Mythen, Dichter, Philosophen

Christoph Jammes Sammelband „Mythos als Aufklärung“ bietet wenig Neues – in schlechter Form

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter dem Titel „Mythos als Aufklärung“ fasst Christoph Jamme seine Beiträge zu Literatur, Philosophie und Mythenforschung um 1800 zusammen. Ein Sammelband also, mit dem Anspruch, die verschiedenen Aspekte von Jammes Forschung aufeinander zu beziehen und zu einer Art Epochengemälde zu verbinden, das dem Leser die historischen Bezüge deutlich zu machen vermag. Sagen wir es gerade heraus: Dieses Vorhaben misslingt auf ganzer Strecke. Das hat drei Gründe: Erstens verspricht das Vorwort mehr, als die Sammlung hält: „Einige [Aufsätze] sind bisher unveröffentlicht, die anderen erscheinen hier in zum Teil deutlich erweiterter oder aktualisierter Form“, heißt es da. Diese Behauptung wird in den Drucknachweisen Lügen gestraft: Unveröffentlicht ist nur das Vorwort, alle anderen Texte sind bereits in verschiedenen Publikationen erschienen oder bauen, wie der „Empedokles“-Aufsatz, auf publizierten Vorarbeiten auf (hier Jammes Dissertation). Lediglich vier der achtzehn Arbeiten finden sich in erweiterter Form, und nur eine davon wiederum wird als aktualisiert gekennzeichnet. Im Fall von „,Wahrheit für die Phantasie‘. Der junge Hegel und Herder“ wurde sogar die ursprüngliche Einleitung weggelassen und der erste Abschnitt an ihre Stelle gerückt. Die Verwertung geht tatsächlich so weit, dass selbst die je als Einleitung zu den beiden Teilen „Philosophie und Natur“ und „Aufgeklärter Mythos“ gedachten Aufsätze bereits in anderen Kontexten erschienen sind.

Hier klingt schon das zweite Problem der Sammlung an: die fehlende Konsistenz. Die bloße Gruppierung einzelner Beiträge schafft noch keinen Zusammenhang. Natürlich: Novalis und Schiller, Hölderlin, Hegel und Creuzer, Moritz und Goethe lassen sich durch die verschiedensten Linien miteinander verbinden. Die Auseinandersetzung mit Mythos und Mythologie auf der einen und der Aufklärungstradition auf der anderen Seite ist da ein naheliegender Zugang. Aber das allein reicht nicht aus, um ein geschlossenes, rundes Bild vom „Dichten und Denken um 1800“ (so der Untertitel) zu zeichnen. Redundanzen sind dabei noch das geringste Problem. Viel eher sind es die fehlenden Bezüge, die es erschweren, die Ergebnisse der einzelnen Arbeiten zu einem Ganzen zusammenzufassen. Der Klappentext deutet an, dass die Beschäftigung mit dem Mythos, die wechselseitigen Einflüsse von Aufklärung und Idealismus, Klassik und Romantik, das „Gespräch zwischen Philosophie und Literatur“ „in eine Zeit der explosionsartigen Ausdifferenzierung des Wissens und der Wissenschaften [fallen], was am Beispiel der Universität Jena demonstriert wird“. Tatsächlich jedoch beschäftigt sich die erste Hälfte des Bands schwerpunktmäßig mit Hegels Jugendphilosophie (bis zur „Phänomenologie des Geistes“), während die zweite Hälfte sich nach kurzen Darstellungen der Mythenkritik von Karl Philipp Moritz und Friedrich Creuzer auf Goethe konzentriert (unter anderem „Faust II“ und „Proserpina“). Den Schluss bildet dann ein überblicksartiger Abriss der Geschichte der Jenaer Universität um 1800, der im Wesentlichen auflistet, wer wessen Lehrstuhl übernahm und worin sich Goethes Einfluss auf den Universitätsbetrieb äußerte. Wie das die „Ausdifferenzierung der Wissenschaften“ für die vorigen Überlegungen zu Hegel, Goethe und den Mythos fruchtbar machen will, bleibt dahingestellt – ein Ende ohne Mehrwert, sozusagen.

Der dritte und letzte Punkt betrifft die Qualität des Buchs selbst. In inakzeptabler Weise häufen sich hier Druckfehler, die von der verhältnismäßig harmlosen Verwechslung von Punkt und Komma (in der erdrückenden Fülle gleichwohl schon schlimm genug!) bis zum Fehlen von Anführungszeichen bei Zitaten reichen. Nur ein Weniges an Aufmerksamkeit hätte genügt, diese Fehler zu vermeiden, deren Umfang dem Leser die Lektüre oft genug nicht nur erschwert, sondern regelrecht verleidet. Wie vertrauenswürdig sind die Aufsätze in dieser Form noch, wenn durch Unachtsamkeit sogar Zitate nur durch den Quellennachweis erkennbar sind?

Für Jamme, Professor für Philosophie in Lüneburg, bildet die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Mythologie und deutschem Idealismus einen Forschungsschwerpunkt. Entsprechend sind die meisten seiner Ausführungen – für sich genommen – durchaus erhellend. Wie er Goethes Umgang mit den antiken Mythen nachvollzieht und auf die eigene Mythenbildung der Faustdichtung eingeht, ist lobenswert und interessant. Jamme zeigt anschaulich, wie Goethe antike Mythen einbindet, sie bricht und sogar neu schafft. Und seine Beschäftigung mit Hegel zeugt von eingehender Auseinandersetzung; sie wirft neue Schlaglichter auf die frühen geschichtsphilosophischen Entwürfe (etwa in Vergleich zu Herders Schriften). Aber am Ende gelangt man doch wieder zu der Einsicht, dass die meisten Erkenntnisse Jammes bereits publiziert, also zugänglich und bekannt sind, und dass über einige fast dreißig Jahre der Forschung hinweggegangen sind, die nicht einmal in den Anmerkungen eingeholt wurden.

Insofern stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck dieser Sammlung: Wer sich für Jammes Forschung interessiert beziehungsweise im selben Feld tätig ist, dürfte die wichtigsten Aufsätze kennen; wer einen Einblick bekommen möchte, wird herb enttäuscht werden, sie in so schlechter Qualität präsentiert zu bekommen; neue Forschungerkenntnisse werden nur in geringem Umfang geliefert – wem soll da noch mit diesem Buch gedient sein? Hätte man sich die Mühe gemacht, die einzelnen Texte stärker miteinander zu verknüpfen und das Ganze dann noch zu lektorieren, wäre eine gute, aufmerksame Übersicht über die Auseinandersetzung mit dem Mythos um 1800 herausgekommen. So jedoch wirkt das Ganze wie eine halbherzige Kollektion, die man in aller Eile zusammengestellt hat, um sie rasch auf den Markt zu bringen. Schade.

Titelbild

Christoph Jamme: Mythos als Aufklärung. Dichten und Denken um 1800.
Wilhelm Fink Verlag, München 2013.
274 Seiten, 37,90 EUR.
ISBN-13: 9783770555536

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