Die Nixe, die keinen Boden unter die Füße bekommt

Über Barbara Aschenwalds überzeugendes Romandebüt „Omka“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um es gleich vorweg zu sagen: Das Romandebüt der Tirolerin Barbara Aschenwald, Jahrgang 1982, überzeugt von Anfang bis zum Ende. Sprachlich, inhaltlich und konzeptionell. Und das, obwohl rasch klar ist, dass das moderne Märchen „Omka“ nicht gut ausgehen wird, nicht gut ausgehen kann. So fantastisch-archaisch der Beginn mit „Es war einmal oder war auch nicht vor langer Zeit“ ist, so verstörend-konsequent endet der Roman mit „,Suicide by Proxy‘. Selbstmord auf Bestellung.“

„Somatoforme Dissoziation“ lautet die Diagnose, nachdem Omka nach einem Schwimmunfall – oder war es ein Suizidversuch ?– aus dem Koma erwacht und sich nach einiger Zeit in der Psychiatrie des Sankt Annenhospitals wiederfindet. Im Krankenhaus trifft sie auf Josef, der ohnmächtig geworden, sich einer Lungen-OP unterziehen musste. Obwohl der Einzelgänger bald merkt, dass Omka, die zunächst an Gedächtnisverlust leidet, anders ist als andere Frauen, fühlt er sich zu ihr hingezogen. Er nimmt sie schließlich bei sich auf. Mit der „Frau ohne Seele“, die selbst immer wieder unter ihrem „Mangel“ leidet, beginnt Josef schließlich ein Verhältnis – trotz verstörender Erlebnisse: „Da steckte sich Omka den Fischkopf [der vorher schon im Müll war, A.P.K.] in den Mund, zerkaute ihn laut krachend und schluckte ihn hinunter. Seine Nackenhaare sträubten sich, und die Gabel fiel ihm aus der Hand. Sie lachte.“

Nicht weniger verstörend ist Omkas plötzliche Attacke, als sie Josef mitten ins Gesicht schlägt oder als sie bei einem gemeinsamen Spaziergang am Fluss eine Möwe tötet, die sie in die Hand pickt: „Sie bückte sich schnell und packte die Möwe, die schrie. Er sah, wie die kurzen Federn am Hals des Tieres zwischen ihren Fingern herauslugten, wie der Vogel die Augen weit aufriss und den Schnabel lautlos öffnete, und hörte ein Geräusch, das klang wie das leise Knirschen zerdrückten Strohs. Sie lachte, als sie der Möwe den Hals umdrehte. Deren Augen erloschen, und der Körper entspannte sich. Omka ließ das Tier fallen. Er schaute sie entsetzt an.“

Auch wenn Josef immer mal wieder blitzartig der Gedanke kommt: „,Sie ist verrückt‘“, bleibt er bei Omka, die um ihre Leere zu füllen, unbedingt ein Kind will. Als nach vier Fehlgeburten endlich Jonas geboren wird, bleibt der Mangel: „Und da kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass es gar nicht das eigene Leben war, das sie führte, sondern das eines anderen, obwohl das weder möglich war noch der Gedanke irgendwie begründet.“

Omka, ein Anagramm für Koma und Amok, verlässt schließlich Josef und das Kind. Bis sie eines Tages erst Jonas, dann Josef tötet, um darauf im Krankenhaus Amok zu laufen. Dort wird sie schließlich von der Polizei erschossen.

Klug konstruiert spürt Aschenwald mit starken Bildern – das finale 15. Kapitel ist mit „Drachenwagen“ überschrieben – der Seelen-Geschichte einer Destruktion nach. Dabei muss man nicht mögliche Subtexte kennen – „Undine“ des Romantikers Friedrich de la Fouqué oder Ingeborg Bachmanns „Undine geht“ sind die bekanntesten –, man muss auch nicht wissen, dass ein realer Amok-Fall im Jahre 2010 in Lörrach – Omka hat an jenem 19. September Geburtstag – den Hintergrund dieser Erzählung abgibt, um von dieser Geschichte aus „Luft und Phantasie“ in den Bann gezogen zu werden.

Mit „Omka“ ist Barbara Aschenwald ein gleichermaßen bedrückendes wie beeindruckendes Prosadebüt gelungen. Sein schrecklich schöner Zauber jedenfalls vermag lange nachzuschwingen.

Titelbild

Barbara Aschenwald: Omka. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2013.
223 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783455404326

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