Von der Notwendigkeit, über Bilder zu sprechen

Der Sammelband „Gemälderedereien“ untersucht Funktionen literarischer Konstruktionen von Bildern

Von Sigrun GalterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sigrun Galter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Gemälde ist kein Bild. Ein Bild ist das, was ein Kunstwerk im Betrachtenden entstehen lässt – was dieses aber möglicherweise gerade nicht darstellt. Oder anders gesagt: Ein Bild ist das, was entsteht, wenn ein Gemälde auf die eine oder andere Weise diskursiviert wird.

Mit diesen Grundannahmen knüpft der vorliegende Sammelband an den theoretischen Konsens der Bildwissenschaft an, wenn er in Anlehnung an Edmund Husserl, W. J. T. Mitchell und Hans Jonas zwischen Bildträger, Bildgegenstand und Bild unterscheidet, nimmt aber entscheidende Zuspitzungen vor. Im Anschluss an Ralf Simon wird das Bild als Ergebnis einer paradoxen Zeige-Sprech-Szene aufgefasst: Die Deixis richtet sich zwar auf ein Gemälde, aber nur, um darüber hinauszuweisen auf das Bild, welches man als das „anhand eines Sichtbaren Gemeinte“ bestimmen kann. Das gilt auch dann, wenn an dem Gemalten etwas gezeigt wird, was gar nicht auf dem Bildträger zu sehen ist, wie Simon an einer Bildbeschreibung Arno Schmidts ausführt.

Damit ist die weit verbreitete Annahme, Gemälde und Kunstwerke allgemein seien kraft ihrer ikonischen Referenz auf die dargestellten Gegenstände zumindest auf einer ersten Ebene selbstevident, grundsätzlich in Frage gestellt. Der pictorial beziehungsweise iconic turn – so die HerausgeberInnen – habe möglicherweise die Sicht darauf verstellt, wie sehr Kunstwerke der (sprachlich strukturierten) Deutung bedürfen und in welchem Maß scheinbar selbsterklärende Bilder erst durch kollektive Narrative einen solchen Status erhalten. Die HerausgeberInnen bringen das im Klappentext auf die eingängige Formel, Bilder seien nicht beredt, sondern beredet. Die Diskursivierung von Kunstwerken ist also kein beliebiges Rezeptionsphänomen, sondern genuiner Prozess der  Bildgenese. Nichts anderes als das ist mit den im Titel des Bandes genannten „Gemälderedereien“ gemeint, trotz der durch diesen Begriff augenzwinkernd aufgerufenen Assoziationen mit gepflegten, aber etwas belanglosen Plaudereien über Kunst.

Die Diskursivierung von Kunstwerken ist überdies ein nicht nur intermediales, sondern zugleich ein hochgradig intertextuelles Phänomen: Verfasst ein Autor einen Text über ein Gemälde, so schreibt er sich auch in eine literarische Tradition der Bezugnahme auf dieses Kunstwerk ein. Nicht selten bilden Prätexte den eigentlichen Anstoß für die literarische Beschäftigung mit einem Kunstwerk und nicht die unmittelbare Bildbetrachtung, wie häufig angenommen. Um bestimmte Kunstwerke haben sich so ganze Zitatencluster gebildet, in Fällen wie Dürers „Ritter, Tod und Teufel“ (vgl. den Aufsatz von Konstanze Fliedl) oder Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ (vgl. den materialreichen Beitrag von Katharina Serles) förmliche Zitationsketten, die dazu tendieren, sich zu verselbstständigen. Umgekehrt kann aber auch der Kontakt zu einem Kunstwerk einen neuen Blick auf literarische Diskurse ermöglichen. So fungiert Peter Handkes Cézanne-Rezeption als „Katalysator der intertextuellen Anlage“ seiner „Lehre der Sainte-Victoire“, wie Ralph Köhnen argumentiert, und als Ausgangspunkt eines „Möbiusband[s] von Wort und Bild“. Den HerausgeberInnen des Bandes ist es ein zentrales Anliegen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die literarische Rezeption bildender Kunst nicht nur eine Auseinandersetzung mit einem fremden Medium darstellt, sondern auch immer eine Reflexion des eigenen Mediums impliziert.

So könnte man den theoretischen Rahmen des Sammelbandes über  „Gemälderedereien“ umreißen, den Konstanze Fliedl, Bernhard Oberreither und Katharina Serles überwiegend aus Beiträgen der gleichnamigen, 2011 an der Universität Wien veranstalteten Tagung und aus Aufsätzen aus dem Forschungsprojekt „Das Bildzitat. Intermedialität und Tradition“ der Universität Wien zusammengestellt haben. Durch die Verankerung der meisten AutorInnen im Kontext des Wiener Forschungsprojekts erklärt sich, dass über die Konzeption und die programmatischen Paratexte des Bandes hinaus auch die meisten Beiträge von einheitlichen theoretischen Prämissen ausgehen. So wird Ralf Simons Bildauffassung zwar im Vorwort nicht explizit als Referenzrahmen erwähnt, doch verweisen gleich mehrere Beiträge aus dem Umfeld der HerausgeberInnen darauf. Außerdem kommt Simon selbst in einem Aufsatz zu Wort – nimmt dort aber eine überraschende Wendung der seit seiner Monografie „Der poetische Text als Bildkritik“ etablierten Text-Bild-Theorie vor, indem er in Arno Schmidts „Julia, oder die Gemälde“ einer (Re-)Ontologisierung des Bildes nachgeht.

