New York mit Patina

Don Winslow zum nächsten: „Manhattan“ ist ein wunderschönes Requiem des alten Amerika und ein hübscher Thriller der alten Art

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie man lesen kann, soll das Engagement, das der Suhrkamp-Verlag in Sachen Don Winslow an den Tag legt, ganz schön teuer sein und für neuen Ärger zwischen den zerstrittenen Gesellschaftern sorgen. Davon anscheinend unbeeindruckt legt der Verlag einen Winslow nach dem anderen vor. Nun greift man auf einen Roman zurück, der bereits 1996 auf Englisch und ein Jahr später auf Deutsch erschienen ist: „Manhattan“.

Die deutsche Erstausgabe ist wohl nur noch auf Grabbeltischen oder gelegentlich im Antiquariat zu finden, insofern ist diese Neuveröffentlichung mit wenig Risiko verbunden – und der Winslow-Boon findet ja gerade jetzt erst statt. Also, warum nicht.

Und selbstverständlich ist „Manhattan“ ein echter Winslow. Auch 1996 will Winslow es immer ganz genau wissen. Ein Football-Spiel in der Literatur? Keine Kleinigkeit, zumal dann, wenn damit auch noch eine Wette gegen das literarische Alter Ego John F. Kennedys verbunden ist.

Winslow weiß seine kleine Eitelkeit in Sachen Bescheid wissen jedoch immer mit einem guten Plot zu verbinden. Nicht dass „Manhattan“ an das Meisterwerk Winslows, „Tage der Toten“, herankäme. Aber es gibt wenige Krimis, die das tun.

„Manhattan“ ist ein intelligent entworfener und geschriebener Thriller um einen ehemaligen CIA-Agenten, der in einen Komplott um den kommenden Mann in der amerikanischen Politik verwickelt wird. Er wickelt naheliegender Weise sich und seine Liebste auch wieder da heraus. Und am Ende gehen die beiden frei aus, trotz allen Verrats und allen Hinterhalts.

Wir sind im Amerika des Kalten Krieges, Ende der 1950er-Jahre. Die Mauer ist noch nicht gebaut, aber die Großmächte stehen sich feindlich und misstrauisch beäugend gegenüber. Was Agenten in diesem Falle tun können, das tun sie: Sie spionieren, sie werben Agenten an, sie drehen Agenten um und sie bringen dabei immer wieder mal jemanden um. Walter Withers kündigt bei der CIA und geht nach New York zurück. Er ist im Job verbrannt. Irgendjemand in seiner Einheit ist ein Maulwurf. Und da es seine Agenten sind, die hochgehen, ist er dran. Er geht und wird gegangen. Zwar macht man ihm noch ein Angebot, aber was ist das wert?

Zurück in New York heuert Withers bei einer Detektei an, die ihr Geld mit vertraulichen Auskünften über kommende Manager verdient. Das ist leicht verdient und vernichtet gelegentlich Karrieren. Aber irgendjemand muss den Job nun mal machen.

Bis zum Weihnachtsfest 1958, das – für Deutsche befremdlich – meistenteils wenig festlich verläuft. Zumindest arbeiten die Leute auch an den hiesigen Festtagen – irgendwie scheint der Wohlstand verdient werden zu müssen.

Withers wird von seinem Chef gebeten, den Anstandswauwau der Gattin eines Politikers namens Joe Keneally zu mimen. Ja, kaum verdeckt, das soll wohl Kennedy sein. Wenigstens stimmt das Wichtigste halbwegs, bis hin zu den Rückenschmerzen und zu der heftigen Liaison mit einer ungemein attraktiven Blondine, die im Roman zwar Skandinavierin ist, aber – Hand aufs Herz – Marilyn wird’s doch wohl sein, oder?

Er deckt sogar das Rendezvous Keneallys mit der Schönheit, aber am Ende ist sie tot (ähnlich wie MM), nur eben kein Selbstmord, sondern Mord, was sonst? Und schon geht die wilde Jagd los. Danach rennt so ziemlich alles hinter Withers her, was Beine hat, geht´s doch um den Besitz von Tonbändern, die den wohl künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten im intimen tête-à-tête mit einer, ja, mit einer russischen Spionin hören lassen. Das wäre es dann wohl mit der Präsidentschaft, kein Wunder also, dass FBI-Chef Hoover hinter den Bändern her ist, kann der doch Keneally nicht leiden. Aber auch das bekommt Withers in den Griff.

Winslow hat mit diesem Roman etwas getan, was normalerweise ein großer Fehler ist, aber in seinem Fall geht so etwas merkwürdigerweise immer gut: Er wollte zuviel. Er wollte einen guten neuen Politthriller im guten alten Stil schreiben. Er wollte einen politischen Schlüsselroman vorlegen, bei dem jeder halbwegs Gebildete erkennt, wer das Vorbild der jeweiligen Figur war. Er wollte ein dichtes Porträt jenes alten New Yorks zeichnen, ganz wie das Kernensemble unserer New-York-Vorstellungen. Er wollte außerdem zeigen, dass am Ende alles gut gehen kann, auch wenn die Chancen schlecht sind – wahrscheinlich ist er bei aller Abgebrühtheit doch ein ganz schöner Romantiker. Und er wollte ungemein gut unterhalten.

Das New-York-Porträt ist ihm bis zur Kenntlichkeit gelungen, unterhalten werden wir auch gut, „Manhattan“ ist ein vergnüglicher Text, der es einem auch erlaubt, gelegentlich auszusteigen, wenn wieder einmal ein historischer Promi nur halbwegs gewandet vorbeischwebt. Man gönne ihm das Vergnügen und uns, seine Romane zu lesen.

Titelbild

Don Winslow: Manhattan. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans-Joachim Maass.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
404 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518464403

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