Purer Quatsch – schiere Freude

Eckhard Henscheid beschäftigt sich mit der Oper an sich und Richard Wagner im besonderen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wagner mag er weniger“, schrieb einmal eine Zeitung über Eckhard Henscheid, und seitdem wird es weiterkolportiert. Und das hört sich schon sehr abfällig an. Stimmt aber nicht, nicht ganz jedenfalls. Zwar sind ihm Mozart und Verdi lieber, dennoch kann er auch Wagner etwas abgewinnen, zum Beispiel dass auch er einen Sinn für Humor hat. Und das gefällt dem Autor und Ex-Redakteur des Satire-Magazins „Titanic“ natürlich schon.

Diesen Humor entdeckt er natürlich nicht in Wagners Schrift über das „Judentum in der Musik“, dieser antisemitischen Hetzschrift, die Wagner wahrscheinlich am ehesten, so Henscheid, aus Konkurrenzneid gegen die erfolgreicheren Kollegen wie Giacomo Meyerbeer geschrieben hat. Immerhin schrieb er in der „Kulturgeschichte der Missverständnisse“ (1997): „Man denke auch an die C-Dur-Banalitäten des ‚Rheingold‘-Finales; man denke an die nachtschwarz aus den Weltraumschlünden hervorbrummenden dissonantischen und übermäßig akkordischen Hagen-Musiken der ‚Götterdämmerung‘; man bedenke auch und vor allem die ungescheute Krach- und Infantilkomik am Schluß des 1. ‚Siegfried‘-Aufzugs! Purer Quatsch – schiere Freude an ihm.“

Jetzt hat er wieder ein ganzes Buch über Wagner geschrieben, immerhin ist Wagner-Jahr, da kann man ja auch daran verdienen: „Götter, Menschen und sieben Tiere“, ein „Gestaltenreigen“, in dem er von den drei Rheintöchtern über Alberich, Wotan und Fricka bis Gunther, Hagen, Gutrune und Waltraute alle Figuren aus dem „Ring des Nibelungen“ vorstellt. Inklusive eben der Tiere: dem Waldvogel, dem Bär, den zwei Raben…

Es ist eine sehr unterhaltsame Zusammenstellung geworden, mit vielen Details, die von Henscheids tiefgehender Kenntnis von Wagners Musik, seiner Philosophie, seiner Mythologie und Dichtkunst, seinem Leben und seinen Fehlern künden, zum Beispiel dass Wagner durchaus gewusst habe, dass auch eine Feuerwehr wichtig ist, weswegen er einen Männerchor zum Lob der „deutschen Feuerwehr“ komponierte – dies am Schluss von Henscheids Ausführungen zu Loge, dieses „eine seltsamliche, eine singuläre Existenz“. Mit gründlichen Interpretationen, die all diese Ansätze immer wieder zusammenführen, die auch die Schwächen des Meisters nicht außen vor lassen und ab und zu auch Ausflüge in Interpretationen machen, die Henscheid unsinnig findet. Das alles macht diesen „Gestaltenreigen“ zu einem humorvollen und kenntnisreichen, wenn auch mit manchen stilistischen Manierismen versehenen Kompendium.

Henscheids „Opernführer“ mit dem unsinnigen Titel „Verdi ist der Mozart Wagners“ ist dagegen längst ein Klassiker unter den Musikbüchern. Dabei ist er überhaupt kein Führer, sondern eine etwas willkürlich und auch disparate Zusammenstellung von Aufsätzen, Essays und Feuilletons zur Musik. Das beginnt mit einem kurzen Stück über das Vorkommen von Flandern in der Oper, von dem man gar nicht weiß, was es eigentlich soll, auch nicht, wieso er Beethoven zu einem Holländer erklärt. Dass Flandern in Opern selten vorkommt, hat auch keinen Erkenntniswert. Schöner sind dagegen schon die „Definitionen“, was Oper sei, da kommen einige schöne Aphorismen vor, die allerdings manchmal auch verraten, woher Henscheid sie entlehnt hat: „Oper ist die Utopie vom nicht entfremdeten Leben im entfremdeten.“ Oder: „Oper ist das Richtige im falschen Leben.“ Anderes ist reiner Quatsch: „Oper ist postmoderne Prämoderne.“ Und warum er ständig einen „Neger“ hineinbringt, wird nur verständlich, wenn man Henscheids Privatobsessionen kennt, auf die er auch dann anspielen muss, wenn sie niemand versteht.

Verstehen kann man auch nicht die ständige Bildungshuberei, die er begeht. So wenn er unbedingt Franz Kafka in seinem ansonsten interessanten Essay über Don Ottavio bringen muss, indem er sagt, dass dieser die Rache an Don Giovanni zersingen will: „Verschleppen (wie bei Kafka der Prozess verschleppt wird) – und endlich zersingen.“ Der Hinweis auf Kafka führt, wieder einmal, nirgendwohin. Oder die Erwähnung von Marcuse in dem etwas albern geratenen Essay über „Das ,Ohimè, oder Ahimè‘“, der sich weigere, „mit anständigen Mitteln zu sagen, wann und wo es weh tut“. Auch da weiß man nicht, warum er überhaupt erwähnt wird. Außer, um zu zeigen, wieviel Henscheid weiß.

Außerdem stört der große Aufwand an stilistischen Mitteln gewaltig, an mäandernden Sätzen, an hieingewürfelten und meist völlig überflüssigen Adjektiven, ein pures Satzgeklingel, das Henscheid betreibt: „Und doch schlagen wir uns immer wieder die Nächte um die Ohren, beim 531. Abhören des ,Don Giovanni‘ dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen, respektive uns auf die Sprünge zu helfen; um am anderen Tag genau so belämmert vor geschlossenen Wänden zu stehen, folglich das Kind mit dem Bade auszuschütten und vor lauter Bäumen den Teufel im Detail nicht zu sehen, der halt nun einmal im lieben Gott der Oper als heiliger Geist, der stets ,ja und nochmals ja‘ sagt, wirkt und immerfort wirkt – bis dereinst der Trompeter von Säckingen jenes Jericho bläst, vor dem Heulen und Zähneknirschen sein wird und das sich nicht einmal der zu allem entschlossene Dante zu veropern traute.“ Wer sich von solchen unsinnigen Satzperioden nicht abhalten lässt und anderen Manieriertheiten nicht abschrecken lässt, wird allerdings manchmal doch mit schönen Erkenntnissen belohnt, wie der, was der oft unterschätzte Don Ottavio aus Mozarts „Don Giovanni“ wirklich ist: „Ottavio ist Herz aus sanfter Glut, holder Hesperus-Dämmerstrahl voilà un homme, ein Humanum ein Humanist!“

So streift Henscheid durch die Operngeschichte, auch Richard Wagner, aber vor allem immer wieder die Italiener und Mozart, den Beifall und die Tenöre, die Topografie und den Hirtenknaben in „Tosca“. Manches ist ärgerlich, wie der Opern-Intelligenzquiz („Frage: Was ist paradox bzw. echt doof? Antwort: Wenn Cherubin seraphinisch singt. Hähä.“), manches ist erhellend oder unterhaltsam. Aber stilistisch muss man sich schon einiges gefallen lassen.

Titelbild

Eckhard Henscheid: Götter, Menschen und sieben Tiere. Richard Wagners »Ring des Nibelungen«. Ein Gestaltenreigen.
Reclam Verlag, Ditzingen 2013.
220 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783150108710

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Titelbild

Eckhard Henscheid: Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte.
Reclam Verlag, Ditzingen 2013.
270 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783150202753

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