Prähistorisches Zooverhalten

Feministische Perspektiven auf historische und aktuelle Gleichberechtigungsprozesse und eine dreibändige Reihe mit Texten feministischer Klassikerinnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Katrin Pittius, Kathleen Kollewe, Eva Fuchslocher und Anja Bargfrede haben im Mai diesen Jahres einen Sammelband mit dem Titel „Die bewegte Frau“ herausgebracht. Damit ist nun bereits das dritte Buch diesen Titels auf dem Markt. Die beiden anderen wurden von Petra Kreuder beziehungsweise von Adelheid Ohlig verfasst. Ersteres behandelt „Weibliche Ganzfigurenbildnisse in Bewegung vom 16. bis zum 19. Jahrhundert“, letzteres preist „Luna Yoga für Gesundheit und Lebenslust“. Sie alle erschienen innerhalb der letzten sechs Jahre.

Die Herausgeberinnen des jüngsten und hier zu besprechenden Buches versprechen „theoretische Auseinandersetzung mit vergangenen wie auch gegenwärtigen Strömungen der Frauenbewegung(en)“ und fügen ergänzend an, dass die versammelten Aufsätze jedoch nicht von einer „philosophisch-erkenntnistheoretischen Position im Sinne des Postmodernismus“ ausgehen. Die theoretischen Anstrengungen zielen dann auch nicht nur darauf, neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern vor allem auf „die Überwindung historisch gewordener, geschlechterrelevanter (re-)produzierter gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen“. Darum hat das Herausgeberinnen-Quartett nicht nur Beiträge aus soziologischer, politikwissenschaftlicher, historischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive, sondern auch „aus der Praxis“ aufgenommen.

Nicht immer warten die Aufsätze mit brandneuen Erkenntnissen auf. So wird der Band etwa durch einen Text von Ute Gerhard eröffnet, der mit einer Erörterung des „Stands der Frauenbewegung“ einsetzt. Man wundert sich schon nach wenigen Absätzen über die angeblich zunehmende „De-Thematisierung von Geschlechterfragen“ und die Einschätzung, dass „in der öffentlichen Wahrnehmung wie in der politischen Diskussion die Probleme der Gleichheit und Gleichberechtigung  obsolet“ seien und „gerade auch jüngere Frauen sich nicht der Frauenbewegung zuordnen, geschweige denn als Feministinnen bezeichnen wollen“. Dann aber fällt der Blick auf die erste Fußnote und es zeigt sich, dass es sich nicht etwa um einen Originalbeitrag, sondern um einen Text aus dem Jahr 2006 handelt, seine Einschätzungen somit in Zeiten feministischer Aufschreie, der Femen und des „Missy Magazins“ selbst obsolet sind.

Drei der Herausgeberinnen – Katrin Pittius, Kathleen Kollewe und Eva Fuchslocher – wiederum konstatieren in einem gemeinsam verfassten Text „zur Ausgrenzung von Männern in den deutschen Frauenbewegung“, „dass Männer Gewalttäter sein können, wird gesellschaftlich nicht mehr angezweifelt“. Da stellt sich schon die drängende Frage: Wann wurde es das denn je?

Jedenfalls aber geht es in ihrem Text „weniger um die Subjektperspektive von Männern als vielmehr um die Frage nach den Begründungszusammenhängen und Legitimationen seitens ‚der‘ Frauen“. Ihre Feststellung, dass „es für Frauen, die Opfer männlicher Gewalt wurden, hilfreich sein kann, sich in bestimmten Lebensbereichen in reinen Frauengruppen zu bewegen und dort Schutz und Solidarität zu erfahren“, dürfte auf breite Zustimmung treffen und allenfalls von einer Handvoll unverbesserlicher Maskulinisten bestritten werden. Doch auch „im Prozeß der eigenen Identitätsbildung, der Sich-Vergegenwärtigung von bestehender Ungleichheit, auch als Re-Aktion auf noch immer existierende strukturelle Benachteiligung“, scheint den Autorinnen „die Notwendigkeit eines geschützten kommunikativen Austauschs zu frauenspezifischen gesellschaftlichen Kontexten und Problematiken noch immer gegeben“. Denn „der gemeinsame Auftritt von Frauen in reinen Frauengruppen, die Geschlossenheit und das starke Signale waren (und sind) notwendig, um Öffentlichkeit herzustellen und eine feministische Standortbestimmung zu erreichen“. Das „reine Frauengruppen“ zu alldem notwendig sind, ist denn doch vielleicht etwas zu viel gesagt. Hilfreich aber können sie zweifellos sein.