Der Titel des Sammelbandes entstammt dem Roman „Durchleuchtung“ (2007) von Ferdinand Schmatz, dessen Kunstreflexion „MALER ALS STIFTER“ als „dichterisch-poetologischer Prolog“ des Bandes den wissenschaftlichen Beiträgen vorangestellt ist. Diese gliedern sich in zwei Hauptsektionen, „Texte und ihre Bilder“ sowie „Bilder und ihre Texte“. Unterschiede zwischen den jeweils untersuchten Gegenständen sind allenfalls gradueller Art und betreffen sowohl den Umgang der literarischen Texte mit dem Bildmaterial als auch den Fokus der ForscherInnen. Aufgrund des unterschiedlichen Erkenntnisinteresses erscheint die Differenzierung aber als durchaus überzeugend. Gerahmt werden die beiden Hauptsektionen durch den erwähnten literarischen Text von Schmatz und eine kurze Sektion zu „Bio-Bildern“, die den Band zum einen in Richtung einer performativen Umsetzung von „Gemälderedereien“, zum anderen in Richtung bisher weniger beachteter Formen von Text-Bild-Bezügen (Garten und Tätowierung als zugleich bildliche und literarische Phänomene) öffnen.

Die Aufsätze widmen sich vorrangig der literarischen Rezeption von Gemälden, daneben aber auch derjenigen von Kunstgattungen wie Aquarell, Kupferstich und Fotografie. Der Einfluss der theoretischen Grundannahmen auf die Textauswahl ist dabei kaum zu übersehen, denn es werden vor allem literarische Texte diskutiert, die eigenwillige, gebrochene oder maximal offene Bildbezüge aufweisen, mit einem Schwerpunkt auf der Postmoderne und Gegenwart. Entsprechend greifen die untersuchten Texte zwar auf traditionelle Genres und Textformen der Auseinandersetzung mit bildender Kunst wie die Ekphrasis/Bildbeschreibung, das Gemäldegedicht oder den Künstlerroman zurück, nicht ohne sie jedoch zu modifizieren oder zu dekonstruieren: Bei Arno Schmidt findet sich eine Ekphrasis, die das Gemälde nicht – wie zu erwarten wäre – beschreibt, bei Thomas Kling gibt es Gemäldegedichte, die ebenso gut als „Sprachinstallationen“ zu bezeichnen wären, und ausgehend von Siegfried Lenz’ „Deutschstunde“ schlägt Dominik Müller vor, die Genrebezeichnung „Kunstrezeptionsroman“ einzuführen.

Die behandelten Texte sind zumeist ausgesprochen selbstreflexiv und verbinden poetologische Entwürfe mit intermedialen Reflexionen, wobei sich eine recht deutliche Dominanz postmoderner und poststrukturalistischer Verfahren zeigt. Zahlreiche Beiträge kreisen um die Frage nach einer Überlagerung von Spuren im Spannungsfeld von Geschichte und Erinnerung, literarische Bildkonstruktionen werden auf ihre psychologischen, sozialen und politischen Funktionen hin befragt. So zeigt Anne-Kathrin Reulecke, wie Peter Weiß Lessings kanonischen „Laokoon“-Essay gegen den Strich liest, „um die medial verordnete Stille der Bilder und Skulpturen, die mit dem Stillstand festgefahrener politischer Situationen einhergeht“, zu durchbrechen und um Lessings ästhetischer Argumentation eine neue ethische Dimension abzugewinnen. Immer wieder geht es in den Beiträgen um epistemologische Grenzen von Referenz (Marianne Schuller) und im Gegenzug um eine transzendentale Begründung von Bild-Text-Gefügen, sei es durch Rückgriff auf  Walter Benjamins Sprachtheorie (Ralph Köhnen) oder auf das theologische Konzept der Perichorese, mit dem Arno Schmidt die gegenseitige Durchdringung und Verdichtung von gemaltem und poetischem Bild beschreibt (Ralf Simon).

Aus dem Forschungskontext heraus nachvollziehbar, meines Erachtens jedoch nicht unproblematisch ist das Festhalten der HerausgeberInnen am Begriff des Kunstzitats. Den von Heide Eilert geprägten Terminus hatte Konstanze Fliedl bereits im zusammen mit Marina Rauchenbacher und Joanna Wolf 2011 herausgegebenen, wegweisenden „Handbuch der Kunstzitate“ übernommen, dem Vorgängerprojekt der „Gemälderedereien“, zu dem auch über die Hälfte der AutorInnen dieses Bandes beigetragen hat. Er kann aber nur als vorläufiger Behelfsbegriff gelten, da er den vielfältigen und komplexen Formen der literarischen Bezugnahme auf Werke der bildenden Kunst nicht gerecht wird und die meisten der gemeinten Phänomene nicht als Zitate im engeren Sinn zu bezeichnen sind. Es wäre dringend wünschenswert, wenn das nach wie vor bestehende Desiderat systematischer Terminologien und  Typologisierungen von Bildbezügen in literarischen Texten, das auch die Herausgeberinnen des „Handbuchs der Kunstzitate“ feststellen, angegangen würde. Vorarbeiten bieten Gisbert Kranz’ Vorschläge für eine Typologie des Bildgedichts und Ansätze zur Klassifizierung von Ekphrasen, wie sie beispielsweise Valerie Robillard und Laura Sager Eidt vorgelegt haben.

Durch seine Ausrichtung auf offene und dekonstruktive literarische Bild-Diskursivierungen bietet der vorliegende Sammelband eine Ergänzung zu bisherigen Forschungen zur literarischen Rezeption bildender Kunst, die zu großen Teilen historische Entwicklungen und prototypische Formen des Bildbezugs in den Blick genommen haben. Die anregenden Einzelanalysen leisten gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Theoriebildung dieses Forschungsgebiets.

Titelbild

Konstanze Fliedl / Bernhard Oberreither / Katharina Serles (Hg.): Gemälderedereien. Zur literarischen Diskursivierung von Bildern.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2013.
328 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783503137619

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