten echter Morde

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Differenz zwischen Krimis und echten Kriminalgeschichten besteht nicht zuletzt in der Fallhöhe, die bei Krimis deutlich größer ist. Der Mörder in Krimis ist ein von irrsinnigen Motivationen getriebener, ein oft höchst intelligenter Mensch (meist Mann), der mit den Ermittlern ein leidenschaftliches Spiel um den Vorrang im Kriminalleben spielt. Der Mörder in der Wirklichkeit hingegen ist zumeist ein Gelegenheitstäter, weniger dämonisch als vom Augenblick bestimmt, der ihn eine Grenzlinie übertreten lässt.

Das macht echte Taten oft so uninteressant und unbedeutend im Vergleich zu dem, was im fiktionalen Genre zu haben ist. Zugleich aber sind solche Geschichten ein aufschlusserregende Korrektiv zu jener Sicht auf die Wirklichkeit, die im Krimi gepflegt wird.

Die Welt mag ein chaotischer, unübersichtlicher Ort sein, voller Gewalt, Missgunst und Ungerechtigkeit, aber sie ist zutiefst human geprägt. Es sind keine Triebkräfte, keine transzendentalen Mächte am Werk, es ist nicht das Böse, sondern einfach nur Menschen, die gewalttätig sind oder eben nicht.

Die Trennung zwischen richtigem und falschem Handeln, gutem oder bösem, möglichen oder kriminalisierten ist oft nicht sehr scharf. Der Mann, der seine Ehefrau ermordet, ist fürsorglich und in der Lage, von sich abzusehen. Dass er auf eine Frau trifft, die ein völlig anderes Lebenskonzept hat, das sie mit diesem Mann nicht verwirklichen kann, ist Pech für beide Seiten. Kein Pech, das aus dem Nichts käme, denn es gibt gute Gründe, warum die Frau an diesen Mann gerät und bei ihm hängen bleibt. Das Dilemma, das daraus entsteht, führt schließlich zur Eskalation, ja, eigentlich nur zu einer Kissenschlacht, an deren Ende sie tot ist. Opfer, Täter? Eigentlich eine klare Sache, aber zugleich ist es nur ein kleiner Schritt, der keinem der beiden etwas von dem unfertigen und menschlichen nimmt, das sie – jeden für sich – auszeichnet.

Dann der Mann, der bei Übertritt in die Bundesrepublik zwei Grenzbeamte erschießt – ein Schuldiger? Bedenkt man, woher er kommt und unter welchen Bedingungen er lebt und reisen muss, ist die Eskalation, der psychotische Schub nicht einmal unwahrscheinlich. Aus einem Land kommend, in dem es so etwas wie eine sichere Zivilgesellschaft mit ausreichender Versorgung nicht gibt, reist er über 4.000 Kilometer – und auf seine Tat zu, die er weder vorhersehen kann, noch plant, noch verhindern kann.

Oder jener Fritz vom Stuttgarter Platz, der eine hinreichend kriminelle Karriere hat, aber eben nebenbei, im Abstand von fast 20 Jahren zwei Kinder ermordet, – ohne zu wissen, warum. Unvorhersehbare aggressive Schübe? Das sagt sich so leicht, allerdings betten sie sich in die jeweiligen Geschichten logisch ein.

Bemerkenswert an Kröbers Geschichten ist, dass er Geschichten erzählt, und in ihnen auch von psychischen Zuständen und Motivationen, aber eben nicht psychologisiert. Er skizziert Geschichten aus den Materialien, die ihm die Täter liefern, die ihren eigenen Zusammenhang und damit ihre eigene Logik entwickeln. Hier gibt es keine einfachen Lösungen, keine Zuweisung von Schuld an Triebtäter oder Umwelt. Die Sache ist komplizierter und zugleich viel einfacher. Jeder ist seinen Bedingungen ausgeliefert, unter denen er lebt, und jeder entscheidet sich zu dem, was aus ihm wird. Und ob diese Entscheidungen richtig oder falsch sind, fatal oder zivil, das entscheidet sich eben erst ganz zum Schluss. Selbstverständlich sind die Täter aus dem Milieu vorbelastet, und es wundert niemanden, wenn ein Schläger auch zuschlägt. Aber zugleich müsste es wundern, dass das nicht viel häufiger passiert.

In der Zivilgesellschaft ist, wenn man einem alten Diktum Norbert Elias’ folgen mag, die Kontrolle über die Beziehungen zu den anderen, mithin die Kontrolle über die Aggressionen den Einzelnen überlassen. Selbstkontrolle – eines der Hauptthemen der Hoflehren wie der bürgerlichen Benimmbücher – ist das wichtigste Regularium in der Zivilgesellschaft. Eine solche Konstruktion ist fragil (aber flexibel und leistungsfähig). Das Ganze ist ein gewagtes Unternehmen – und zugleich ein höchst erfolgreiches, denn im Unterschied zu den Gesellschaftsbildern der Kriminalromane sinkt die Kriminalitätsrate in Deutschland kontinuierlich.

Unter dieser Vorgabe werden die Geschichten, die Kröber erzählt, zu Exempeln darüber, dass auch misslingen kann, was meist gelingt: Nicht immer halten Menschen vor der Linie inne, die sie nicht überschreiten dürfen, um nicht zu Mördern zu werden. Aber eben doch meistens. Ein höchst bemerkenswertes und lehrreiches Buch also.

Titelbild

Hans-Ludwig Kröber: Mord. Geschichten aus der Wirklichkeit.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.
224 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783498035631

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