Allerdings finden sich in dem einen oder anderen Beitrag schon einmal handfeste Fehlurteile. So meint etwa Annette C. Anton „Postfeministinnen“ seien „ernsthaft der Überzeugung“, dass Frauen längst alles erreicht haben. Ganz ohne Beleg selbstverständlich. Und sollte sie tatsächlich eine sich als Postfeministin bezeichnende Frau auftreiben können, die dieser Ansicht ist, so lassen sich dafür leicht zehn andere Postfeministinnen finden, die das ganz anders sehen. Erste Kenntnisse über den Postfeminismus lassen sich übrigens bereits seit mindesten einem guten Jahrzehnt durch eine Konsultation einschlägiger Lexika wie dem „Metzler Lexikon Gender Studies/Geschlechterforschung“ erwerben.

Wenn Anton ihren Geschlechtsgenossinnen im Weiteren davon abrät, „das prähistorische Zooverhalten der Männer zu übernehmen“, so ist das in der gemeinten Sache zwar wohlbegründet und vielleicht sogar ganz lustig formuliert. Dennoch missfällt die Metapher zugleich, gab es doch in der Prähistorie mit einiger Sicherheit noch keine Zoos.

Selbstverständlich kann es nicht ausbleiben, dass in einem Band zum Thema Frauenbewegung(en) auch der Name Alice Schwarzer fällt. Michaela Kuhnhenne apostrophiert die prominenteste Feministin nicht nur der 1970er-Jahre zwar etwas überheblich als „dauermediales Überbleibsel“ der Zweiten Frauenbewegung, doch bietet ihr Beitrag ansonsten einige erhellende Erkenntnisse über die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen der Ersten Frauenbewegung um 1900, von denen sie nicht weniger als vier ausmacht. Ihr kurzer Text eröffnet einige vielversprechende Ansätze für weitere Forschungen zum Thema.

Über die deutsche Frauenbewegung hinaus blickt Esma Cakir-Ceylan und beantwortet die Titelfrage ihres Beitrags, ob es eine Frauenbewegung in der Türkei gibt, nicht nur mit einem vernehmlichen ja, sondern charakterisiert sie sogar als „progressiv und stark“. Außerdem, so lobt sie, habe die türkische Frauenbewegung bislang „einen zufriedenstellenden Kampf“ geführt.

Beschlossen wird der Band durch zwei „praxisbezogene“ Texte. Die Theater- und Gestalttherapeutin Caroline Gempeler bewirbt ihre Workshops, und Annette C. Anton erteilt Ratschläge, wie junge Frauen „typisch weibliche Jobfallen vermeiden“. Dabei zieht sie auch schon mal über „verwöhnte Gören“ her. Ansonsten sind Frauen bei ihr vor allem eins, nämlich „selber schuld“.

Sonderlich originell ist das nicht. Darum ruft sie ihre Geschlechtsgenossinnen dazu auf, „das eigene Verhalten und Handeln einer kritischen Prüfung zu unterziehen“, „endlich anzutreten und Verantwortung zu übernehmen“. Ihre Rede von einem „Selbstausbeutungs-Gen“, das bei Frauen regelmäßig, bei Männern aber nur höchst selten zu finden sei, ist zwar augenzwinkernd gemeint, macht den Biologismus aber auch nicht besser. Da wundert es auch nicht mehr, dass sie den sexistischen Begriff des „Zickenkriegs“ übernimmt, den sie „verwerflich“ findet – nicht den Begriff, sondern, das, was er bezeichnet. Ihre abschließende Frage, ob „denn die Männer noch immer unsere Feinde“ seien, beantwortet sie mit einem lauten und deutlichen „Ja“. Denn „egal, wie sie sich tarnen, die meisten von ihnen bleiben unsere Widersacher“. „Und bei allen anderen kann es ebenfalls nicht schaden, auf der Hut zu sein.“ Da hat sie nun einmal tatsächlich Recht, und zwar ohne jede Abstriche. Und auch ihr Ratschlag an ihre Geschlechtsgenossinnen, „die Spiele der Kerle zu erlernen“, um sie zu „durchschauen und zu unterlaufen“, ist so schlecht nicht.

