Kein heiteres Alter

Martin Walsers Notate „Meßmers Momente“

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Büchlein setzt eine Reihe fort, die Martin Walser vor knapp drei Jahrzehnten begonnen hat: „Meßmers Gedanken“ (1985) und „Meßmers Reisen“ (2003). Wie bei den vorausgehenden Bänden fällt die Zuordnung zu einem bestimmten literarischen Genre schwer. Noch am ehesten bietet sich an, von Aphorismen zu sprechen; vielleicht jedoch sollte man jede verengende Festlegung vermeiden und der neutralen, wenn auch sehr allgemeinen Bezeichnung „Notate“ den Vorzug geben. Schreibend versucht der Notierende, seiner Gedanken habhaft zu werden: „Man muss, was man nicht weiß, schreiben, um es kennenzulernen.“ Die Notate befriedigen einen „Äußerungsdrang“, der „phantomhaft“ auch dann da ist, wenn es nichts zu äußern gibt, wie bereits in „Meßmers Gedanken“ diagnostiziert wird.

Viele Indizien legen nahe, in Meßmer keine fiktionale Gestalt zu sehen, vielmehr eine Maske, die sich der Autor vorhält, ohne sich ernsthaft verbergen zu wollen. Auch ist im Vergleich mit den beiden früheren Meßmer-Bänden im neuen Band das Sprechen in der dritten Person zurückgetreten hinter dem Sprechen in der ersten. Das Ich jedoch ist gespalten, umfasst ein Ich und ein Er: „Ich zu sagen tut weh. Ich bin die dritte Person. Und der ist mit mir per Sie, auch wenn er mich aufdringlich duzt.“ Die beiden Ich-Hälften harmonieren nicht, ja sind einander feindlich: „Dass ich so gebunden bin an mich. Könnt ich mich trennen, es käm mir zugut. Man kann sich nicht verhalten, wie es das Beste wäre für einen selbst. Bin ich mein Feind?“ Oder: „Ich muss mich meiden. Wie meidet man sich?“ Oder: „Wie schweigsam muss man werden, um mit sich einverstanden zu sein?“ Die Zitate bezeugen, dass hier einer schreibt, dem Selbstzufriedenheit nicht zum Vorwurf gemacht werden kann; es sei denn, die Thematisierung der Zerrissenheit wäre kokett und ließe auf Genugtuung über die eigene Interessantheit schließen.

Die Selbstsicherheit des Autors ist nicht zuletzt durch Kränkungen erschüttert, die das Alter mit sich bringt. In Walsers Werk taucht das Thema „Alter“ früh auf. Bereits die Erzählung „Templones Ende“, mit der er 1955 den Preis der Gruppe 47 gewann, liest sich wie eine Parabel auf das Altwerden. In einigen späteren Romanen wie zum Beispiel „Brandung“ wird das Thema dann tonangebend, und in den Meßmer-Bänden drängt es sich nahezu auf. In „Meßmers Gedanken“ heißt es: „Durch mein Gesicht ziehen die Jahre wie Eroberer.“ Das dürfte rein physisch gemeint sein, ist also leicht zu verstehen. Etwas mehr Nachdenken verlangt ein anderes Notat, ebenfalls dort: „Ich ging durch die Allee. Neben mir lief Laub.“

In „Meßmers Reisen“ werden die Altersklagen fortgesetzt: „Ich sitze die Zeit ab in immer schnelleren Zügen.“ Und: „Das Altwerden beziehungsweise seine Folgen wirkten, wenn man sie gestünde, wie eine Niederlage.“ „Ich bin eine abgewählte Regierung, die nicht geht.“ Dass er letzteren Satz in „Meßmers Momente“ wörtlich wiederholt, belegt, wie nachhaltig einige unfreundliche Kritiken, die ihm wegen seines Alters nichts Gutes mehr zutrauten, Walser verletzt haben. In dieselbe Richtung weist: „Jeder weiß, wie alt du bist. Nur du nicht.“

Der Alterstrübsinn steigert sich zu einer Depression, in der das zurückgelegte Leben wertlos erscheint: „Ich bin die Asche einer Glut, die ich nicht war.“ Das wird noch überboten von einem grundsätzlichen Pessimismus: „Aus allen Sinnen strömt Verhängnis.“ Und in Anspielung auf den berühmten Wittgenstein-Satz: „Die Welt ist alles, was verpfuscht ist.“ Nichts ist zu spüren von dem Trost, den Hölderlin, ansonsten für Walser eine auch in „Meßmers Momente“ zitierte Autorität, in seiner Ode „Abendphantasie“ spendet: Dass nach dem Verglühen der ruhelosen Jugend das Alter friedlich und heiter ist. Von Heiterkeit findet sich bei Meßmer keine Spur. Deswegen mag es beruhigen, dass trotz aller Ähnlichkeit eine Deckungsgleichheit des Autors mit Meßmer letztlich doch nicht besteht; denn einige jüngere Äußerungen Walsers lassen sich dahingehend interpretieren, dass er sich nicht ganz vergeblich um Altersgelassenheit bemüht.

Das Bändchen verblüfft durch eigenwillige Gestaltung der Satzspiegel. Die Notate sind so gesetzt, als wären sie Prosagedichte: kurze Zeilen, mal rechtsbündig, mal mittig, mal nahe an den rechten Seitenrand gerückt, also weitaus mehr weißes Papier als bedrucktes. Doch bei den meisten Notaten ist Lyrisches nicht spürbar. Der Verdacht drängt sich auf, dass durch die sehr großzügige Art der Präsentation ein Material gestreckt wird, das an und für sich nicht ausreicht, ein Buch zu füllen. Dennoch ist eine wohlwollendere Erklärung möglich: Weil der Text zum Schluss immer weniger Raum beansprucht, soll Verstummen sichtbar gemacht werden. Auf der letzten Seite stehen nur noch fünf Wörter: „Das Leben lacht. Mich aus.“ Ein subtiles Schlusswort am Ende eines Autorenlebens?

Titelbild

Martin Walser: Meßmers Momente.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013.
103 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783498073831

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