Von Äpfeln und Birnen?

Über Michael Hofmanns und Rita Morriens Band: „Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart“

Von Thorsten SchüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schüller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart“ vorzustellen verspricht der Sammelband von Michael Hofmann und Rita Morrien und greift damit ein Thema auf, das seit mittlerweile mehr als dreißig Jahren in Dissertationen und Habilitationen abgearbeitet, das in Fächern wie der Interkulturellen Germanistik erforscht und gelehrt, das aber dennoch bis heute durchaus kontrovers diskutiert wird. Welche Diskursgrundlagen gibt es denn, wenn das kleine Deutschland mit einem ganzen Kontinent, der noch dazu extrem vielsprachig ist, konfrontiert, zusammengedacht, verglichen wird? Handelt es sich hierbei nicht um die berühmten Äpfel und Birnen?

Fächer wie die Romanistik oder die Anglistik haben es da einfacher: Die Kolonialvergangenheit bringt es mit sich, dass die Verbindungen der ehemaligen Kolonialmächte mit den ehemaligen Kolonien intensiver sind, dass Sprachen wie Englisch oder Französisch bis heute in Afrika als Amtssprachen, aber auch Literatursprachen fungieren. Wer einmal durch den Nordosten von Paris spaziert, der bemerkt zudem, dass es ganz konkrete Kontakte zwischen einer europäischen Kultur und afrikanischen Kulturen geben kann.

Aber Deutschland und Afrika? Natürlich gab es den wilhelminischen Wunsch nach dem „Platz an der Sonne“ und eine kurze Kolonialepisode, die mit dem Versailler Vertrag ein Ende fand, doch spielt Afrika im deutschen kollektiven Bewusstsein eine geringere Rolle als beispielsweise in Frankreich oder Großbritannien. Auch die Migrationsbewegungen sind in Alltag und Literatur weit weniger sichtbar als in anderen ehemaligen Kolonialmächten. In Frankreich ist beispielsweise der Franko-Kongolese Alain Mabanckou ein hochprämierter und beachteter Literaturstar – und er ist nicht der einzige mit afrikanischen Wurzeln. Aber gibt es eine afro-deutsche Literatur?

Der Sammelband macht deutlich, dass es dennoch versteckte Spuren und Kontakte gibt, die es erlauben, arbeitshypothetisch von einem deutsch-afrikanischen Diskurs zu sprechen. In einer klugen Einleitung zeigt Mitherausgeber Hofmann die verschiedenen Kontakte zwischen dem mitteleuropäischen Deutschland und dem afrikanischen Kontinent auf: Im 18. Jahrhundert bereits beschäftigten sich Reisende mit Afrika, was dazu führte, dass Afrika zum Fremdbild par excellence wurde. Symptomatisch ist wohl Winckelmanns Gegenüberstellung der „Hässlichkeit des afrikanischen Körpers“ mit den Idealen der antik-griechischen Schönheit. Hofmann zeigt weitere deutsche Beschäftigungen mit Afrika auf – von Wieland über die Afrikareisenden Barth, Nachtigal, Rohlfs und Schweinfurth bis hin zum Ethnologen Leo Frobenius und aktuellen Romanciers – und legitimiert damit das Thema des Bandes. Theoretische Grundlage des Bandes ist eine (kritische) Lektüre von „Orientalism“, Edward Saids Klassiker der postcolonial studies, der stereotype Darstellungen des Fremden aufdeckte und diese als Konstruktionen entlarvte. Hier ist zu erwähnen, dass es mit Valentin Y. Mudimbes „The Invention of Africa“ auch eine wichtige afrikanische Stimme gibt, die das Thema des Bandes hätte untermauern können. Das optimistische Ziel des Unterfangens von Hofmann und Morrien ist es, dass „Europa und […] die deutsche Kultur von den vielfältigen Anregungen profitieren [kann], die von den afrikanischen Kulturen ausgehen“.

Ein wichtiger Beitrag stammt aus der Feder von Leo Kreutzer, der aus der akademischen Praxis berichtet. Er gilt als der Begründer der heute so genannten „Schule von Hannover“, in der afrikanische Germanisten als Stipendiaten wichtige Studien vorlegten. In ihren Studien konfrontierten sie deutschsprachige und afrikanische Texte miteinander und reflektierten und problematisierten zugleich stets ihr methodisches Vorgehen. Kreutzer zeigt die Schwierigkeiten auf, eine institutionelle Nische für solche Vorhaben zu finden. Der ewige Vorwurf heißt: Muss man wirklich alles vergleichen? Ein legitimierendes Paradigma wurde für die „Schule von Hannover“ der von Goethe entlehnte Begriff des „Doppeltblicks“: Literaten und Literaturwissenschaftler sollen einander anschauen und die eigene mit der fremden Kultur konfrontieren und durch die gleichberechtigte Fremdwahrnehmung neue Impulse erlangen. Dieser „Doppeltblick“ prägt auch den vorliegenden Band. So viel sei bereits jetzt verraten: Betrachtet man den gesamten Band, dann ist der Blick der Studien trotz allem recht eurozentristisch und nicht wirklich doppelt. Anregend ist die Lektüre trotzdem.

Es folgen Fallbeispiele, in denen deutsch-afrikanische Kontakte verhandelt werden. Herauszuheben ist dabei die penibel genaue historische Abhandlung des Afro-Romanisten János Riesz zu afrikanischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern während des Ersten Weltkriegs. An dieser Stelle wird deutlich, dass deutsch-afrikanische Kontakte mitnichten nur literarische Konstrukte sind, sondern manchmal ganz konkrete Realität.

Die Abhandlungen über zeitgenössische Konstruktionen des Afrika-Bildes sind aber nicht weniger aufschlussreich. Äußerst lesenswert sind die Forschungen zu Afrika-Bildern in „visueller Populärkultur, Fotografie und Gegenwartskunst“ (Jessica Nitsche), zum „Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm“ (Rita Morrien) oder zum „aktuellen Afrika-Diskurs in den Medien“ (Axel Timo Purr). An den Titeln der Beiträge wird allerdings deutlich, dass der „Doppeltblick“, den die „école de Hanovre“ fordert, in diesem Sammelband nicht immer gelingt. Viel zu häufig bleibt Afrika das in Literatur und Medien konstruierte fremde Objekt, das als solches auch analysiert wird. Das oben erwähnte Anliegen der Herausgeber aber war es, dass auch Europa und Deutschland von einer dezidiert afrikanischen Perspektive profitieren kann. Jessica Nitsche schließt ihren Aufsatz in diesem Sinne, indem sie Christoph Schlingensief zitiert, dessen Projekt eines Operndorfs in Burkina Faso sie zuvor besprach: „Ich will von Afrika was lernen, ich will nichts mehr diktieren“.

Es bleibt dementsprechend ein Desiderat, nicht nur europäische Konstruktionen Afrikas zu untersuchen, sondern auch afrikanische Blicke auf Deutschland zu berücksichtigen. Romane wie Théo Ananissohs „Lisahohé“ oder Sénouvo Zinsous „Le Médicament“ liefern uns beispielsweise afrikanische Blicke auf Deutschland und bereichern einen deutsch-afrikanischen Diskurs. Dass die Herausgeber die methodische Herausforderung angenommen haben, ist ihnen aber nicht hoch genug anzurechnen. Der Band ist – gerade wegen mancher Desiderata – äußerst anregend, weil die methodische Schwierigkeit stets mitgedacht wird. Äpfel und Birnen? Ja! Aber es schmeckt.

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Michael Hofmann / Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2012.
315 Seiten, 63,00 EUR.
ISBN-13: 9789042034365

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