Etwa gleichzeitig mit dem Sammelband über „Die bewegte Frau“ erschien der dritte Band mit Texten von Klassikerinnen der feministischen Theorie. Er deckt den Zeitraum von 1986 bis heute ab und schließt die Reihe, deren erster Band 2008 und deren zweiter zwei Jahre darauf erschien, nach nur einem halben Jahrzehnt ab. Die zeitliche Schnittstelle zwischen dem zweiten und dem nunmehr vorliegenden dritten Band wird von den Herausgeberinnen Marianne Schmidbaur, Helma Lutz und Ulla Wischermann überzeugend damit begründet, dass in der Mitte der 80er-Jahre eine „neue Phase feministischer Aktivierung und Theoriebildung“ einsetzte, in der „das Kollektiv ‚Wir Frauen‘ und das einheitlich gedachte Bewegungssubjekt ‚Frauenbewegung‘ an Überzeugungskraft und Kontur verlor“. Zudem sei die „kollektive Opferrolle“ nicht länger „aufrechtzuerhalten“ gewesen. Die seit den 1980er-Jahren statthabende Entwicklung feministischer Theorie(en) schlage sich darin nieder, dass „poststrukturalistische, postkoloniale und neomaterialistische Perspektiven sowie Queer Studies, Männlichkeitsforschung, Black Feminism und Intersektionalität“ aufgenommen wurden. Merkwürdiger Weise fehlen in der Aufzählung der Herausgeberinnen ausgerechnet die Gender Studies.

Ebenso wie die beiden ersten Bände richtet sich auch der vorliegende „nicht nur an ein akademisches Publikum, sondern an alle Leserinnen und Leser, die mehr über feministische Bewegungen und feministische Theorien wissen wollen, vor allem an Studierende, aber auch an Lehrende, an Poliker_innen, an Bildungshungrige“. Eine Formulierung, mit der die Herausgeberinnen (wohl eher unfreiwillig) deutlich machen, welche Tücken der linguistische Gender Gap bereit hält, der hier offenbar eher um der vermeintlich besseren Lesbarkeit gewählt wurde. Eine Notlösung, die allerdings zumal in der Verquickung mit den neutralen sowie maskulinen und femininen Formen zu Lasten der inhaltlichen Konsistenz der Formulierung geht. Während nämlich „Leserinnen und Leser“ das Zweigeschlechtermodell betonen, unterstreichen die „Politiker_innen“ ein offenes Mehrgeschlechtermodell. Gemeinsam ist beiden Topoi, dass sie die Relevanz von Geschlecht hervorheben, die von den geschlechterneutralen Formen „Studierende“ und „Lehrende“ gerade negiert wird. Und dies alles in nur einem Satz.

Auch darin, dass den jeweils zwei Quellentexten einer Klassikerin „Überblicksartikel“ vorangestellt wurden, um „beispielhaften Einblick in die Arbeit der betreffenden Person“ zu gewähren, gleich der jüngste Band seinen beiden Vorgängern. Es handelt sich um Originalbeiträge, die diesmal ausnahmslos von Angehörigen des Frankfurter Cornelia Goethe Centers verfasst wurden. Erwähnt sei auch, dass die klassischen Quellentexte anders als in den ersten beiden Bände diesmal überwiegend englischsprachig sind und größtenteils in der Originalsprache abgedruckt wurden.

Selbstverständlich finden sich unter den Klassikerinnen, deren Texte aufgenommen wurden, so prominente Feministinnen wie Rosi Braidotti, Judith Butler und Donna Haraway. Neben ihnen sind aber auch hierzulande eher unbekannte Autorinnen wie Arlie Russel Hochschild und Patricia Hill Collins aufgenommen worden. Ob ihre Texte wirklich wirkmächtig genug sein werden, dass ihnen der Ehrentitel „Klassikerin“ zu Recht verliehen wurde, wird sich erst in etlichen Jahren erweisen.

Titelbild

Katrin Pittius / Kathleen Kollewe / Eva Fuchslocher / Anja Bargfrede (Hg.): Die bewegte Frau. Feministische Perspektiven auf historische und aktuelle Gleichberechtigungsprozesse.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2013.
180 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783896919342

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Helma Lutz / Ulla Wischermann / Marianne Schmidbaur (Hg.): Klassikerinnen feministischer Theorie. Band III: Grundlagentexte ab 1986.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach (Taunus) 2013.
345 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783897413238

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