Verstrickungen

Der von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling herausgegebene Band „Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit“ legt eine „Bestandsaufnahme“ vor

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann es als Beleg dafür sehen, dass im Verlauf der Geschichte nichts vergessen wird. Man kann es aber auch kritischer sehen und fragen: warum erst jetzt? Setzt man also die Gründung der Bundesrepublik Deutschland als Datum, dann hat es mehr als 50 Jahre gedauert, bis endlich auch die Justiz daran geht, ihre nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten. 2012 jedenfalls setzte die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine „Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ ein. Der Auftrag: eine „zeithistorische Untersuchung der personellen und damit fachlich-politischen Kontinuität des nationalsozialistischen Deutschlands in das Regierungshandeln des Bundesministeriums der Justiz in der Nachkriegszeit der fünfziger und sechziger Jahre“ durchzuführen. Im April des Jahres trat die Unabhängige Kommission mit einem Symposium erstmals vor eine größere Öffentlichkeit: „Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und sein Umgang mit der NS-Vergangenheit“. Die Beiträge dieser Veranstaltung versammelt nun als eine Art „Bestandsaufnahme“ der von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling herausgegebene Band mit dem leicht veränderten Titel: „Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit“.

Von 1950 bis 1973 war das Bundesministerium der Justiz in der „Rosenburg“ untergebracht, ein im 19. Jahrhundert im Bonner Stadtteil Kessenich errichteter, neoromanischer Bau. Vom „Geist der Rosenburg“ war noch Anfang der 1990er-Jahre, als der Umzug der Regierung nach Berlin beschlossen war, und die Beschäftigten des Ministeriums nostalgische Rückschau auf die ,alten Zeiten‘ hielten, die Rede. Gemeint war damit auch jener Geist der frühen Bundesrepublik, als man im Haus „Wert darauf [legte], unpolitisch zu sein, sich am Tagesgezänk nicht zu beteiligen“, wie es in einer internen Festschrift zu lesen war. Man stand zusammen nach dem „Schrecken der durchlebten Vergangenheit“ und „alle gelobten sich heilig, daß es nie wieder zu einem solchen Verfall des Rechtes und des Staates kommen dürfe“. Kein Nachdenken darüber, dass unter den ,heilig gelobenden’  Juristen im Hause nicht wenige waren, die nur wenige Jahre zuvor noch eifrig mitgewirkt hatten am Verfall des Rechtes. Indes konnte man sich in den 1950er-Jahren eine solch idealisierte Betrachtung leisten. Sie ging konform mit einer allgemeinen Stimmung in der Republik. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit stand nicht an. Wohl aber der Wiederaufbau. Und den störten Ärgernisse wie die sogenannte „Braunbuch-Kampagne“ aus der DDR: seit 1955 kamen von dort Informationen, die belastendes Material aus der NS-Zeit über viele in der Bundesrepublik wieder aktive Juristen (und andere führende Personen in Wirtschaft und Politik ) enthielten. Gern hätte man die Kampagne als ,Ostpropaganda‘ abgetan, aber die Informationen waren korrekt – und hatten schließlich auch Folgen. Spektakulär war der Fall des Generalbundesanwaltes Wolfgang Fraenkel, der 1962 nur wenige Wochen nach seiner Ernennung aufgrund der gegen ihn aus der DDR erhobenen Vorwürfe sein Amt wieder aufgeben musste – und dass, obwohl er nach wie vor Rückhalt in der Juristenzunft genoss.

In seiner einführenden Skizze zur „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ durch das BMJ schildert Manfred Görtemaker die Etappen der Einsicht und Bereitschaft im BMJ, sich der Vergangenheit zu stellen. Er kommt schließlich zu dem Schluss, dass heute niemand mehr behaupten kann, „das Unrechtssystem der NS-Justiz oder das eigene Versagen bei der rechtzeitigen Aufarbeitung der Justiz-Verbrechen im ,Dritten Reich‘ würden nicht ausreichend wahrgenommen.“ Weiterhin aber bleibe es Aufgabe, „den Gedanken der Aufklärung über die NS-Vergangenheit auch weiterhin mit der Reflexion über die eigene Rolle nach 1945 zu verbinden, um die Glaubwürdigkeit zu bewahren…“

Und hierzu tragen die neun Beiträge des Bandes bei. Die Historiker und Juristen beschäftigen sich mit dem BMJ und seiner NS-Vergangenheit und diskutieren die personellen und fachlich-politischen Kontinuitäten. Wie sie sich in Politik und Gesetzgebung der frühen Bundesrepublik niederschlugen, wird in den Bereichen „Verfassungsentwicklung“, der allgemeinen Gesetzgebung, der „Abteilung II- Strafrecht im BMJ“, der strafrechtlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justizverbrechen, dem Familienrecht sowie dem Wirtschaftsrecht dargestellt.

Alle diese Einzelanalysen sind vor dem Hintergrund zu betrachten, den der Historiker Ulrich Herbert in seinem Beitrag „Justiz und NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik 1945-11970“ skizziert und in vier nachdenkenswerten Punkten zusammenfasst: Am Anfang steht die „außerordentlich erfolgreiche vergangenheitspolitische Selbstverteidigung der einstigen NS-Juristen“. Sich vor Strafe zu schützen ist eine Sache – was aber, so fragt Herbert, trieb Juristen dazu, mit „erheblichem intellektuellen Aufwand und großer Sorgfalt“ dazu beizutragen, dass offensichtliche Täter, darunter Massenmörder, Straffreiheit erlangen konnten? Und war die Wiedereingliederung der alten Eliten der Justiz tatsächlich ohne Alternative? Oder gab es doch „Alternativen, die versäumt worden sind“? Auch seinen letzten Punkt pointiert Herbert in einer Frage: „Wie konnte es gelingen, dass mit einem solchen Justizapparat mit dieser personellen Besetzung nach 1949 sowohl in der Gesetzesformulierung wie in der Rechtspraxis ein demokratisches und jedenfalls seit den 1960er Jahren, zunehmend liberales Rechtssystem etabliert wurde?“

Titelbild

Manfred Görtemaker / Christoph Safferling (Hg.): Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit - eine Bestandsaufnahme.
V&R unipress, Göttingen 2013.
374 Seiten, 49,99 EUR.
ISBN-13: 9783525300466

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